Eines der seltenen Bilder von Günther Zimmermann. Von ihm existieren nur ein paar Passfotos.

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Zimmermanns zwei Seiten – ein Sonderling vererbt Millionen

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Ein Sonderling stirbt allein und ungepflegt als armer Mann – und vererbt nach seinem Tod 4 Millionen Euro an sozialen Einrichtungen. Die Geschichte von Günther Zimmermann.

Dortmund

, 29.05.2020, 20:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Ein Mann, den sie in seiner Nachbarschaft für einen verschrobenen, alten Kauz gehalten haben, stirbt im Alter von 78 Jahren an Krebs. Er ist einerseits ein armer Mann, er ist allein, ungepflegt, ein Sonderling. Er ist andererseits ein reicher Mann, er hat ein Vermögen von rund vier Millionen Euro gemacht. Kurz vor seinem Tod hat er das fast komplett an diverse soziale Einrichtungen vermacht.

Es war das Licht einer Straßenbahn, das Günther Zimmermann zu dem Außenseiter machte, der er war. Am 1. Januar 1945 kamen die Bomber nach Dortmund, sie waren auf dem Weg zu Industrieanlagen im Norden, in der Stadt war Verdunkelung angeordnet worden und die Sirenen heulten los. Die Alarmmeldung kam sehr spät.

Der Artikel über Günther Zimmermann erschien bereits am 1. Juni 2012. Es war eine ungewöhnliche Recherche. Und ein Text, der für Furore sorgte, weil er keine Quellen nennt, aber als Musterbeispiel für Storytelling gilt.

Es regnete Bomben

Ein Straßenbahnfahrer hielt seine Bahn auf dem Westfalendamm an, stieg aus und machte, dass er in Sicherheit kam. Er vergaß dabei, die Beleuchtung der Bahn auszumachen – kurze Zeit später regnete es im Umkreis Bomben. Das Haus der Zimmermanns bekam einen Volltreffer, seinem Bruder zerriss es die Lungen und die Mutter klagte vor dem Haus: „Warum musste das Dieterchen sterben und nicht der Günther?“ Man muss diese Geschichte aus dem Januar 1945 kennen, um zu verstehen, wie einer werden kann, wie jemand jegliche Sozialkompetenz verliert und sie nicht wieder lernt.

Seit 1987 war Zimmermann allein

Die Sätze der Mutter arbeiteten in dem damals zwölfjährigen Kind. Günther zog sich zurück, wurde ein Sonderling und es war da niemand, der ihn aus sich herausholte. Und je länger Menschen ihre Marotten pflegen, umso stärker werden sie. Eigentlich ist der normale Günther Zimmermann oder der, der er hätte werden können, in dieser Januarnacht zusammen mit seinem Bruder gestorben.

Was blieb, war der Kauz, der Zeit seines Lebens in diesem Haus in der Gartenstadt wohnte – erst mit Eltern und Großeltern, dann mit Mutter und Großmutter, ab 1987 war Zimmermann allein.

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Es dürfte ihn nicht gestört haben. Zimmermann konnte nicht mit seiner Umwelt, konnte nicht das, was man gemeinhin Konversation nennt. Er konnte andere Sachen. Er wusste, dass man Papiere aufheben sollte, auf der Rückseite war ja noch kostbarer Platz, den man beschreiben konnte.Versicherungen waren zu teuer Als sie Zimmermann beerdigten, kam containerweise Papier aus seinem Haus.

Auf einem dieser Papiere hatte er seinem alten Arbeitgeber, dem TÜV Nord, unterschreiben müssen, dass er niemals Ansprüche an den TÜV erhebt, da er nicht krankenversichert sei. Zimmermann hatte außer der Autoversicherung überhaupt keine Versicherung – zu teuer.

Abgesehen von seiner Mutter und seiner Großmutter gab es noch eine Frau in Zimmermanns Leben, es war in den jungen Jahren. Sie kamen bis kurz vor die Verlobung, weiter kamen sie nicht, die Frau ging ihrer Wege. Es sollte keine andere mehr kommen.

