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Das Leid der Bevölkerung war mit der Kapitulation nicht zu Ende
Zweiter Weltkrieg
Die Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai vor 75 Jahren bedeutete nicht, dass das Leid der Bevölkerung beendet war. Immer neue Anforderungen brachten massive Einschnitte.
Als am 8. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht unterzeichnet wurde, endete in Deutschland offiziell der Zweite Weltkrieg. Etwa 50 Millionen Todesopfer insgesamt, in Deutschland 6,355 Millionen Opfer, darunter 5,185 Millionen Soldaten und 1,170 Millionen Zivilisten, waren zu beklagen. Die Namen der Opfer, die der Zweite Weltkrieg in den ehemals selbstständigen Gemeinden der heutigen Gemeinde Schermbeck verursacht hat, findet man auf den Ehrenmalen. Sie sind auch im Internet auf der Seite www.denkmalprojekt.org aufgelistet.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges kam für die hiesige Bevölkerung fast zwei Monate früher als die offizielle Kapitulation. Ende März 1945 zog die Front der Alliierten schnell durch Schermbeck hindurch.
Wie sehr das Leben der Bevölkerung in den folgenden Monaten von der Besatzungsbehörde bestimmt wurde, kann am Beispiel des Schermbecker Ortsteils Weselerwald sehr gut belegt werden. Etwa 50 Dokumente hat der langjährige Bürgermeister Heinrich Schmellekamp aufbewahrt. Diese Dokumente – zumeist Anweisungen des Landrats des Kreises Rees – legen Zeugnis ab von den Belastungen, die von April bis November 1945 auf die Weselerwalder Bevölkerung zukamen.

Bürgermeister Heinrich Schmellekamp musste im Jahre 1945 die vielen Anforderungen des Landrats und des Amtsbürgermeisters an die Weselerwalder Bevölkerung weitergeben. © privat
In Vertretung des Landrats Otto von Werder schrieb Kreisbürodirektor Kesseler am 23. April 1945 dem Weselerwalder Ortsbürgermeister: „Laut Requisitionsbefehl der Besatzungsbehörde vom 31.3.45. Nr. 17-464-1 sind für die Verpflegung der Ausländerlager wöchentlich 30 Stück Vieh im Durchschnittsschlachtgewicht von 4 Ztr. aufzubringen und im geschlachteten Zustand an die Molkerei in Drevenack zu liefern.“ Wöchentlich zwei Stück Vieh abzuliefern, das wurde zur Aufgabe für die Weselerwalder. „Die Lieferung ist sofort aufzunehmen und muss bis spätestens Ende dieser Woche erfolgt sein.“
Anforderungslisten für Fett, Fleisch und Bügeleisen
Am 29. April 1945 wurde Bürgermeister Schmellekamp vom Landrat aufgefordert, 50 Pfund Fett am 1. Mai abzuliefern, 400 Pfund Rindfleisch am 4. Mai und 500 Pfund Schweinefleisch am 3. Mai. In einer Anforderung vom 3. Mai 1945 hieß es: „Auf Grund eines Requisitionsbefehls der Besatzungsbehörde hat die Gemeinde Weselerwald 3 Bügeleisen zu liefern.“
Im Mai erschien von der Besatzungsbehörde eine Sonderverordnung. Ziel der Verordnung war die „Bekämpfung der Raubüberfälle und Diebstähle durch ausländische Arbeiter“. Als eine Maßnahme gegen Raubüberfälle und Plünderungen teilte die Polizeistelle des Kreises Rees am 28. Juli 1945 über die Amtsbürgermeister den Ortsbürgermeistern mit: „Da für eine Erfolg versprechende Abwehr keine Schusswaffen gebraucht werden dürfen, müssen andere Mittel und Wege gewählt werden. Ich denke an eine organisierte Nachbarhilfe, die bezirksweise in einer Stärke von 10 bis 15 Mann aufzustellen und einzustellen ist.
