Heute Esstisch, später Sarg Judith Kolschen aus Raesfeld hat eine verrückte Idee realisiert

Heute Esstisch, später Sarg: Eine verrückte Idee von Judith Kolschen
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Das Gespräch findet im Wohnzimmer von Judith Kolschen in Raesfeld-Erle statt. Am schönen großen Esstisch. Die Gastgeberin serviert Kaffee. Und Streuselkuchen. „Ich dachte, das sei stilecht“, sagt sie und lacht. Denn: Wir sitzen sozusagen an ihrem Sarg. Zumindest soll der Tisch das später mal sein.

Das Sargmöbel habe schon für viele Irritationen gesorgt, erzählt Judith Kolschen, in der Familie und bei Freunden. Auch bei Ralf Kock, dem Bestatter und Tischler, den Kolschen für die Realisierung ihrer ausgefallenen Idee ausgesucht hat.

Die gelernte Krankenschwester hat langjährige Erfahrung in der Hospizarbeit. Sie hat sich als Trauerrednerin und Trauerbegleiterin ausbilden lassen und arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie. Nach einer Ausstellung zum Thema „Abschied selbst gestalten“, das ein Bücherregal als Sargmöbel zeigte, ließ die Idee eines eigenen Möbelstücks mit dem späteren Verwendungszweck nicht mehr los.

Großer Esstisch

Erste Idee war eine Truhenbank, „aber mein Mann weigerte sich zunächst, auf einem Sarg zu sitzen. Er hat mich für bekloppt erklärt.“ Das Möbel sollte also auf den ersten Blick nicht wie ein Sarg aussehen. „Als wir dann die umfassende Renovierung unseres Wohnzimmers in Angriff nahmen“, erzählt Judith Kolschen, „wollten wir uns unbedingt den Traum von einem großen Esstisch erfüllen.“ Und da kamen die alte Sargidee und Ralf Kock ins Spiel.

Judith Kolschen sitzt in ihrem Verbrennungssarg
Judith Kolschen hat es sich nehmen lassen, in ihrem Verbrennungssarg „Probe zu sitzen“, bevor er als Esstisch zusammengebaut wurde. © privat

Der nahm die Herausforderung an und lieferte das außergewöhnliche Möbelstück schließlich im Mai 2021 aus. Seither ist der Tisch mit seiner massiven zweiteiligen Tischplatte der gesellige Mittelpunkt des gemütlichen Wohn- und Esszimmers. „Hier wird natürlich gegessen und getrunken“, erklärt Judith Kolschen, „aber es werden auch Karten gekloppt und Haare frisiert.“ Kaffee getrunken und Streuselkuchen gegessen, geweint und gelacht.

Aufbauanleitung anbei

Unter der Tischplatte, für die der Tischler die beiden Seitenteile des Sarges mit einer Mittelnaht zusammengefügt hat, sind Deckel und Unterseite des Sarges sowie die kleinen Kopf- und Fußteile befestigt. Alle Teile sind beschriftet und zwischen ihnen klemmen Umschläge mit Fotos vom Zusammenbau. „Damit später jemand meinen Sarg auch zusammenbauen kann“, sagt Kolschen. Die vier geradlinigen, grauen Tischbeine aus Metall können sich dann auf Wunsch in vier stabile Kerzenleuchter verwandeln.

Die Tischbeine werden zu Kerzenleuchtern.
Die Tischbeine können als Kerzenleuchter genutzt werden. Für jedes der vier Kinder von Judith Kolschen wäre auf Wunsch einer da. © privat

Dass ihre Hinterbliebenen eines möglichst fernen Tages in einem Wohnraum ohne Esstisch sitzen und ihren Tod betrauern, ist Teil des Plans. Judith Kolschen: „Der Tod reißt immer eine Lücke, und hier wird sie auch im Äußeren sichtbar. Nach dem Tod eines geliebten Menschen ist außerdem sowieso nichts mehr, wie es war.“ Sie fürchtet den Tod nicht und mag den Gedanken, dann in einem Sarg verbrannt zu werden, an dem sie zuvor so viele schöne Stunden verbracht habe.

Und wenn sie sich womöglich schon vor ihrem Tod von ihrem Zuhause treffen muss und der wuchtige Esstisch nicht mit kann, zum Beispiel ins Seniorenheim? „Das wird sich dann finden“, ist Judith Kolschen sicher. „Vielleicht bewahren die Kinder ihn ja auseinandergebaut irgendwo für mich auf.“

Keine Angst vor dem Tod

Im Gegensatz zu vielen Menschen, die sich wünschen, eines Tages einfach tot umzufallen oder eines Morgens nicht wieder aufzuwachen, wünscht sich Judith Kolschen Zeit zum Abschiednehmen vom Leben und ihren Lieben. „Ich habe in der Hospizarbeit erlebt, dass selbst bei schwersten Erkrankungen der Tod in Ruhe und ohne Schmerzen kommen kann. Weil viele Menschen Angst vor Schmerz und Qual haben, wünschen sie sich oftmals einen schnellen Abschied - oder sogar Hilfe beim Suizid.“

Der Umgang mit vielen Menschen am Ende ihres Lebens hat Judith Kolschen ermuntert, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Das Sargmöbel ist Teil dieser Auseinandersetzung.

Haltestelle für Trauernde : Judith Kolschen aus Raesfeld begleitet Menschen nach Verlust