Von wegen „Knurrer von Kerkrade“ – im Trainer-Abschieds-Interview ist Huub Stevens bestens gelaunt. Der S04-Jahrhunderttrainer über Parkplätze, seine Rettungs-Mission und eine Spontan-Party.
Schwingen wir zu Beginn gleich mal die ganz große zeitliche Keule – und gehen knapp 23 Jahre zurück: Ihre allererste Presse-Runde auf Schalke. Lange her...
Huub Stevens: Puuh – 23 Jahre. Das ist wirklich lange her. Aber ich kann mich noch erinnern. Das war in der alten Schalker Geschäftsstelle. Und für mich im Prinzip der Eintritt in eine neue Welt. Wenn wir bei Roda Kerkrade eine Pressekonferenz hatten, stand da vielleicht eine Kamera. Auf Schalke waren es dann schon drei oder vier. Wenn man dann noch sieht, wie sich das bis heute entwickelt hat, merkt man erst, wie lange das wirklich her ist...
Hätten Sie damals gedacht, dass wir nach 23 Jahren wieder hier, fast an gleicher Stelle, sitzen würden?
Niemals. Ich war nur auf das fokussiert, was unmittelbar vor mir lag. Schalke war schließlich meine erste Auslands-Station. Da hat man erstmal genug damit zu tun und denkt nicht in so langen Zeiträumen.

Gestatten, Huub Stevens: Am 9. Oktober 1996 präsentierte Manager Rudi Assauer den neuen Schalke-Trainer. © dpa
Ein großes Thema bei Ihrem ersten Auftritt vor deutschen Journalisten war das Gerücht, Sie hätten in Kerkrade sogar kontrolliert, ob die Spieler auf dem Vereinsgelände richtig parken würden – was Ihren Ruf als „harter Hund“ zementiert hat.
(lacht): War das so? Aber im Prinzip stimmt die Geschichte ja. Der Spieler-Parkplatz in Kerkrade war relativ klein. Und wenn dann der Erste schon anfing, seinen Wagen 40 cm neben der Spur zu parken, dann kann man sich vorstellen, dass das am Ende alles ziemlich eng wurde. Also muss sich jeder an die Vorgaben halten, damit es insgesamt funktionieren kann. Das klingt ja vielleicht banal – aber wenn du die Kleinigkeiten nicht im Griff hast, droht dir das große Ganze irgendwann zu entgleiten.
Könnten Sie der heutigen Spieler-Generation als „Parkplatz-Wächter“ noch imponieren?
Wahrscheinlich nicht. Es hat sich vieles verändert. Und die Spieler in dem Maße, in dem sich auch die Gesellschaft verändert hat. Mein Sohn ist auch anders aufgewachsen als ich, und meine Enkeltochter wächst jetzt auch wieder anders auf als mein Sohn. Übertragen auf eine Fußball-Mannschaft muss man das auch als Trainer berücksichtigen.
Das heißt?
Man muss heute mehr mit den Spielern reden. Als ich nach Deutschland kam, habe ich mal gesagt: Wenn Du einem niederländischen Fußballer einen Auftrag gibst, fragt er erst: „Warum?“ Und führt den Auftrag dann aus. Der deutsche Spieler führt den Auftrag erst aus und fragt dann: „Warum?“ Mittlerweile fragt auch der deutsche Spieler zuerst nach dem Warum.
Trotzdem haben Sie nach ihrer dritten Amtsübernahme auf Schalke gleich humorlos durchgegriffen und Nabil Bentaleb suspendiert – also doch wieder „harter Hund“?
In manchen Dingen muss man sich treu bleiben. Das hat immer auch etwas mit Respekt gegenüber der ganzen Mannschaft zu tun. Wenn ich einen Tag vor dem Leipzig-Spiel sage, dass – sofern es die Gesundheit erlaubt – alle Spieler im Stadion und beim anschließenden gemeinsamen Essen anwesend sein sollen, und einer ist dann nicht da: Wie soll ich es der Mannschaft gegenüber begründen, wenn ich dann nicht reagiere? Auch wenn es mir persönlich leid tut, weil es ja an sich kein schweres Vergehen und Nabil ein sehr guter Fußballer ist.
Meinten Sie auch solche Undiszipliniertheiten, als Sie von der „schwersten Aufgabe“ Ihrer gesamten Trainer-Laufbahn sprachen?
Damit war gar nicht mal hauptsächlich die Mannschaft selbst gemeint. Aber es ging jetzt um Schalke, ausgerechnet. Einen Monat vorher war mein Freund Rudi Assauer gestorben. Auch für ihn habe ich überhaupt zugesagt – und so etwas hat man natürlich auch als Verpflichtung im Hinterkopf, wenn man so eine Aufgabe übernimmt.
Aber nahezu jeder Trainer, der als „Feuerwehrmann“ einspringt, spricht doch von seiner „schwersten Aufgabe“. Ist das am Ende nicht auch Koketterie?
Also ich habe das schon ernst gemeint. Die Spirale hatte sich schon relativ weit nach unten geschraubt. Unser Sportvorstand Jochen Schneider sagte mir: „Huub, diese Mannschaft ist tot!“ Woher sollte sie auch Selbstvertrauen haben? 0:3 in Mainz, 0:4 gegen Düsseldorf, 0:7 in Manchester – jede Mannschaft der Welt wäre nach einer solchen Serie total verunsichert.

