
Wenn es kühl wird, setzt das Weibchen sich noch mit auf das Nest. Sehr schön zu erkennen, ist hier das Nesthäkchen der Truppe. © Heidi Tripp
„Das ist die Natur“: Amselfamilie in Nordkirchen durchlebt turbulente Zeit
Amseln
In einem Nordkirchener Garten spielt sich ein Amseln-Drama ab: mit Räubern, hilflosen Jungvögeln und einem alleinerziehenden Vogelvater. Ein Experte erklärt, mit welchen Problemen die Tiere kämpfen.
Der Gesang der Amseln wird in der Musikersiedlung in Nordkirchen durch eine ganz besondere Stimme bereichert. Dieser Sänger pfeift unermüdlich von den Dächern obwohl er „alleinerziehend“ ist. Nur eines seiner vier Nestlinge hat überlebt. Sein Weibchen hat ihn verlassen, er zieht den Jungvogel allein groß und singt kein bisschen leiser.
Selbstverständlich dient seine ausgefallene Frühlings-Konzertreihe nicht zur Unterhaltung der Anwohner, sondern der Sänger steckt sein Revier ab und buhlt gleichzeitig, um die Gunst der Weibchen. Dieses Amselmännchen ist außerdem nicht nur an seinem markanten Zwitschern gut zu erkennen, sondern auch an einer federlosen Blessur über dem linken Auge und daran, dass ihm momentan noch sein einziges flügge gewordenes Jungtier folgt.
Amseln brüten bis zu vier Mal hintereinander
Was als Romanze im Geräteschuppen eines Gartens im Mai beginnt, entpuppt sich leider als Thriller, bei dem eine Hauskatze den mutmaßlichen Serienmörder spielen wird.
Das Amselweibchen baut ein schalenförmiges Nest aus Moos, Flechten, Halmen, Blättern und Lehm. Zwischen März und Mai, der Kernbrutzeit der Amseln, brüten die Tiere mindestens zwei Mal. In Städten sogar bis zu vier Mal, sagt Ornithologe Klaus Nowack aus Werne. Viel zu tun in kurzer Zeit. 11 bis 15 Tage brütet das Weibchen die Eier aus, während das Männchen sie füttert, damit sie das Nest nicht verlassen muss.

In der zweiten Lebenswoche der Nestlinge schreitet ihre Entwicklung schnell voran. © Heidi Tripp
In dem Garten in Nordkirchen sucht sich das Amselpaar einen Platz an einem alten Schuppen aus. Im Abstand mit je einem Tag legt das Weibchen nun vier Eier, nach 14 Tagen schlüpfen die Nestlinge. Normalerweise bleiben die Nestlinge etwa 15 Tage im Nest und betteln bei beiden Eltern um Futter. Jeden Tag werden sie größer, neugieriger und ein Gefieder zeigt sich langsam. Die Elterntiere suchen pausenlos nach Regenwürmern, Schnecken, Käfern, Spinnen und anderen wirbellosen Insekten.
Als die Nestlinge etwa zehn Tage alt sind, verschwindet ein Junges spurlos aus dem Nest. Das Amselweibchen muss in einen Kampf verwickelt gewesen sein, denn ihr fehlen nun die Schwanzfedern bis auf eine. Eine Tomatenstange liegt am Boden und die Vermutung, ein Räuber habe das Nest von unten angesprungen, liegt nahe. Zwei Tage später ist das Nest vollkommen verwaist und ein weiteres Junges bleibt verschwunden.
Experte rät: erst beobachten, dann vielleicht handeln
„Für Vogeljunge in den Nestern in unseren Gärten gibt es viele Gefahren. Hauskatzen, die zwar eigentlich satt sind, aber ihren Jagdinstinkt nicht abstellen können, etwa. Aber auch Ratten gehören zu den Feinden der Brut“, sagt Klaus Nowack. Bei solchen Angriffen können die jungen Vögel auch „vor Panik aus dem Nest springen“. Der Experte rät: Nach solchen Angriffen sollten Gartenbesitzer die Situation erst einmal genau beobachten. „Jungvögel sind immer in Rufkontakt zu den Eltern. Sie werden weiter gefüttert“, erklärt Nowack. Jungvögel die hilflos am Boden oder auf der Straße sitzen, könne man anfassen und ins Gebüsch setzen, damit sie vor Katzen oder Verkehr sicher sind, rät Nowack. Amseleltern versorgen ihren Nachwuchs auch außerhalb des Nestes weiter mit Nahrung. „Der Fütterinstinkt ist so ausgeprägt“, erklärt Nowack.

Der letzte Nestling rettet sich auf eine Fensterbank. Während seine Eltern den Kampf gegen die Nachbarskatze verlieren. © Heidi Tripp
Doch es gebe auch Fälle, da könne der Mensch nicht helfen. Zu junge Vögel, die aus dem Nest gefallen sind, kriegen Menschen in aller Regeln nicht per Hand gefüttert und aufgezogen. Auch aus Hunger verlassen Jungvögel manchmal das Nest. „Das ist die Natur“, sagt Nowack und verdeutlicht die Härte der Natur mit Zahlen. Bei Kohlmeisen könnten zehn oder elf Eier im Nest liegen. Nur drei bis vier junge Kohlmeisen würden am Ende durchkommen, so Nowack.
Katze erwischt Jungvogel
In Nordkirchen fliegen die Amseleltern später in zwei unterschiedliche Hecken. Sie haben die zwei verbliebenen Nestlinge unter sich aufgeteilt und füttern sie zunächst fleißig gemeinsam weiter. Der Nachwuchs ist noch sehr unbeholfen. In einer Mischung aus Hüpfen und Fliegen, reisen die kleinen Amsel-Bruchpiloten durch den Garten. Das endet nach einigen Tagen für ein Junges tödlich. Das Amselpaar kann nicht verhindern, dass eine Katze den Jungvogel erwischt.

Der Jungvogel ist immer hungrig und noch nicht ganz bereit allein zu speisen, der Sänger füttert ihn. © Heidi Tripp
Vereint jagen sie den Angreifer im Tiefflug die Straße runter, aber für seine Beute kommt jede Hilfe zu spät. Der letzte Nestling rettet sich auf eine Fensterbank. Um ihn kümmert sich von nun an nur noch der Sänger. Das Amselweibchen sucht sich einen neuen Partner und sammelt bald darauf wieder Nistmaterial.
Amselpopulation geht es nicht gut
“Auch wenn die Amselkinder nach etwa 35 Tagen flügge werden, betteln sie noch bei ihren Eltern um Futter“, sagt Klaus Nowack. Manchmal mit Erfolg, doch eigentlich könnten sie sich selbst ihr Lebendfutter suchen.
Wirklich gut würde es den Amseln aber derzeit allgemein nicht in der Region gehen, so der Ornithologe. Zum einen habe sie ein Virus dezimiert. Zum anderen leiden sie unter Nahrungsmangel. Es gebe zu wenige Insekten. Auch Brutplätze sind rar. In Nordkirchen gelingt es dem Männchen immerhin auch allein, sein letztes Junges großzuziehen, ohne seine außergewöhnlichen Konzerte von den Dächern der Musikersiedlung vernachlässigen zu müssen.
Seit rund zehn Jahren im Lokaljournalismus zu Hause – erst am Niederrhein, dann im Ruhrgebiet und Münsterland. Beschäftigt sich am liebsten mit menschlichen und lokalpolitischen Geschichten.
