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Klaus Fischer: „Ich war einer der ersten Ausländer auf Schalke“
S04-Interview
Am heutigen 27. Dezember feiert einer der besten Angreifer Deutschlands seinen 70. Geburtstag. Im großen Interview blickt Klaus Fischer zurück - und hält ein Plädoyer für den Mittelstürmer.
Zum Interview-Termin kommt Klaus Fischer ohne die lästige Schiene an der linken Schulter, die er sechs Wochen lang tragen musste. Nach einer schweren, in einem Spiel mit der Schalker Traditionsmannschaft erlittenen Verletzung geht es langsam, aber sicher wieder aufwärts mit der Beweglichkeit des besten Schalker Stürmers aller Zeiten. Gerade rechtzeitig zum 70. Geburtstag, den Klaus Fischer am 27. Dezember feiert.
Aus gegebenem Anlass diese Frage zuerst: Was macht die Gesundheit?
Es wird wieder, aber ich brauche Geduld. Wenigstens darf ich jetzt schon wieder Autofahren. Aufs Golfen hoffe ich vielleicht im März oder April. Aber die Zeit mit der Schiene war schon heftig. Du kannst dir nicht selbst die Schuhe binden und nicht die Hose an- und ausziehen. Als Alleinstehender wäre man da aufgeschmissen – gut, dass ich nicht geschieden bin…
Die Verletzung ist das Resultat eines Zusammenpralls mit dem gegnerischen Torwart. Ihre Erinnerungen?
Verschwommen. Anfang Oktober, die Schalker Traditionsmannschaft gegen eine Betriebsmannschaft der R+V-Versicherung in Wiesbaden. Hereingabe von links, ich will den Ball reinmachen, der Torwart rauscht so heran, dass ich ihn weder gesehen habe noch ausweichen konnte. Ein junger Japaner, wahrscheinlich völlig übermotiviert. Resultat: Eine Sehne gerissen, eine angerissen.
Landete der Ball denn wenigstens im Tor?
Ja. Zumindest haben mir die Mitspieler das gesagt. Ich selbst habe ja nichts mehr mitbekommen.
Das Fußballer-Leben haben Sie bis heute als Mittelstürmer verbracht – und sich auch nach Ihrer aktiven Laufbahn noch für einen „richtigen“ Mittelstürmer stark gemacht, als in Zeiten von hängender, kippender, fallender oder falscher „9“ diese Position quasi vom Aussterben bedroht schien. Nun feiert der Mittelstürmer quasi ein Comeback – fühlen Sie sich als „Mahner“ bestätigt?
Ja, absolut. Ich habe nie begriffen, wieso der Mittelstürmer plötzlich nicht mehr gefragt sein sollte. Mir konnte bis heute niemand erklären, warum eine Mannschaft freiwillig auf jemanden verzichten sollte, der weiß, wo das Tor steht. Der die Fähigkeit hat, aus keiner Chance ein Tor zu machen. Der dann, wenn es eng wird, vorne für Unruhe sorgt, da wo es weh tut. Real Madrid mit Benzema, Tottenham Hotspurs mit Kane, die Bayern mit Lewandowski – warum setzen die denn alle auf einen richtigen Mittelstürmer? Und warum sind der BVB und Leipzig aktuell so hinter diesem Erling Haaland her? Junge deutsche Top-Mittelstürmer klassischer Prägung gibt es, finde ich, übrigens nicht so viele. Aus meiner Sicht haben die Vereine deren Ausbildung in den letzten Jahren schlichtweg verschlafen.
Schalkes bester Torschütze
Mit 182 Toren in 295 Bundesliga-Spielen für den FC Schalke 04 ist Klaus Fischer (69) der erfolgreichste Torschütze in der Vereinsgeschichte der Königsblauen. Fischer spielte von 1970 bis 1981 auf Schalke. In diese Zeit fallen der Pokalsieg 1972 und zwei Vizemeisterschaften - aber auch der Bundesliga-Skandal und der erste Abstieg. Heute betreibt Fischer unter anderem einen Fußballschule und tritt in der Schalker Traditionsmannschaft gegen den Ball.
