Sommerfest

Rolli-Parcours und Spezial-Karts: Nordkirchen lebt Inklusion in der Praxis

Das Gelände der Kinderheilstätte in Nordkirchen verwandelte sich am Samstag in eine Bühne für gelebte Inklusion. Menschen mit und ohne Behinderungen kamen sich durch besondere Aktionen näher.

Nordkirchen

, 12.06.2022 / Lesedauer: 5 min

Vor- und Rückwärtsfahren, Slalom sowie Rampe: Haken dran. Gleiches gilt für Hindernisse, Bordstein und Wenden. Stolz halten Ben und Luis Bäumer ihren Rolli-Führerschein in den Händen. Doch zuvor mussten die beiden Jungs aus Südkirchen dafür in einem Parcours mit Hütchen und anderen Hürden einiges leisten, denn eigentlich sitzen sie in ihrem Alltag gar nicht in einem Rollstuhl.

Doch für eine kurze Zeit haben sie sich am Samstag (11. Juni) beim Sommerfest auf dem Gelände der Kinderheilstätte in Nordkirchen in diese Situation hineinversetzen können. Das Thema Inklusion steht bei den Aktionen an diesem Tag im Fokus. Alles ist darauf ausgerichtet, dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigung sich treffen und zusammen die Programmpunkte entdecken.

Die Gemeinde Nordkirchen und die Kinderheilstätte organisierten in diesem Jahr gemeinsam dieses Sommerfest, passend zum 1000-jährigen Jubiläum. „Solche inklusiven Feste sind gerade in Nordkirchen, wo die Kinderheilstätte mitten in der Gemeinde ihren Standort hat, enorm wichtig. So kann man sich der Gesellschaft öffnen“, erklärt Thomas Pliquett, Leiter der Einrichtung.

Kart-Strecke sorgt für Begeisterung und lange Schlangen

Eines der Highlights ist die Kart-Strecke auf dem großen Parkplatz hinter der Kinderheilstätte. Lange Schlangen bilden sich vor der mit Hütchen abgesteckten Rennbahn. Die Besitzer der schnellen Autos hatten einen ziemlich langen Weg vor sich. Denn eigentlich sind sie in Oberbayern zuhause. „So weit sind wir noch nie gefahren, aber wir haben das natürlich gemacht für so ein tolles Fest“, erklärt Barbara Lada.

Die Kart-Strecke ist eines der Highlights auf dem Sommerfest. Johannes Schmuch saß zum ersten mal in einem solchen schnellen Flitzer. © Leonie Freynhofer

Der Clou an den Karts: Mechaniker Günther Geier ist der Hauptfahrer und lenkt den blauen Flitzer um die Ecken. Die Beifahrer haben aber ebenfalls das Gefühl zu fahren, denn auch auf ihrer Seite ist ein Lenkrad angebracht. So können Menschen mit und ohne Beeinträchtigung in rasanter Geschwindigkeit über den Asphalt brausen. Für den Südkirchener Johannes Schmuch war die Fahrt eine Premiere. „War mega cool“, resümiert er und streckt mit einem breiten Grinsen beide Daumen nach oben. Doch auch der Sambazug „La Mariposa“ hat es ihm angetan. Mit ihren wummernden Trommelschlägen und dem Gesang übertönt die Gruppe in ihren roten Outfits alle Gespräche und sogar das laute Kart-Fahrzeug.

Europas größte inklusive Tanzband auf der Bühne in Nordkirchen

Kaum zu übersehen ist auf dem Gelände die große schwarze Bühne, auf der bis in den späten Abend verschiedene Gruppen auftreten. Eine von ihnen ist in der Vergangenheit sogar schon mal im nationalen Fernsehen zu sehen gewesen: die „Funkys“. Sie sind Europas größte inklusive Tanzband und 2019 beim Supertalent bis ins Halbfinale gekommen.