Monologe sprudelten aus ihm heraus

Er wollte wohl auch irgendwann niemanden mehr in seinem Leben sehen. Besucher kamen nie in das Haus mit seinen guten 160 Quadratmetern Wohnfläche, sie wären wahrscheinlich schnell wieder gegangen: feucht und muffig, überall Stapel, die Tapeten im Badezimmer hingen in Fetzen von der Decke.

Das Hausinnere wirkte ein bisschen so, wie Günther Zimmermann auf die wirkte, die ihn als Nachbarn wahrnahmen. Man wollte einfach schnell weiterkommen, was soll man schon mit einem Mann, der das Leben nur vom Zusehen kannte? Und er selber grüßte nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Auffällig war vielleicht noch, dass wenn man mit ihm dann doch ins Gespräch kam, er nicht mehr aufhörte zu reden, es sprudelte aus ihm heraus, man konnte ihn nicht unterbrechen, er, der komisch riechende Mann aus dem ungepflegten Haus mit dem ungepflegten Garten davor konnte dann Monologe über eine Stunde halten.

Die andere Seite des Günther Zimmermann

All das war die eine Seite von Zimmermann, die Außensicht auf den Kauz. Es gab noch eine andere. In einem von ihm handgeschriebenen Lebenslauf schreibt er: „Am 22.2.52 bestand ich als Jüngster meiner Klasse das Abitur.“ Dass das Bestehen des Abiturs am Humboldt-Gymnasium wegen „mangelnder sittlicher Reife“ in Frage gestellt worden war, erwähnte er nicht.

Aber Zimmermann war nicht dumm, er konnte mit Zahlen, studierte Bergbauwesen an der TU Aachen und ging durch sein Studium wie ein warmes Messer durch Butter. Er landete schließlich in verantwortungsvoller Position beim TÜV Nord. Für die Inbetriebnahme und die Kontrolle von Industrieanlagen braucht man keine Sozialkompetenz. Genauso wenig wie für die Analyse von Aktienkursen, für Risikoabwägung und Entwicklungstendenzen auf dem Wertpapiermarkt.

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Zimmermann machte in Aktien

Zimmermann machte nebenher in Aktien und er machte es gut: Am Ende seines Lebens hatte der Mann, der weder trank noch rauchte und von dem auch sonst keine Laster bekannt waren, ein Vermögen angehäuft, alles in allem rund vier Millionen Euro. Das wussten die wenigsten, es war eigentlich auch egal, er gab das Geld ja nicht aus, er brauchte es nicht und wichtig war nur, zu wissen, dass er reich war. Geld macht nicht glücklich, aber sicherer – und wenn es etwas gibt, was jemand braucht, der alleine durch sein Leben läuft, dann ist es wohl Sicherheit.

Dann kam der Krebs. Die Prostata. Zimmermann dachte lange, dass er das überstehen würde, noch bis zum März 2011 fuhr er täglich mit seinem Auto in die Stadt, um im Stade-Treff zu Mittag zu essen. Geparkt hat er übrigens immer kostenlos auf dem Lehrerparkplatz des Stadtgymnasiums, Parkplätze sind teuer. Dann wurde er schwächer, der Tumormarker stieg und stieg und es war da niemand daheim und schlussendlich kam er ins Hospiz.

Lange Liste mit Begünstigten

Eins der ersten Dinge, die er tat, war den Fernseher so einzuschalten, dass er von seinem Bett aus die Börsennachrichten sehen konnte. Mitarbeiter der Deutschen Bank und der Stadtsparkasse kamen vorbei, es gab noch dies und das und jenes zu regeln.

Am 12. Mai 2011 gegen halb acht starb Günther Zimmermann im Alter von 78 Jahren. Sein Nachlass wurde und wird an karitative Einrichtungen verteilt. Die Liste der Einrichtungen umfasst drei Din-A-4-Seiten. Hätte Zimmermann sie selbst geschrieben, hätte er wahrscheinlich nur anderthalb Seiten gebraucht.

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