Dr. Oliver Kösters (l.) wird dem neuen Bevollmächtigtenausschuss angehören. Er sprach zur Gemeinde zusammen mit dem Superintendenten Holger Erdmann (r.). © Sylvia vom Hofe

Evangelische Gemeinde

Ärger in der Kirche: So geht es weiter in Nordkirchen und Lüdinghausen

In der evangelischen Gemeinde brodelt es. Die eine Pfarrerin geht, die andere steht in der Kritik, und das Presbyterium hat sich aufgelöst. Wie es weitergeht, war Thema einer Versammlung.

Nordkirchen

, 12.09.2021 / Lesedauer: 4 min

Vielleicht ist es nur ein Zufall: Auf der Homepage der evangelischen Kirchengemeinde Lüdinghausen ist aktuell dieses Jesus-Wort zu lesen: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“ Mühselig und beladen fühlen sich in der Gemeinde gerade viele.

Das hat die Gemeindeversammlung am Freitagabend (10. 9.) im Gemeindezentrum am Stephanusweg in Lüdinghausen deutlich gezeigt. Ob sie auch weiter herkommen werden oder lieber wegbleiben, ist noch offen. Immerhin: Nach zwei Stunden Diskussion liegt nicht nur eine Liste von Problemen offen, sondern gibt es auch eine Strategie, sie in den nächsten 12 bis 15 Monaten aufzuarbeiten - möglichst gemeinsam, wie Superintendent Holger Erdmann sagte, der seit rund einem Jahr der leitende Pfarrer des 107.000 Mitglieder zählenden Kirchenkreises Münster ist.

Gemengelage aus vielen Schwierigkeiten und Problemen

In der Gemeinde Lüdinghausen, zu der auch Nordkirchen, Südkirchen und Capelle sowie Seppenrade gehören, ist einiges zusammengekommen: In den rund 18 Monaten Pandemie hatte das Gemeindeleben ohnehin gelitten. Gottesdienste und Treffen mussten wie andernorts auch ausfallen. Taufen und Trauungen wurden aufgeschoben, Neueintritte gab es kaum, dafür weiter Todesfälle und Kirchenaustritte.

Genau in dieser Zeit musste die Ende 2018 neu gewählte Pfarrerin Jenny Caiza Andresen ihr eigenes Profil finden in Nordkirchen, wo der im Februar 2021 verstorbene Gerhard Born rund 30 Jahre als Pfarrer gewirkt hatte. Dabei traten Spannungen auf, die mit der Kündigung der langjährigen, beliebten Gemeindesekretärin und dem Rücktritt von sieben der zehn Presbyter ihren Höhepunkt fanden. Zeitgleich erfuhr die Gemeinde, dass die zweite Pfarrerin, Silke Niemeyer, als Referentin der Präses der evangelischen Kirche Westfalen nach Bielefeld wechselt und die Nachbesetzung der vollen Pfarrstelle eher unwahrscheinlich ist. Denn das ganze örtliche Malheur fällt in eine Zeit des überregionalen Wandels.

Personalmangel, Mitgliederschwund, Finanzprobleme

Drastisch rückläufig ist nicht nur die Zahl der Kirchenmitglieder, sondern auch die der Pfarrerinnen und Pfarrer und die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Eine schwierige Gemengelage. Damit auch künftig Gemeindeleben funktioniert, müsse Kirche „offen, flexibel und zeitgemäß organisiert sein“, fordert die Evangelische Kirche Deutschland (EKD). Dafür gibt es auch ein einziges Wort: Strukturwandel.

Superintendent Holger Erdmann sagte, dass die Zeiten, als eine Pfarrstelle für 3000 Gemeindemitglieder angesetzt war, vorbei sind. Die Gemeinde Lüdinghausen hat zurzeit 6134 Mitglieder. © Sylvia vom HOfe

Fast 60 Menschen drängten sich im Gemeindezentrum Lüdinghausen, um zu erfahren, wie es weitergeht. „Ich bin total schockiert“, sagte eine Mutter von drei Kindern über den fast geschlossenen Rücktritt des Presbyteriums. Ein Mann aus Nordkirchen befand: „Die Gemeinde liegt total am Boden.“ Wie konnte das passieren? Von Pfarrerin Jenny Caiza Andresen erhielten sie keine Auskunft. Sie blieb an diesem Abend im Hintergrund. Der Superintendent moderierte. Dabei nahm er kein Blatt vor den Mund. „Die Situation ist total konfliktträchtig.“ Nur gemeinsam lasse sie sich verbessern. Dafür zeigte er die nächsten Schritte auf.