Die „Funkys“, Europas größte Tanzband, heizte mit ihren Tanzmoves dem Publikum ein. © Leonie Freynhofer

Für die Gruppe war der Auftritt in Nordkirchen fast ein Heimspiel, denn eigentlich wird in Münster trainiert, erklärt der Vorsitzende Hanno Liesner. 15 von eigentlich 260 Tänzer heizen in ihren schwarzen und lila Glitzerkostümen - die Outfits für die Saison - dem Publikum mit ihrer Musik und den Tanzmoves ordentlich ein. Die Zuschauer klatschen im Takt und versuchen sich an den Choreos der Profis. „Für uns war es erst der dritte Auftritt nach den zwei Coronajahren. Normalerweise haben wir 60 Shows im Jahr. Und ich bin richtig zufrieden“, erklärt Hanno Liesner nach der Showeinlage seiner Gruppe.

Wer es lieber etwas sportlicher mag, kommt auf dem Sommerfest ebenfalls auf seine Kosten. Riesengroße durchsichtige Bälle, in die genau eine Person in die Mitte passt, kugeln über die Wiese abseits der Hauptbühne. Der ein oder andere versucht sich sogar im Kopfstand. Bei dem Sohn von Yvonne Leppmann braucht es einige Anläufe und dann doch die Hilfe von Mama, bis die Füße in der Luft baumeln. Die beiden sind aus Lüdinghausen angereist und haben am Samstagnachmittag schon fast alle Aktivitäten ausprobiert. „Alles bis auf das Kartfahren, da muss er noch ein bisschen die Scheu verlieren“, erklärt Leppmann.

Sportlich ging es mit den großen durchsichtigen Bällen zu. Der Sohn von Yvonne Leppmann versuchte sich sogar im Kopfstand. © Leonie Freynhofer

Ein wenig ruhiger geht es im Innenhof direkt gegenüber des Spielplatzes zu. Mehrere Rollstühle warten dort auf Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, um in einem Parcours ausgetestet zu werden. Professionelle Anleitung gibt es von Axel Jörgens vom Behinderten- und Rehabilitationssportverband NRW. „Auf die Greifreifen fassen und ganz schnell anfahren. Ja genau so, dann kommt man über kleine Hindernisse“, erklärt er gerade die Herangehensweise bei der Reifenüberquerung.

Inklusiver Rolli-Parcours für Menschen mit und ohne Behinderung

Am Ende gibt es für jeden einen Rolli-Führerschein. „Das ist so ein kleiner Anreiz, den wir schaffen wollen“, erklärt Jörgens, der noch einen ganzen Stapel im Schoß liegen hat. Die Zielsetzung dieser Aktion sei, zu sensibilisieren und nicht behinderte und behinderte Menschen zusammenzubringen. Für Stefanie Bäumer, die Mutter von Luis und Ben, die bereits ihren ersten Führerschein in den Händen halten, ein gelungener Programmpunkt: „Ich find das mega inklusiv. Denn wann werden die Kinder damit im Alltag konfrontiert? Viele haben da vielleicht auch Hemmungen. Und so lernen sie einen respektvollen Umgang.“

Menschen mit und ohne Behinderung hatten die Möglichkeit einen Rolli-Parcours zu durchlaufen. Vorher gab es auch für Luis und Ben Bäumer Tipps von Profi Axel Jörgens. © Leonie Freynhofer

Die dreijährige Mila braucht am Samstag keinen der gestellten Rollis, denn sie sitzt bereits seit sie ein Jahr ist in einem, erklärt ihre Mama Ricarda Heimann. In Nordkirchen kann sie ihren Eltern und Großeltern dann mal zeigen, wie man so einen Parcours richtig durchfährt. „Komm Mila, erst du über die Rampe und dann ich“, animierte ihre Mutter die Dreijährige. Mila ist nicht nur um die Hütchen ein richtiger Profi. Denn sie macht in der Selmer Gruppe „sit‘n‘skate“ mit, wo Rollifahrer im Skatepark unterwegs sind.

Zwölf solcher Aktionen gab es Samstag insgesamt auf dem Gelände zu entdecken, sechs davon konnten in einem lila Stempelheft abgehakt werden. Zusätzlich waren Clowns, eine Seifenblasen-Frau und andere Animateure für die Kinder im Einsatz. Für Tourismusmanagerin Maike Teetz ist die Veranstaltung schon am frühen Abend ein voller Erfolg. „So viel war hier lange nicht mehr los. Und es gibt eben nicht nur Informationen, sondern auch total viele Mitmachaktionen. Gerade das finde ich bei einem Thema wie Inklusion so schön.“

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