Es ist ein Donnerstagmorgen um sechs Uhr Ende September 2018: Zum ersten Mal betreten Kunden den Dorfladen in Vinnum an der Hauptstraße und kaufen ein. Im Frühjahr vor fünf Jahren unternahmen die Vinnumer die wichtigen rechtlichen Schritte, um den Dorfladen zu gründen. Im Sommer soll der fünften Geburtstag groß mit allen Vinnumern gefeiert werden. Zum Jahrestag spricht das Dorfladen-Team über übertroffene Erwartungen, eine Gemeinschaft, die zusammenhält, und über eine drohende Sperrung.
Der Dorfladen wird fünf Jahre alt, die Idee ist aber schon älter. Dabei war die Möglichkeit, vor Ort einkaufen zu können, gar nicht das einzige Ziel des Projektes, oder?
Thomas Lohmann: Ja, genau. Die Stadt hatte ein Dorfentwicklungskonzept gestartet. In dem Rahmen gab es hier mehrere Bürgerbeteiligungstermine. Heraus kam das Modell Dorfzentrum 2.0 - ein Konzept, das vom Land und Bund gefördert wurde, um den ländlichen Raum ein bisschen mehr zu beleben. Die Infrastruktur und die Versorgung vor Ort sollte gefördert werden. Das Dorfzentrum 2.0 hatte mehrere Bausteine. Einen Dorfladen aber auch ein Dorfzentrum als Treffpunkt. Es sollte einen multifunktionalen Raum geben für Feierlichkeiten oder Veranstaltungen, wo vielleicht auch mal ein Hausarzt eine Sprechstunde abhalten kann - oder ein Friseur einmal in der Woche hinkommt, oder die Fußpflege. Ein Raum, wo sich die Dienstleister einmieten können, um Kunden hier im Ort zu versorgen.
Den Mehrzweckraum gibt es aber bislang nicht. Von dem Konzept wurde nur das Versorgungszentrum - der Dorfladen - umgesetzt.
Thomas Lohmann: Die Räumlichkeiten sind schwierig. Es war kein kleiner Saal vorhanden. Das kann aber noch kommen. Das Dorfzentrum 2.0 war der Start und da haben wir auch Fördergelder bekommen. Dadurch war einiges möglich, dass wir den Laden gestalten konnten mit neuen Regalen, mit neuen Kühltheken. Dass wir nicht nur auf Sparflamme mit Gebrauchtgeräten arbeiten mussten. Dann war nicht alles so zusammengewürfelt. Der Laden ist auch ganz gut gelungen, denke ich. Wir haben auch darauf geachtet, dass man sich hier wohlfühlt.

Was war die größte Hürde auf dem Weg, den Dorfladen zu eröffnen?
Lars Hittscher: Die größte Hürde war eigentlich, hier den Raum zu finden und den mit viel Eigenarbeit umzubauen. Hier sind sehr, sehr viele Stunden, auch Ehrenamtsstunden eingeflossen. Das war eine ganz tolle Truppe, die da mitgeholfen hat. Hier ist alles ehrenamtlich gestrichen, alles ehrenamtlich herausgerissen worden. Es wurde komplett entkernt und teilweise auch die Wände eingerissen.
Thomas Lohmann: Vielleicht die größte oder die erste Herausforderung war einzuordnen: Was brauchen wir, was können wir anbieten? Wie groß kann es sein? Was rechnet sich? Wir hatten zwei Räumlichkeiten zur Auswahl: einmal drüben die alte Sparkasse und hier diese Räume. Die Sparkasse wäre nur halb so groß gewesen. Da mussten wir erst einmal abwägen, was können wir uns leisten, welche Umsätze generieren wir, dass sich das auch trägt. Jetzt sind wir ganz froh, dass wir hier in größere Räumlichkeiten eingezogen sind. Es ist so schon relativ eng - vor allem, weil wir im Prinzip ein Vollsortimenter sind. Es gibt ja eigentlich keine Sachen, die es hier nicht gibt. Wir haben zwar nicht 40 verschiedene Joghurts, aber dafür ist das Programm an Milchprodukten vollständig.
Anna Boettcher: Hier gibt es wirklich fast alles, ob es jetzt eine Mausefalle ist oder ein Geodreieck.
Ist deswegen der Dorfladen so eingeschlagen und sofort so gut angenommen worden? Sie haben gleich im ersten Jahr deutlich mehr Umsatz gemacht als erwartet.
Stefan Greiving: Ja, wir lagen immer über unseren Erwartungen und denen des professionellen Dorfladen-Beraters. Der hatte das Kaufkraftpotenzial ein Drittel niedriger eingeschätzt, als wir tatsächlich Umsätze realisiert haben.
Thomas Lohmann: Gerade Corona hat uns eher in die Karten gespielt. Im ersten Corona-Jahr haben wir das Ergebnis noch um 100.000 Euro gesteigert - von 500.000 auf knapp 600.000 Euro. Im zweiten Corona-Jahr konnten wir das knapp halten.

Wer sorgt für die guten Einnahmen? Kommen mehr Einheimische zum Einkaufen oder sind es die Pendler, die hier auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause Halt machen?
Lars Hittscher: Also nur durch die Dorfbewohner könnten wir das nicht bezahlen. Wir sind angewiesen auf die Pendler, die morgens belegte Brötchen holen oder die auf dem Weg nach Olfen hier noch mal anhalten und etwas kaufen.
