Über mehr als sieben Stunden wartet ein Olfener, bis er über die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116-117 einen medizinischen Ratschlag bekommt. Ist die Corona-Krise das Problem?
Als Siegfried Schmudde aus Olfen am Sonntag, 5. April, zum Telefonhörer greift, fühlt er sich nicht sonderlich wohl. Der 85-Jährige hat Schmerzen im Oberbauch und Fieber. Nichts, wofür man direkt den Notarzt rufen müsste, aber auch nichts, was man unbedingt bis zum Montag aussitzen möchte.
Für solche Fälle gibt es die 116-117. „Die Nummer mit den Elfen“, wie sie beworben wird. Es handelt sich dabei um eine bundesweit einheitliche Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, die seit 2012 existiert. Nachdem sich die Telefonzentrale das Anliegen des Patienten angehört hat, leitet sie dieses an den nächst erreichbaren Arzt in der Region weiter. Dieser spricht dann mit dem Patienten und entscheidet zum Beispiel, ob ein Hausbesuch erforderlich ist.
Viele Anrufe und langes Warten auf eine medizinische Einschätzung
Für Siegfried Schudde aber war der Weg, überhaupt erstmal mit einem Arzt zu sprechen, ein beschwerlicher, wie er angibt. Um etwa 10.30 Uhr am Morgen habe er das erste Mal zum Telefonhörer gegriffen. Nachdem er sein Anliegen geschildert hatte, versprach man ihm, sich zu kümmern. Was nach Aussage von Siegfried Schmudde nicht geschehen ist.
Auch bei einem zweiten Anruf habe man ihm eine Rückruf versprochen, der nicht erfolgt sei. Daraufhin habe er - inzwischen mit 38,4 Grad Fieber beim Rettungsdienst 112 angerufen, der ihn aber mit den Verweis darauf, dass es sich nicht um einen Notfall handele, wieder an die 116 117 verwiesen hatte. Ein erneuter Anruf brachte schließlich den Erfolg: Eine Ärztin rief ihn gegen 18 Uhr - etwa siebeneinhalb Stunden nach dem ersten Anruf - zurück. Die Ärztin habe ihm allerdings gesagt, auch mit Verweis auf nicht vorhandene Ultraschallgeräte, dass sie ihm nicht helfen könne. Falls die Beschwerden stärker würden, solle er sich an die 112 wenden, habe sie ihm gesagt, erzählt Schmudde.
„Das können Sie sich ja vorstellen, dass man da enttäuscht ist“, sagt der Olfener. Er habe sich nicht kompetent beraten gefühlt. „Das war nicht in Ordnung“, sagt er. Wenn ein Arzt ihn zurückrufe, der sich in dem Fachbereich nicht auskenne, sei das nicht hilfreich. Zudem habe er sich wegen des Fiebers Sorgen gemacht und gar eine Infektion mit dem Coronavirus in Betracht gezogen. Die Symptome hätten zwar nicht gepasst, „aber wir sind ja keine Fachleute“, sagt Siegfried Schmudde. Allerdings glaube er nicht, dass die Erreichbarkeit wegen Corona schwieriger geworden sei. Er habe von einem Nachbarn bereits von ähnlichen Erfahrungen noch lange vor Corona gehört, sagt er.
Durchschnittliche Wartezeiten lassen sich nicht berechnen
„Wir bedauern es, wenn der Patient sich nicht kompetent beraten fühlte“, erklärt Vanessa Pudlo, Pressesprecherin der der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe. Durch die Daten des Patienten konnte sie nachvollziehen, dass es am Vormittag sowie am frühen Abend einen Kontakt zwischen Patient und Anrufzentrale und später auch mit einem Arzt gegeben habe. Weitere Details lägen allerdings nicht vor.
Die Frage, wie lange Patienten grundsätzlich auf einen Arztanruf warten müssten, ließe sich nicht pauschal beantworten. Das sei zum Beispiel davon abhängig, „wie hoch das Anrufaufkommen an diesem Tag ist und wie viele Hausbesuche angefordert werden. Wie bei einem regulären Arztbesuch werden auch im ärztlichen Bereitschaftsdienst dringliche Patienten vorrangig behandelt“, sagt Pudlo. Gleichzeitig dürfe der Fahrdienst der Ärzte im ambulanten Notfalldienst nicht mit dem Rettungsdienst gleichgesetzt werden.
Viel mehr Anrufe in Corona-Zeiten
Die Anzahl der Anrufe ist allerdings in Corona-Zeiten ganz klar gestiegen. „2019 lagen die durchschnittlichen Anrufe bei der 116117 bundesweit bei 15.000 pro Werktag (Montag-Freitag) und bei 30.000 an Samstagen und Sonntagen“, erklärt Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
In der Corona-Peakphase (14 bis 15. März 2020) seien über 100.000 Anrufe eingegangen - wobei Mehrfachanrufer bereits herausgerechnet sind. Und am 16. März seien es sogar 164.000 Anrufer gewesen, sagt Stahl. An dem Wochenende, als Siegfried Schmudde eine medizinische Auskunft benötigte, also vom 3. April bis zum 5. April, waren es allein in NRW 26.400 Anrufe, wie Vanessa Pudlo erklärt.
Zusätzliches Personal für Service-Nummer
Dass die Patientenbetreuung allerdings wegen der zahlreicheren Anrufe durch die Corona-Krise schlechter geworden sei, kann Vanessa Pudlo nicht bejahen: „Mit der zunehmenden Ausbreitung des Coronavirus in NRW haben natürlich auch die Anrufe für die 11 6 11 7 deutlich zugenommen. Die telefonischen Kapazitäten sowie die Beratungskapazitäten sind jedoch bereits zu einem frühen Zeitpunkt aufgestockt worden, um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen“, sagt sie. „Diese Maßnahme hat sich bewährt.“ Roland Stahl von der Bundesvereinigung der Kassenärztlichen Vereinigung sagt hingegen, dass die massive Aufstockung des Personals nicht dazu geführt habe, dass Wartezeiten verhindert werden konnten. Allerdings lasse sich auch aktuell feststellen, dass die Zahl der Anrufe aktuell wieder abnimmt.
Siegfried Schmudde jedenfalls ist am nächsten Tag, dem Montag, zu seinem Hausarzt gegangen, der ihn behandeln und „Entwarnung“ geben konnte, wie er sagt. Schmudde sagt nur: „Ich will hoffen, dass ich so schnell nicht mehr da anrufen muss.“
Patienten haben die Möglichkeit, über ein Kontaktformular auf der zentralen Website www.116117.de eine Rückmeldung zum Service der 116117 zu geben, erklärt Vanessa Pudlo von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe.
Ich bin neugierig. Auf Menschen und ihre Geschichten. Deshalb bin ich Journalistin geworden und habe zuvor Kulturwissenschaften, Journalistik und Soziologie studiert. Ich selbst bin Exil-Sauerländerin, Dortmund-Wohnerin und Münsterland-Kennenlernerin.