Kirchengemeinde ist nicht mehr handlungsfähig

Mit dem Rücktritt der sieben Presbyter ist das Leitungsgremium der Kirchengemeinde nicht mehr handlungsfähig: ein nicht haltbarer Zustand. Schließlich müssen die laufenden Geschäfte weitergehen. Die Kirchenordnung sieht für diesen Fall vor, Bevollmächtigte zu bestellen, die für ein- bis eineinhalb Jahre Aufgaben und Befugnisse des Presbyteriums wahrnehmen: Einer, der dort mitarbeiten wird, steht schon fest. Er ist kein Unbekannter in Lüdinghausen.

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Dr. Oliver Kösters war bis 2011 fünf Jahre lang als Pfarrer in Lüdinghausen tätig. Er ist inzwischen Pfarrer von Havixbeck und als Synodalassessor der Stellvertreter von Superintendent Erdmann. Auch noch ein anderes Mitglied aus dem Leitungsgremium des Kirchkreises wird mitmachen. An ihre Seite gesellen sich die verbliebenen Presbyter, wenn sie denn wollen, sowie Menschen aus der Gemeinde, die Kösters ansprechen will. Ob darunter auch ehemalige Presbyter sein werden, wie jemand fragte, blieb offen. Stattdessen sagte Kösters: „Wir brauchen euch, das geht nicht anders.“ Wechselseitiges Verzeihen sei eine Voraussetzung, damit der gemeinsame Weg gelinge.

Pfarrerin Jenny Caiza Andresen äußerte sich nicht während der Gemeindeversammlung in Lüdinghausen. © Sylvia vom Hofe

Dass die Stelle von Pfarrerin Niemeyer nicht 1:1 neu besetzt wird, steht für Superintendent Erdmann fest. Die Landeskirche habe beschlossen, dass ab 2025 nur noch eine Pfarrstelle auf 4000 Gemeindemitglieder entfallen dürfe: eine Herausforderung, der sich früher oder später alle Gemeinden stellen müssten.

Neuer Pfarrer kommt ab Januar - für ein Jahr

Gleichwohl werde Pfarrerin Caiza Andresen nicht alleine bleiben. Vielleicht kommt jemand aus einer anderen Berufsgruppe: ob Diakon, Kirchenmusiker, Jugendreferent oder Gemeindemanager. Oder es gibt doch einen neuen Pfarrer, doch der wird auch noch Aufgaben in der Nachbarschaft übernehmen müssen. Auch eine Befristung sei denkbar. „Wir sollten das in Ruhe entscheiden“, sagte Erdmann. Um diese Zeit zum Nachdenken zu haben, werde ab Januar 2022 für ein Jahr ein Pfarrer aus dem Ruhrgebiet kommen. Den Namen wollte er noch nicht bekanntgeben. Die Hälfte seiner Arbeitszeit wird er der Verrichtung von Pfarraufgaben widmen. Die andere Hälfte nutzt er, „um mit der Gemeinde zu besprechen, wohin die Reise gehen soll“.

Arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung nach Kündigung

Für Stephanie Paulig, die entlassende Nordkirchener Gemeindesekretärin, geht die Reise zum Arbeitsgericht. Deshalb könne er sich nicht dazu äußern, sagte der Superintendent. Auch die Presbyter - ob nicht amtierend oder ausgeschieden - seien zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Erquickt hat niemand die Gemeindeversammlung am Freitag verlassen. Aber immerhin hoffnungsfroh. „Es geht weiter“, sagte eine Frau: „Ich freue mich auf den Neuanfang.“

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