Mit freundlichem Lächeln öffnet Renate Hohmann ihre Haustür in Schermbeck-Gahlen und begrüßt den Reporter herzlich. Nicht einmal fünf Sekunden lagen zwischen Klingeln und Öffnen der Türe. Renate Hohmann hat den Reporter bereits erwartet, schließlich war sie mit ihm verabredet, um über ihr neuestes Buch zu sprechen.
Die 71-jährige Autorin freut sich sichtlich über den Besuch und das Interesse des Reporters. Gleichzeitig ist sie aber auch aufgeregt. Über die Entstehung und Hintergründe ihres Buches zu reden, ist für sie nicht selbstverständlich.
Denn „Emma im Spiegel“ ist nicht etwa ein unterhaltender Roman, ein Sachbuch oder ein Krimi – wenngleich das Düstere eines Krimis auch einen Großteil der Geschichte von „Emma“, der Protagonistin des Buches, Einzug hält. Es ist ein Buch über Renate Hohmanns eigene Lebensgeschichte, über schlimme Erfahrungen und deren Verarbeitung Jahrzehnte später.
Renate Hohmann ist als Kind Opfer von Missbrauch geworden. Die Folgen spürt sie noch heute. Mit ihrem Buch traut sie sich jetzt an die Öffentlichkeit und will vielen Betroffenen Mut machen.
Die Hemmschwelle ist groß
Schon vor einigen Jahren hatte die Schermbeckerin die Geschichte der Protagonistin „Emma“ – im übrigen Renate Hohmanns zweiter Vorname – zu Papier gebracht. Damals jedoch noch unter einem Pseudonym. „Es war mein erster Versuch, das Erlebte ein bisschen festzuhalten. Ich war aber noch nicht so weit, es unter meinem Namen zu veröffentlichen. Diese Hemmschwelle ist auch der Tenor der Geschichte. Im Leben werden schlechte Dinge geheim gehalten, man spricht nicht darüber und es entstehen Wunden“, sagt Hohmann.
Über die schlimmen Erinnerungen zu schreiben, sei nicht das Problem gewesen. Der Schritt an die Öffentlichkeit ist für Renate Hohmann die größere Hürde. „Hier zu sitzen und darüber zu sprechen und zu wissen, dass es in die Zeitung kommt, das macht mir Stress“, gesteht sie.
Alles, worüber Renate Hohmann in ihrem Buch schreibt, habe sie auch wirklich erlebt. Erfunden sei nichts. Die Stelle, an der die ersten Missbrauchs-Erfahrungen mit dem „Onkel“, dem Täter, beschrieben werden, lässt den Leser erschauern.
„Wunden müssen heilen dürfen“
Wer jetzt aber denkt, das Buch zeige nur die schlimmen Erfahrungen detailliert auf, liegt falsch. Es ist eben keine Gruselgeschichte, die abschreckt. Hohmann erklärt: „Es geht nicht darum, zu zeigen, was ich Schlimmes erlebt habe. Es geht um das Gefühl, nicht gehört zu werden, nicht wahrgenommen zu werden. Ich möchte allen kleinen Emmas eine Stimme geben.“
Ein entscheidender Teil des Buches, der nun im Vergleich zu der ersten anonymen Version hinzugekommen ist, ist die Verarbeitung ihres Traumas. Mit „Emma im Spiegel“ wolle Hohmann ihr Leben nicht rückwirkend schlecht darstellen, sondern vor allem Mut machen. „Auch mit schlechten Erfahrungen kann man gut leben, es ist aber ganz wichtig, dass darüber gesprochen wird. Auf Wunden darf man nicht nur Pflaster kleben, Wunden müssen heilen dürfen“, sagt Hohmann.
Leben aus Sicht des Spiegels
Als Instrument für Renate Hohmanns – oder „Emmas“ – eigene Selbsterkenntnis und die Verarbeitung des erlittenen Missbrauchs dient ein Spiegel. Dieser nimmt im Leben von Renate Hohmann eine tragende Rolle ein. Im Alter von fünf Jahren betrachtete sich Hohmann erstmals im Spiegel im Schlafzimmer der Eltern. Seit jeher begleitete der Spiegel ihr Leben, ist ein „guter Freund“ geworden.
Aus Sicht des Spiegels ist das Buch geschrieben, denn: „Er hat vieles gesehen, was ich nicht gesehen habe“, sagt Hohmann. Noch heute befindet sich der Spiegel in Hohmanns Besitz. Draußen im Garten hat er seinen Platz gefunden – und hilft dabei, das Erlebte zu reflektieren.

Genau das tut Renate Hohmann eben in ihrem Buch über 88 Seiten lang. Zu diesem Schritt richtig entschlossen hat sie sich aber erst nach einem einschneidenden Erlebnis und einem anschließenden Gespräch mit ihrer Tochter. „Endlich loslassen“ war das Stichwort. „Ich hatte viele Jahre das Gefühl, dass es jetzt gut ist und die alten Wunden verheilt sind. Dann habe ich durch einen Auslöser eine Panikattacke bekommen. Da habe ich gemerkt, der Körper vergisst nie“, sagt sie.
Allen Missbrauchsopfern, die nach Wiedergutmachung streben, gibt Hohmann einen Ratschlag mit auf dem Weg. Einen finanziellen Ausgleich für das Erlebte gebe es nicht. „Man kann nichts wieder gutmachen, ich muss es in mir selbst gut werden lassen.“
Wieder steht Renate Hohmann an ihrer Haustür in Schermbeck-Gahlen. Noch immer ist sie aufgeregt: „Meine Knie sind immer noch ganz weich“, verrät sie. Sie ist aufgeregt, weil sie einen weiteren Schritt Richtung Öffentlichkeit gegangen ist. Sie wirkt leicht nervös, aber auch erleichtert.
„Emma im Spiegel“ (ISBN: 978-3948342821) ist seit dem 5. Juni in allen Buchhandlungen sowie online und beim herausgebenden Verrai-Verlag für 13,90€ erhältlich. Die bisherigen Reaktionen seien durchweg positiv ausgefallen, berichtet Hohmann.