Ihre Spezialität waren Fallrückzieher – warum hat es Sie zeitweise so genervt, als Stürmer ausschließlich darauf reduziert zu werden?
Genervt ist übertrieben. Fakt ist allerdings, dass von meinen insgesamt 268 Bundesliga-Toren nur ein einziges ein Fallrückzieher-Tor war – 1976 in Karlsruhe. Die Fallrückzieher, die danach Geschichte schrieben (1977 Tor des Jahrhunderts gegen die Schweiz; 1982 Tor des Jahres gegen Frankreich; die Red.), habe ich ja für die Nationalmannschaft erzielt, wobei mein schönster Fallrückzieher in einem Spiel gegen die damalige UdSSR wegen angeblich gefährlichen Spiels nicht anerkannt wurde. Mir ging es eigentlich darum darauf hinzuweisen, dass ich als Stürmer auch mehr zu bieten hatte als Fallrückzieher.
Der Fallrückzieher also eher Fluch oder Segen?
Schon mehr Segen, ganz klar. Die jungen Leute, die mich selbst nicht mehr haben spielen sehen, gucken heute auf ihre Smartphones und können mich dann in meinen besten Zeiten beim Fallrückzieher beobachten. Diesen Wiedererkennungswert hätte ich ohne Fallrückzieher wahrscheinlich nicht.
Wieviel Training steckte hinter diesen akrobatischen Kunstschüssen?
Man glaubt mir das eh nicht: Aber wir haben das nie speziell trainiert. Klar haben wir, meistens mit Rüdiger Abramczik als Flankengeber, das aus Jux mal gemacht, wenn die Zuschauer beim Training das wollten. Aber im Prinzip war es Intuition, ein Instinkt – vor allem der erste in Karlsruhe.

Auf Schalke eine Legende: Klaus Fischer, hier im Gespräch mit seinem Mannschaftskollegen Hannes Bongartz. © dpa
Welche Rolle spielte Ivica Horvat dabei, den Sie immer als Ihren besten Trainer überhaupt bezeichnet haben?
Eine ganz große. Er gab den Impuls. „Fidschi“, hat er zu mir gesagt, „hast du in Bundesliga keine Zeit, Ball erst anzunehmen. Schießt du lieber besser sofort, am besten mit Spann. Wenn Ball drin, ist gut. Wenn daneben, machst du weiter.“ Horvat war wie ein Vater für uns. Was er gesagt hat, blieb hängen. Also habe ich stets den direkten Weg zum Tor gesucht. Der Fallrückzieher ist eine Konsequenz daraus.
Sie kamen 1970 – noch ein Jahr vor Horvat – von 1860 München nach Schalke. Wie erlebte der Junge aus Kreuzstraßl/Zwiesel im Bayerischen Wald das Ruhrgebiet?
Das war schon ein gewaltiger Unterschied. Damals war das Ruhrgebiet ja von der Kohle geprägt, und tatsächlich hat meine Mutter mich vor meinem Wechsel darauf hingewiesen, dass ich im Kohlen-Pott draußen keine weiße Wäsche aufhängen solle, weil die sofort schwarz vor Ruß werden würde. Und mittlerweile lebe ich mit meiner Familie seit 50 Jahren in Gelsenkirchen.

Da hatte Sepp Maier das Nachsehen: Insgesamt schoss Klaus Fischer 268 Bundesligatore (182 davon für Schalke). Nur Gerd Müller (365 Tore) erzielte mehr Treffer. © dpa
Das beste Beispiel für die gelungene Integration eines Bayern im Ruhrgebiet...
Kann man so sagen. Wenn man so will, war ich einer der ersten Ausländer auf Schalke...Aber ich habe mich von Anfang an hier sehr wohl gefühlt. Die Menschen waren unheimlich freundlich zu mir und blieben es sogar, als sie wegen unserer riesengroßen Dummheit beim Bundesliga-Skandal allen Grund gehabt hätten, sauer auf mich zu sein. Wahrscheinlich waren sie es auch – aber sie ließen mich das nicht spüren.