Am besten nicht hinsehen: Der Fußball, der in seiner dritten Amtszeit gespielt wurde, brachte Huub Stevens oft zum Verzweifeln - wie hier beim Spiel gegen RB Leipzig. © dpa
Hatten Sie tatsächlich Angst vor dem Abstieg?
Gedanken darüber habe ich mir schon gemacht. Angst hatte ich nicht. Wenn du als Trainer einer sowieso schon völlig verunsicherten Mannschaft noch einen ängstlichen Eindruck vermittelst – das wäre fatal!
Sie haben eine Mannschaft übernommen, die selbst der sonst so analytisch urteilende „Kicker“ als „Trümmerhaufen“ bezeichnet hat. Ein zu hartes Urteil oder am Ende sogar gerechtfertigt?
Den einzelnen Spielern wird das nicht gerecht. Es ist dann irgendwann nur noch Kopfsache. Daher habe ich auch gar nicht so viel am System geändert, weil ich nicht noch mehr durcheinander bringen wollte. Und du musst unbedingt auch wieder ein bisschen Spaß, etwas Lockerheit in eine solche Mannschaft bringen. Ohne dem geht es nicht.
Nach nun geglückter Rettungs-Mission kann man ja drüber reden: Was ist vorher schiefgelaufen? Werden Sie, wie angekündigt, nach der Saison wirklich wie angekündigt „auspacken“?
Möglicherweise, habe ich gesagt. Ich werde das dann wohl wieder in meiner Funktion als Aufsichtsrat machen, und zwar intern gegenüber dem Aufsichtsrat. Es war wahrscheinlich sogar ganz hilfreich, dass wir durch meine drei Monate als Trainer Einblicke bekommen haben, die der Aufsichtsrat sonst nicht hat.
Wird es in Ihrem Bericht dann auch ums Umfeld der Mannschaft gehen – beispielsweise um einen Manager, der den Verein in schwieriger Situation im Stich gelassen hat?
Ich will es mal so sagen: Als ein junger Trainer wie Domenico Tedesco brauchst du in einer solchen Situation Unterstützung. So wie ich sie durch Rudi Assauer vorbildlich erfahren habe. Domenico hat diese Unterstützung offenbar nicht bekommen. Vieles ist schiefgelaufen, und das muss aufgearbeitet werden.
Werden Sie diese Aufarbeitung noch als Aufsichtsrat begleiten? In Leverkusen äußerten Sie laute Rücktritts-Gedanken.
Das kam falsch rüber. Ich meinte damit nur, dass ich vielleicht an der einen oder anderen Sitzung mal nicht teilnehmen kann – weil die letzten drei Monate wirklich viel Kraft gekostet haben und ich ein bisschen Erholung brauche.
Das war Ihnen anzusehen. Wer Sie in der hektischen Schlussphase des Frankfurt-Spiels erlebte und beim Nürnberg-Spiel auf der Bank leiden sah...
... Nürnberg. Oh je. Da sah ich sicher taufrisch aus...
Topfit sozusagen... Im Ernst: Wer Sie da sah, der musste sich Sorgen um Ihre Gesundheit machen – schließlich hatten Sie Ihre Trainer-Laufbahn 2015 in Hoffenheim wegen Herz-Problemen beenden müssen.
Richtig. Und ich nehme meine Tabletten ja auch noch weiterhin. Direkt nach meiner Zusage für Schalke habe ich mich nochmal durchchecken lassen, alles okay. Aber ich gebe zu: Unser Auftritt in Nürnberg war so ein Erlebnis, nach dem ich dachte: Wenn du das jetzt überstanden hast, kann dir mit dem Herzen nichts mehr passieren.
Das Nürnberg-Spiel als Stress-Test fürs Herz?
(lacht): Ja, so kann man das sehen!
War denn wirklich alles so schlimm? Gab es nicht auch schöne Momente?
Natürlich. Es macht doch auch Spaß, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten, ihnen wieder Selbstvertrauen zu geben, gemeinsam mit Mike Büskens, Gerald Asamoah und Matthias Kreutzer, die ich unbedingt in meinem Team haben wollte. Und wenn du dann auch noch Erlebnisse wie den Derby-Sieg hast...

Das Highlight seiner dritten Amtszeit: Der Derbysieg in Dortmund. © dpa
Aus dem sicherlich ein Bild dieser Saison entstand: Huub Stevens sitzt im Trainingsanzug an der Theke der Kult-Kneipe „Bosch“ und trinkt entspannt sein Sieger-Pils, während die Spieler im Hintergrund mit den Fans feiern. Entschädigt ein solcher Moment – neben den finanziellen Aspekten – am Ende dann doch für den vor allem nervlichen Aufwand?
Auf alle Fälle war es ein sehr schöner Moment. Wir waren nach dem Spiel ja schon wieder an der Arena, als Asa und ich spontan sagten: Müssten wir jetzt nicht eigentlich zu „Bosch“, wo auch die Fans sind? Dann sind wir hin.
Und der Rest von Fußball-Deutschland schüttelt wieder mal den Kopf über diese irren Schalker, die nach einem Sieg in einer ansonsten verpfuschten Saison sofort in die nächstbeste Kneipe fahren und feste feiern...
Na und? Sollen sie doch den Kopf schütteln. Einfach mal was Verrücktes machen – auch das ist doch Schalke. Das ist doch auch das, was diesen Verein so besonders und liebenswert macht.
Bevor wir uns gleich verabschieden: Ist das denn jetzt wirklich unser ultimativ letztes, gemeinsames Trainer-Abschieds-Interview?
Das hoffe ich doch wohl. Und ich gehe auch davon aus. Ab jetzt müssen wirklich Jüngere ran.
Und wenn im nächsten Frühjahr doch wieder das Telefon klingelt und die Schalker Chefetage ist dran?
Dann glaube und erwarte ich, dass meine Frau und mein Sohn mir sofort das Stopp-Schild hinhalten!