
Und dann waren sie plötzlich weg, die Alltagsmenschen in Nordkirchen. Am Dienstag (18. Oktober) hat ein sechsköpfiges Team einen Teil der Skulpturen teilweise mit einem Radlader in zwei Lkws geladen. © Leonie Freynhofer
Radlader und 100 Decken: Alltagsmenschen aus Nordkirchen abtransportiert
Ausstellung geht zu Ende
Leer ist es geworden in Nordkirchen. Die Alltagsmenschen haben am Mittwoch (18. Oktober) ihre letzten Stunden in der Gemeinde verbracht. Beim Abbau der Figuren wurden große Geschütze aufgefahren.
Die drei Nonnen, zwei Bauarbeiter, der Opa mit Kind und Claudia, die sonst vor dem Heimathaus in Capelle stand, sind bereits in dicke graue Decken gehüllt und nebeneinander in zwei großen Lkws aufgereiht. Die Alltagsmenschen treten ihren Heimweg an und reisen von Nordkirchen wieder zurück nach Witten. Sieben Monate haben sich die lebensgroßen Betonskulpturen der Künstlerinnen Christel und Laura Lechner in den Alltag der Gemeinde eingefügt und sind zu echten Mitbewohnern geworden. Eine der schwersten Figuren hat das sechsköpfige Abbau-Team am zweiten Transporttag (18. Oktober) aber noch vor sich.
Rund 240 Kilo wiegt die „Frau mit Pelz“, die seit April dieses Jahres auf dem Kreisverkehr in Nordkirchen ihren Platz gefunden hat. Ein Angestellter vom Bauhof steht schon mit einem Radlader bereit für seinen Einsatz. Denn während viele der anderen Skulpturen mit einer einfachen Sackkarre in die Lkws geladen werden können, braucht es für einige Figuren größere Geschütze. „Wir könnten die zwar auch so bewegen, aber das wäre einfach nur Quälerei“, ist sich Lechner-Mitarbeiter Holger Patt sicher.

Gestützt von Thorsten Leimbach und einem Mitarbeiter des Bauhofs schafft es die „Frau mit Pelz“ sicher in den Lkw. © Leonie Freynhofer
Angeleitet von Thorsten Leimbach, ebenfalls Angestellter beim Lechner-Hof, schiebt sich der Radlader langsam unter die Figur, die für bessere Stabilisation auf einer Eisenplatte befestigt ist. Bereits am frühen Dienstagmorgen hatte Leimbach die Skulptur von einer weiteren Platte abgeschweißt.

Knapp aber passt noch: Einige der Alltagsmenschen entsprechen von der Größe her gerade so den Maßen des Lkws. © Leonie Freynhofer
In Schrittgeschwindigkeit und mit zwei menschlichen Stützen wird die Fracht zum nahestehenden Fahrzeug gebracht. Einmal im Lkw ist die schwerste Arbeit dann vorbei. Erleichterung legt sich auf die Gesichter der Männer. Nun hüllt Leimbach die übergroße Figur in eine dicke Decke und schnürt sie mit mehreren Bändern fest. Geschafft.
480 Kilo-Figur am Schloss Nordkirchen abtransportiert
Ein paar mehr Figuren müssen Holger Patt und Klaus Diekmann an anderer Stelle in Nordkirchen verladen. Die „Reise nach Jerusalem“ umfasst ganze 12 Alltagsmenschen. Rund zwei Stunden sind die Männer beschäftigt. „Wir sind aber noch im Zeitplan“, weiß Patt am Dienstagmittag und schraubt weiter die Nägel aus den Stühlen. Ein genaues Konzept für das Einladen gibt es nicht. Was das Team vom Lechnerhof weiß, ist, dass 20 Figuren in ein Fahrzeug passen. „Wie die am Ende drinstehen, ist egal. Wir schauen einfach, wie es vor Ort am geschicktesten ist“, erklärt Holger Patt.

