Ein Bild, das Fußball-Deutschland am 19. Mai 2001 rührte und auf Schalke noch immer für das eine oder andere Tränchen sorgt: Die Mannschaft nach dem Spiel gegen Unterhaching und dem 4:38-Minuten-Drama auf der Tribüne des Parkstadions, hier (v. r.) Tomasz Hajto, Olaf Thon, Trainer Huub Stevens und Niels Oude Kamphuis. © MHB Archiv
Schalke 04
Olaf Thon: 19. Mai 2001 - Erinnerungen an einen Schalker Wahnsinns-Tag
Heute vor 20 Jahren, am 19. Mai 2001, erlebte Schalke einen der dramatischsten Tage seiner Geschichte und wurde in 4:38 Minuten vom Meister zum „Meister der Herzen“. Olaf Thon im Interview.
Es war ein unvergesslicher Tag. Noch heute weiß so ziemlich jeder, wo und wie er diese Stunden erlebt hat, noch heute schießen fast jedem Schalker bei den Gedanken daran die Tränen in die Augen, weil dieser Tag das gesamte Füllhorn an Emotionen ausschüttete, die es in dieser Wucht vielleicht nur auf Schalke gibt. Am 19. Mai 2001 wurde Schalke Vize-Meister, nachdem sich der Klub 4:38 Minuten lang als Meister fühlen durfte. Olaf Thon (55) war mittendrin – Erinnerungen.
Ist Ihnen der Schreck in die Glieder gefahren oder haben Sie sich auch gefreut, als Sie jetzt an den 19. Mai 2001 erinnert wurden?
Thon: Weder noch. Ich habe von Anfang an versucht, mit diesem Tag professionell umzugehen. Was natürlich nicht ganz einfach war. Tomasz Hajto hat es treffend formuliert: Es war der schrecklichste Tag seiner Karriere. Aber solche Tage muss man vielleicht ganz einfach mal erlebt haben.
„Ein Wahnsinn, auf den ich gerne verzichtet hätte“
Welche Erinnerungen haben Sie spontan?
Ganz viele. Der Abschied vom Parkstadion. Das verrückte Spiel gegen Unterhaching. Die große Leinwand, auf der plötzlich das Bayern-Spiel lief. Die Glückwünsche der Fernsehleute von Premiere, die gesagt haben, das Spiel in Hamburg ist aus. Der Fußball-Gott, der plötzlich nicht mehr da war. Die Tränen von Rudi Assauer, von Huub Stevens, von den Fans. Es war ein Wahnsinn. Aber einer, auf den ich gerne verzichtet hätte. Deswegen fange ich von alleine auch nicht von diesem Tag zu erzählen an.
Man könnte auch sagen, dass dieser Tag die Vereinsfamilie noch mehr zusammengeschweißt hat und daher doch kein ganz schlechter war.
Könnte man, ja. Möglicherweise erinnern wir uns an den 19. Mai 2001 auch wegen dieser ganzen Tragik noch mehr als wenn wir den Titel tatsächlich gewonnen hätten. Trotzdem: Die erste Meisterschaft seit 1958 wäre dem ganzen Verein zu gönnen gewesen. Rudi Assauer, Huub Stevens, der Mannschaft, den Fans. Und wir hätten sie auch verdient gehabt. Aber Schuld daran, dass es nicht geklappt hat, waren wir selbst.
„Schuld waren wir selbst - wir haben den Titel vorher verspielt“
Mehrheitlich gilt aber die Meinung, es habe an Schiedsrichter Dr. Markus Merk gelegen, der in Hamburg zu lange nachspielen ließ und dann umstritten auf Freistoß für die Bayern entschied.
Für ihn war das eine 50:50-Entscheidung, er hat eben so entschieden. Aber wir haben den Titel ja vorher verspielt. In Bochum, in Stuttgart – weil wir plötzlich zu zögerlich agiert und nicht mehr voll auf Sieg gespielt haben. Dabei hatte diese Mannschaft die Qualität, voll auf Sieg zu spielen. Alleine mit dieser Offensive mit Ebbe Sand, Emile Mpenza, Gerald Asamoah, Andi Möller...
War diese Zurückhaltung taktisch so geplant?
Nein, so etwas entwickelt sich. Wenn du so kurz vor dem großen Triumph stehst, der für dich keine Selbstverständlichkeit ist, wirst du vorsichtig, machst eher zur Sicherheit einen Schritt nach hinten als nach vorne. Das ist dann halt der Unterschied zwischen Mannschaften, die fast jedes Jahr Meister werden, und Mannschaften, die recht selten diese Chance haben.
Für Sie persönlich verlief dieser 19. Mai 2001 ebenfalls recht turbulent – als Sie eingewechselt wurden, lag Schalke gegen Absteiger Haching noch mit 2:3 zurück. Ein Spiegelbild Ihrer Saison 2000/01, die überragende Spiele bot – wie zum Beispiel beim 4:0-Sieg in Dortmund?
Irgendwie schon. Nach dem Spiel in Dortmund bin ich in Hamburg umgeknickt, habe mich schwer verletzt. Dann kam ich gegen Haching rein und wir haben das Spiel tatsächlich noch gedreht. Ich habe sogar noch ein Tor gemacht, das aberkannt wurde – mit den heutigen technischen Möglichkeiten hätten wir also 6:3 statt 5:3 gewonnen.
„Meister der Herzen? Für mich ist das eine Auszeichnung“
Wie lange haben Sie gebraucht, um das Drama vom 19. Mai zu verarbeiten?
Bei mir ging das sogar relativ schnell. Ich hatte andere Sorgen, mit Verletzungs-Problemen zu kämpfen und spürte, dass mein Karriere-Ende möglicherweise naht. Ich hatte mich damit abgefunden, dass die überragende Saison 2000/01 nicht mit dem Meister-Titel gekrönt wurde und sah darin eine Parallele zu meinem alles überragenden Spiel auf Schalke.
Das 6:6 im Pokal 1984 gegen die Bayern?
Richtig. Das Rückspiel haben wir dann verloren.
Wäre der Meister-Titel 2001 mehr wert gewesen als das kollektiv erlebte Drama, das unvergesslich bleibt?
Ich denke schon. Die Eurofighter haben Schalke 1997 wieder salonfähig gemacht, auch international und für Sponsoren. Der Meister-Titel hätte das noch mal auf eine andere, höhere Ebene gehievt, er hätte Schalke weiter nach vorne gebracht. Der Pokalsieg eine Woche danach war zwar ein Trost, aber kein Ersatz für die mögliche Meisterschaft.
Schalke wurde danach zum „Meister der Herzen“ gekürt – für Sie eher eine Auszeichnung oder eine Demütigung, wie es auch einige Fans empfinden?
Für mich ganz klar eine Auszeichnung.
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