Wucherpreise konnten mit dem Tod geahndet werden
Eine Mitteilung des Landrats vom 4. Mai 1945 bezog sich auf Preise und Zahlungsmittel: „Auf Anordnung der Besatzungsmacht habe ich mitzuteilen, daß Preisüberschreitungen jeder Art mit schweren Strafen, unter Umständen mit dem Tode geahndet werden. Die von der Besatzungsbehörde in den Verkehr gebrachten Zahlungsmittel müssen von jedermann genau so behandelt werden, insbesondere angenommen werden, wie Zahlungsmittel deutscher Währung.“
Da die Anforderungsschreiben sich im Wortlaut ähneln, reicht für die nächsten Anforderungen im Mai 1945 eine Aufzählung. Am 4. Mai wurden zur Abgabe 40 Zentner Kartoffeln, 1250 Pfund Schweinefleisch, 75 Pfund Fett angefordert, am 8. Mai 15 Kartenspiele, am 9. und 10. Mai jeweils 1250 Pfund Rindfleisch ohne Knochen, am 13. Mai drei Stück Großvieh, am 15. Mai 50 Zentner Kartoffeln, am 16. Mai 50 Unterhemden, 50 Unterhosen, 122 Paar Socken, 10 Paar Schuhe, Größe 42, 10 Paar Schuhe, Größe 43, 10 Paar Schuhe, Größe 44.

Ein Beispiel für viele: Nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Haushaltsgegenstände mussten im Frühjahr und Sommer an die Besatzungsmächte abgegeben werden. © privat
Wie sehr die Bevölkerung durch Abgaben dieser Art im wöchentlichen Rhythmus belastet wurde, wird deutlich bei einer Meldung des Bürgermeisters Schmellekamp: „Vier Höfe sind total beschädigt. Ein Hof ist zu 50 Prozent beschädigt. Für 50 Stück Vieh ist keine Stallung vorhanden. Hundert Hektar Land können nur mangelhaft bzw. gar nicht bewirtschaftet werden. Durch Kriegseinwirkung gingen verloren: 3 Pferde, 22 Kühe und Rinder, 6 Schweine. Durch Raub und Plünderung: 18 Kühe, Rinder, 8 Schweine, 3 Kälber, 3 Schafe, 275 Hühner, 12 Gänse, 24 Enten und 7 Puten.“
Arbeiter angefordert
Die Weselerwalder sollten im Juni 15 Holzkisten liefern sowie Aufräumarbeiten im Lühlerheim und Arbeiten zur Reinigung der Kanalisation im Lühlerheim leisten. Vom 15. Juni an bis auf Weiteres sollten von 7 bis 13 Uhr gestellt werden: „1 Wagen mit Jauchefass und Fuhrmann, 1 Jauchepumpe, 2 Jauche-Schöpflöffel, 2 Karren zum Schuttfahren mit Fuhrmann, 6 Arbeiter, 2 Frauen.“
Der Regierungspräsident in Düsseldorf ordnete am 12. Juli 1945 eine Geldsammlung für ehemalige Insassen der Konzentrationslager an. Die Abteilung Landwirtschaft beim Kreis Rees teilte den Ortsbürgermeistern am 21. Juli 1945 mit: „Um das dem Kreis Rees von der Militärregierung auferlegte Schlachtviehliefersoll zur Versorgung der Ausländerläger erfüllen zu können, hat ihr Amt allwöchentlich 11 Tiere zu liefern. Die Lieferung hat erstmalig am Freitag, dem 27.7.1945, zu erfolgen.“
Die Listen der Abgaben belegen eindrucksvoll, wie sich der Weltkrieg noch weiter auswirkte, als die Bomben längst verstummt waren.
Im Verlauf von mehr als vier Jahrzehnten habe ich das Zusammenwachsen von acht ehemals selbstständigen Gemeinden miterlebt, die 1975 zur Großgemeinde Schermbeck zusammengefügt wurden. Damals wie heute bemühe ich mich zu zeigen, wie vielfältig das Leben in meinem Heimatort Schermbeck ist.