Als Sie den erstmaligen Absteiger Schalke 1981 verließen und zum 1. FC Köln wechselten, schlug die Herzlichkeit in blanke Wut um.
Man hat mich als „Judas“ beschimpft, die Fans waren sauer. Aber Schalke hatte kurz davor mit meinem Freund Rolf Rüssmann, Wolfram Wuttke und Rüdiger Abramczik drei Top-Spieler aus finanziellen Gründen verkauft. Ich habe den damaligen Präsidenten Dr. Fenne davor gewarnt, weil ich befürchtete, dass wir sportlich die Kurve dann nicht mehr kriegen würden. So kam es auch, Schalke stieg ab und wurde dann in den 80-er Jahren ja auch zu einer Fahrstuhl-Mannschaft. Ich wollte aber unbedingt 1982 zur WM, nachdem ich die EM 1980 wegen meines Schienbeinbruchs verpasst hatte. Für die WM-Teilnahme habe ich malocht wie ein Verrückter, für mich ist es noch heute vielleicht meine größte Leistung, dass ich es dahin geschafft habe. Als Zweitliga-Spieler hätte ich wohl keine Chance gehabt.
Als Trainer wurde es dann nichts mit der großen Karriere – der Titel „Bestbezahlter Amateurtrainer Deutschlands“ ist da wahrscheinlich nur ein schwacher Trost?
Was hätte ich machen sollen? Ich sollte 1992 Nachfolger von Aleksandar Ristic werden, für den ich ja in den letzten Saisonspielen eingesprungen war, und hatte mit Präsident Günter Eichberg schon den Vertrag als Cheftrainer unterschrieben. Dann kam Günter kurzfristig auf die Idee, Udo Lattek zu verpflichten. Und ich trainierte wieder die Amateure – mit einem Cheftrainer-Vertrag in der Tasche.
Später kam es zum Krach mit Manager Rudi Assauer. Warum?
Er wollte, dass ich meinen gültigen Vertrag ruhen lassen sollte. Aber warum hätte ich das tun sollen? Als Rudi Assauer mich dann kurz vor dem Saisonstart als Amateur-Trainer entlassen hat, bekam ich darüber hinaus noch Stadionverbot, durfte nicht mal mehr bei den Alten Herren mittrainieren. Keine schöne Zeit. Die Trainer-Laufbahn war dann im Prinzip auch vorbei, weil es sich dann mit meiner Fußballschule gut entwickelt hat.

Stürmer trifft Stürmer: Auch heute noch tritt Klaus Fischer (hier mit Ailton) gegen den Ball - wenn es die Gesundheit erlaubt. © dpa
Mit Schalke haben Sie längst wieder Ihren Frieden gemacht, waren im Ehrenrat, sind Repräsentant. Was bleibt hängen?
Schalke ist mein Verein, trotz 1860 München, trotz Köln, trotz Bochum. Es gab Höhen und Tiefen, das gehört dazu. Dass ich in die Schalker Jahrhundert-Elf gewählt wurde und dabei zum Teil mehr Stimmen bekam als die ganz, ganz großen Schalker, erfüllt mich heute noch mit Stolz und Dankbarkeit.
Was bedeutet die „70“ für Sie?
Die sehe ich mit großer Gelassenheit. Gesundheit steht über allem. Meiner Familie und mir geht es – aktuell abgesehen von der Schulter – gut. Das ist die Hauptsache.
Gefeiert wird in Zwiesel?
Richtig, mit ungefähr 50 Leuten, Verwandtschaft, in einem Gasthaus. Zwiesel ist meine Heimat, hier bin ich geboren und aufgewachsen. Gelsenkirchen ist meine zweite Heimat – hier lebt meine Familie, hier habe ich meinen Freundeskreis.
Und in Zwiesel fällt dann auch die Entscheidung, ob nach dem Vorfall in Wiesbaden nun endgültig Schluss ist mit Fußball?
Mal abwarten, wie sich der Heilungsprozess entwickelt. Es würde mir schon sehr schwerfallen, nicht mehr zu spielen. Was soll ich machen? Fußball ist mein Leben. Aber Fallrückzieher sind wohl nicht mehr drin.