Viele der Alltagsmenschen können wie hier beim Standort „Reise nach Jerusalem“ mit einer Sackkarre abtransportiert werden. Leicht ist die Arbeit für Lechner Mitarbeiter Holger Patt aber nicht. © Leonie Freynhofer
Bereits am Montag (17. Oktober) hat das sechsköpfige Team - vier Männer vom Lechner Hof und zwei vom Bauhof - viele der Alltagsmenschen abtransportiert. Darunter auch die drei Frauen auf dem Floß direkt am Schloss Nordkirchen. Für das Berliner Paar ganz in der Nähe mussten die Männer all ihre Kräfte einsetzen – und den Radlader. 480 Kilo wiege allein die Frau mit Schirm, weiß Lechner-Mitarbeiter Markus Wortmann. „Wir haben die Figuren erst auf die Seite kippen müssen und dann mit Styropor geschützt.“
Vorsichtige Heimreise nach Witten
Insgesamt ist das Team in Nordkirchen 12 Stunden im Einsatz. Doch mit dem Abbau der Figuren ist nur eine von drei heiklen Aufgaben erledigt. Für die Männer steht vor dem schweißtreibenden Ausladen in Witten nämlich noch die gut 75 Kilometer lange Tour zurück ins Atelier an.

Einmal im Lkw positioniert werden die Skulpturen in dicke Decken gehüllt und mit Gurten an die Wände geschnürt. © Leonie Freynhofer
Dort nehmen die Künstlerinnen Christel und Laura Lechner die Skulpturen dann wieder im Empfang. Bevor es so weit ist, gilt es die Lkws vorsichtig über die Landstraßen und die Autobahn zu bugsieren. Zwei Fahrzeuge haben es am Montag schon ohne Komplikationen geschafft. Zwei weitere sollen noch folgen.

Jede Figur hat in den Transportfahrzeugen ihren Platz. Ein genaues Konzept beim Verladen gibt es aber nicht. © Leonie Freynhofer
Auch wenn die Figuren dick in graue Decken eingepackt und mit Bändern festgeschnürt sind, kann immer mal etwas verrutschen, weiß Klaus Diekmann. „Die Alltagsmenschen sind eigentlich robust. Daher passiert auch selten etwas. Aber in Kurven müssen wir trotzdem besonders vorsichtig fahren. Die Fahrzeuge sind ja ziemlich voll und schwanken dementsprechend. Da hat man schon Angst, dass die Lkws zu Schiffsschaukeln werden.“
Figuren werden gesäubert und aufgehübscht
Bei einer Figur brauchen sie sich aber weniger Sorgen machen: dem kleinen Jungen, der bis Dienstag (18. Oktober) noch neben dem Opa am Kreisverkehr in Südkirchen stand. Unbekannte Personen hatten die kleine Skulptur vor einigen Wochen mutwillig zerstört, sodass nun mehrere Teile auf der Ladefläche landen.
Doch in die Mülltonne kommt die Figur nicht. „Die wird im Atelier wieder repariert“, betont einer der zuständigen Helfer vom Bauhof der Gemeinde Nordkirchen. Durch die Bruchstellen an der Skulptur wird auch deutlich, wie die Künstlerinnen Christel und Laura Lechner arbeiten. Denn die Alltagsmenschen sind nicht komplett aus Beton gefertigt, sondern bestehen im Inneren aus Styropor.
Aber nicht nur der kleine Junge bekommt eine Generalüberholung. Auch die anderen Alltagsmenschen werden im Atelier in Witten zunächst gesäubert und ein wenig aufgehübscht, erklärt Mitarbeiter Holger Patt. Bis nächstes Jahr fallen sie dann in eine Art Winterschlaf. Denn dieses Jahr gibt es keine Ausstellung mehr. Erst 2023 werden sie unter anderem in Rees wieder in das alltägliche Leben der Städte und Gemeinden eingefügt.
Seit 2016 hat mich der Lokaljournalismus gepackt. Erst bei der NRZ und WAZ gearbeitet, dann in Hessen bei der HNA volontiert. Nun bei den Ruhr Nachrichten als Redakteurin zu Hause. Wenn ich nicht schreibe und recherchiere, bin ich in den Bergen beim Wandern und Klettern unterwegs.
