Wie weit reicht Erdogans langer Arm?

Vorwurf: Spionage in NRW-Schulen

Der Verdacht, Landsleute in Deutschland für türkisch-islamische Zwecke zu manipulieren, wirft derzeit ein schlechtes Licht auf die Türkei. Neue Vorwürfe bergen besonderen Sprengstoff: Konsulate müssen aufklären, ob sie Kinder in deutschen Schulen infiltrieren wollen.

DÜSSELDORF

24.02.2017, 06:00 Uhr / Lesedauer: 2 min
Der türkische Staatspräsident Erdogan hat auch in Deutschland viele Anhänger - doch wie weit reicht seine Macht hierzulande?

Der türkische Staatspräsident Erdogan hat auch in Deutschland viele Anhänger - doch wie weit reicht seine Macht hierzulande?

Reicht der lange Arm des mächtigen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan etwa bis in deutsche Klassenzimmer hinein? Die jüngsten Vorwürfe, die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen derzeit prüfen, klingen ungeheuerlich: Türkische Generalkonsulate sollen bei „Informationsveranstaltungen“ türkeistämmige Lehrer und Eltern aufgefordert haben, Erdogan-Kritiker zu denunzieren - auch mit Fotos und Videos aus dem Unterricht. Außerdem soll bei den „Bildungstreffen“ ein „Lehrplan“ verteilt worden sein, der die türkische und muslimische Identität der Kinder sichern soll.

Das Schulministerium in NRW ist entsetzt: „Sollten sich die Vorwürfe gegen die Generalkonsulate in Düsseldorf und Essen und gegebenenfalls weitere Konsulate bewahrheiten, wäre dies für die Landesregierung absolut inakzeptabel“, sagte ein Sprecher in Düsseldorf.

"Alle haben Angst"

„Kronzeugin“ der sich mehrenden Berichte ist die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Demnach hat es solche Treffen am 22. Januar in türkischen Generalkonsulaten in NRW gegeben. Wie eine dpa-Umfrage ergab, sind ähnliche Vorfälle in anderen Bundesländern bislang nicht bekannt.

„Ich habe mit Teilnehmern gesprochen“, bestätigt der Vizevorsitzende der GEW NRW, Sebastian Krebs, der dpa. „Keiner traut sich, seinen Namen zu nennen. Alle haben Angst.“ Der Gewerkschafter schließt nicht aus, dass auch Schüler für Spitzeleien eingespannt werden sollten. Das Düsseldorfer Schulministerium verlangt von den Konsulaten unverzügliche Aufklärung - bislang gibt es allerdings keine Stellungnahme.

Umstrittener Auftritt von Yildirim

Die neue Spionage-Affäre ist ein weiteres Glied einer unrühmlichen Verdachtskette türkischer Einflussnahme in Deutschland. Erst in der vergangenen Woche hatte der Generalbundesanwalt in NRW und Rheinland-Pfalz Wohnungen von Imamen des türkisch-islamischen Moscheeverbands Ditib wegen Spitzel-Vorwürfen durchsuchen lassen.

Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes lieferten mindestens 13 Imame aus NRW Informationen nach Ankara. An die türkische Religionsbehörde Diyanet sind demzufolge Namen von 33 bespitzelten Personen und 11 Institutionen aus dem Bildungsbereich gemeldet worden. Dabei geht es um echte oder vermeintliche Anhänger der Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen, den Erdogan für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht.

Nach dem umstrittenen Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim vor über 10.000 jubelnden Türken in Oberhausen und anhaltenden Spekulationen über einen bevorstehenden Werbe-Auftritt Erdogans für seine geplante Verfassungsreform diskutiert Deutschland zudem über die Frage, wie viel türkischer Wahlkampf gegen Freiheitsrechte hierzulande zumutbar ist.

Auch andere Bundesländer alarmiert

Die neuen Spionage-Vorwürfe haben eine besonders heikle Dimension, weil es um die mögliche Indoktrination von Kindern geht. Laut „Jahresplan für das Unterrichtsfach Türkisch und Türkische Kultur im Schuljahr 2017-2018“, der beim Treffen in den Generalkonsulaten verteilt worden sein soll, droht den Schulen türkisch-islamische Infiltrierung von außen.

Der überwiegende Teil des insgesamt rund 60-seitigen Konvoluts für die Klassen 1 bis 5, der der dpa vorliegt, enthält gängige Unterrichtsinhalte. Vieles lässt aber aufhorchen und am Ziel der Integration türkischstämmiger Kinder zweifeln.

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So heißt ein Ziel für Grundschüler etwa: „Zeigt den Willen, an nationalen und religiösen Feiertagen teilzunehmen“. Im Unterricht sollen türkische Ahnenreihen gebildet und Lieder gelernt werden wie „Meine Heimat ist so anders.“ Auf dem alternativen Lehrplan steht auch die Frage: „Warum lieben wir Atatürk?“ Und zu Ehren des türkischen Staatsgründers soll „ein Oratorium als Übung“ gemacht werden. Zur Bewertung des rechten Glaubensbekenntnisses zu Allah heißt es: „Beispiele für Naturereignisse, die die Existenz Gottes zeigen, werden verlangt.“ Außerdem sollen Koran-Suren gelernt werden.

Im Lehrabschnitt „Meine Heimat“ stehen die türkische Nationalhymne, Flaggen zeichnen und „Meine Türkei von A bis Z“ auf dem Plan. Zudem sollen türkische Helden aus Karton gebastelt werden. Auch andere Bundesländer sind über die Nachrichten aus NRW alarmiert. „Wir beobachten das und sind sehr sensibel“, betonte ein Sprecher der Hamburger Schulbehörde.

Von dpa