Stefan Greiving: Der Dorfladen ist auch ein zentraler Ort geworden für viele regionale Produkte, die die Leute gezielt hier kaufen. So müssen sie nicht einzelne Hofläden abklappern. Es gibt also auch Leute außerhalb von Vinnum, die keine Pendler sind und hier größere Umsätze generieren, statt drei, vier, fünf Hofläden aufzusuchen.
Da ein großer Teil der Kunden Pendler sind, bereitet es Ihnen da Sorgen, dass die Strecke über die Lippe-Brücke Vinnum längere Zeit gesperrt sein wird, wenn der Neubau vielleicht ab Sommer 2023 beginnt?
Stefan Greiving: Die Leute müssen ja trotzdem pendeln. Es gibt zwei Umleitungen über Datteln und Waltrop oder über Bork. Und diejenigen, die die Umleitung über Bork nehmen, fahren trotzdem durch Vinnum.
Lars Hittscher: Aber jeder Umsatzeinbruch tut schon richtig weh. Wir hatten gerade die Corona-Jahre, die gut waren. Aber seit der Ukrainekrise haben wir deutlich an Umsätzen verloren und kämpfen mit stark gestiegenen Einkaufspreisen und Energie-Kosten. Das ist schon etwas, was uns 2023 beschäftigen wird. Bioläden oder Unverpackt-Läden sind ja teilweise komplett eingegangen, weil die Leute jetzt, wenn alles teurer wird und auch Energie für die Privathaushalte mehr kostet, gucken, wo sie ihr Geld ausgeben. Da nimmt man dann vielleicht doch nicht den wertigen Aufschnitt vom lokalen Schlachter oder den lokalen Bäcker, sondern geht dann wieder zum Discounter zurück.
Anna Boettcher: In Vinnum gibt es auch nur wenige, die nicht mobil sind und nicht nach Olfen kommen könnten. Zur Not gibt es auch noch den Bürgerbus. Wenn ich möchte, kann ich woanders einkaufen als im Dorfladen.
Wenn das ganze Projekt gescheitert wäre an der Kaufkraft oder an der Förderung oder daran, dass man nicht genügend Gesellschafter zusammenbekommen hätte - wo wäre Vinnum heute ohne Dorfladen?
Thomas Lohmann: Ich glaube, ohne Dorfladen - das kann sich der Vinnumer heute gar nicht mehr vorstellen.
Lars Hittscher: Das ist wirklich so. Gar nicht mal, weil wir hier unbedingt einkaufen müssen. Sondern, weil das einfach der Treffpunkt fürs Dorf geworden ist. Und zwar nicht einmal im Jahr, weil Schützenfest ist, sondern wirklich tagtäglich. Weil man hier unter Leute kommt. Was total zieht, ist der Treffpunkt-Charakter. Das ist das Herzstück des Dorfladens, dass sich hier das Dorf wieder trifft wie früher vielleicht bei der Sparkasse am Schalter. Man kommt miteinander wieder in Austausch. Und das mögen, glaube ich, auch viele: Die kommen natürlich hier her, um einzukaufen, aber auch um die Atmosphäre zu haben. Weil man weiß, dass man immer irgendjemanden trifft, mit dem man kurz noch sprechen kann und dadurch im Dorf aktiv bleibt. Das ist, glaube ich, unser Haupt-Zugpferd für diesen Laden. Es ist ein familiäres Einkaufen. Die Kunden kennen die Angestellten und die Angestellten kennen die Kunden.
Anna Boettcher: Auch für Kinder ist das toll, das sehe ich an meinen eigenen. Die können jetzt mit ihrem Taschengeld auch etwas kaufen. Früher kam jeden Tag der Eiswagen, da konnten sie ein Eis kaufen. Ansonsten konnten sie den Umgang mit Geld gar nicht erlernen. Jetzt können sie gucken, wie viel Geld habe ich und was kann ich dafür kaufen? Also für die Kinder allein ist das schon ganz positiv.
- Mitte April 2018 unterzeichneten Gesellschafter und Geschäftsführung beim Notar den Gründungsvertrag der Kleinunternehmergesellschaft: Der Dorfladen Vinnum war geboren.
- Das Startkapital von 100.000 Euro setzte sich zusammen aus Fördermitteln, einem Zuschuss der Stadt und dem Geld der Vinnumer. Sie konnten Anteile für mindestens 250 Euro an der Unternehmergesellschaft kaufen.
- Es folgte viel Arbeit, um aus dem Räumen im ehemaligen Haus Rath an der Hauptstraße 33 auf 170 Quadratmetern einen richtigen Supermarkt einzurichten. Viele Vinnumer halfen ehrenamtlich mit.
- Die ersten Kunden kamen am 28. September 2018 in den Dorfladen - am Sonntag darauf wurde die Eröffnung noch einmal gefeiert.
- Bereits nach einem Jahr übertrifft der Dorfladen Vinnum die Erwartungen der Projektberater. 30 Prozent über den Erwartungen lag der Umsatz im ersten Jahr, täglich kommen rund 200 Kunden.
- Seit November 2022 gibt es einen neuen Laden-Leiter: Christian Lohmann-Bohle.
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