Wie Nordkorea noch zu beeindrucken wäre

Sanktionen nach Atomtests

Die USA versuchen seit langem, den Druck auf Nordkorea zu erhöhen. Doch Machthaber Kim Jong Un zeigt sich unbeeindruckt. Die Menschen in der Region fürchten, dass es zu einer bewaffneten Eskalation kommt. Was wären die Konsequenzen - und wie ließe sich Nordkorea stoppen?

Seoul/Peking/Washington/Moskau

04.09.2017, 16:29 Uhr / Lesedauer: 4 min
Koreas Machthaber Kim Jong Un.

Koreas Machthaber Kim Jong Un.

Warum unternimmt Nordkorea jetzt so rasch hintereinander Atom- und Raketentests, obwohl die Sanktionsschraube angezogen wurde?

Neben innenpolitischen Motiven ist ein Grund die zunehmende Konfrontation mit den USA. Nordkorea sieht den Konflikt als ein Kräftemessen zwischen beiden Ländern. US-Präsident Donald Trump hat mehrmals mit Alleingängen in dem Konflikt gedroht. Pjöngjang will sich mit einem Arsenal einsatzfähiger Atombomben und Raketen, die atomare Sprengköpfe transportieren können, unangreifbar machen.

Seit seiner Machtübernahme 2011 hat Kim das Atom- und Raketenprogramm beschleunigt. Doch wie weit es wirklich fortgeschritten ist, bleibt unter Experten strittig. Nordkorea müsse noch einige technische Hürden überwinden, bevor es für das Kernland der USA eine wirkliche Gefahr bedeute, sagte der Vizevorsitzende des US-Generalstabs, Paul Selva, dem Nachrichtendienst Bloomberg. „Es ist klar, dass Nordkorea die Fähigkeit hat, eine Rakete zu bauen, die die USA in Reichweite hat, doch muss Nordkorea noch zeigen, dass es die erforderliche Technologie und Fähigkeit hat, die USA wirklich mit einer Atomwaffe zu treffen.“

Welche Konsequenzen für Südkorea hätte ein US-Angriff auf Nordkorea?

Ein gezielter Militärschlag der USA oder selbst eine ungewollte militärische Eskalation dürfte sofort einen Gegenschlag Nordkoreas auslösen. Das hätte verheerende Folgen besonders für Südkorea. Nur 50 Kilometer südlich der Grenze leben rund 25 Millionen Menschen im Großraum Seoul. Auch ohne den Einsatz von Atomwaffen wären die Menschen in Gefahr, von grenznah aufgestellten Artilleriegeschützen der nordkoreanischen Armee unter Beschuss genommen zu werden. Das amerikanische Nautilus-Institut schätzt, dass von den bis zu 15 000 Geschützen immerhin 700 Kanonen und Raketenwerfer die südkoreanische Hauptstadt treffen könnten. In Südkorea sind 28 500 US-Soldaten stationiert.

Wird das Land durch nordkoreanische Atomtests verstrahlt?

Die Explosionskraft beim jüngsten Atomtest im Nordosten von Nordkorea war so stark, dass nach Angaben des Geologischen Dienstes der USA ein Beben der Stärke 6,3 ausgelöst wurde. Die Erschütterungen waren bis in den Süden der koreanischen Halbinsel und in grenznahen Teilen Chinas zu spüren. Die Sprengkraft übertraf diejenigen der früheren Tests - beim fünften Versuch lag die Magnitude bei 5,3. Inwieweit radioaktive Substanzen, die durch einen Atomtest freigesetzt werden, weit außerhalb des Testgeländes gemessen werden können, ist noch unklar. Über Gefahren für die Bevölkerung wurde bei den bisherigen Tests nichts bekannt. Nordkorea unternimmt seine Atomtests in Stollen, die sich in einem bergigen Gelände in Punggye-ri befinden.

Trump erwägt, den Handel der USA mit Ländern zu unterbrechen, die Geschäfte mit Nordkorea machen. Ist das realistisch?

Dass diese Drohung 1:1 so umgesetzt wird, ist unwahrscheinlich. China würde massiv getroffen, die Weltwirtschaft womöglich in einen Abwärtsstrudel gerissen. In voller Konsequenz müssten die USA den eigenen Handel mit China komplett aussetzen. Die Folgen wären allein für Amerika so groß, dass sich vermutlich rasch der US-Kongress gegen solche Maßnahmen wehren würde. Abgestufte, verschärfte Sanktionen sind daher wahrscheinlicher.

Trump hat Südkorea abgekanzelt und mit einem Handelskrieg gedroht. Was heißt das für die notwendige internationale Allianz gegen Nordkorea?

Der Zeitpunkt von Trumps Äußerungen war bemerkenswert. Ausgerechnet auf dem neuen Höhepunkt der Koreakrise hält er den Verbündeten in Seoul eine Beschwichtigungspolitik vor und droht mit dem Rückzug aus einem Handelsabkommen. Der steht nun wohl nicht mehr unmittelbar bevor. Dafür ist die Krise zu dynamisch. Zu China sind die Experten geteilter Meinung: Das Land könne viel mehr Druck ausüben, hasse es aber, unter Druck gesetzt zu werden. Für eine geschlossene Front gegen Nordkorea ist all das alles andere als hilfreich.

Wo wäre Nordkorea mit Sanktionen überhaupt noch zu treffen - mit welchen Konsequenzen?

Ein Ölimportstopp wäre wohl die drastischste wirtschaftliche Strafmaßnahme gegen das Land. Da rund 90 Prozent des nordkoreanischen Handels über China laufen und der Großteil des Öls ebenfalls aus dem Nachbarland kommt, sitzt China praktisch am Drücker. Peking versichert immer wieder, alle Sanktionen der Vereinten Nationen strikt umzusetzen, befürchtet aber, dass zu weitgehende Strafmaßnahmen zu einem Kollaps des Systems in dem Nachbarland und zu Flüchtlingswellen führen könnten. Chinesische Experten sind sich auch nicht sicher, ob eine solch radikale Maßnahme Machthaber Kim Jong Un von der Entwicklung von Atomwaffen und Raketen abhalten kann. Wie ist die Versorgungslage in Nordkorea, wird ein Einschränken der Ölimporte zu einer neuen Hungersnot führen? Nordkorea ist seit Jahren aufgrund der eigenen Misswirtschaft und infolge von Naturkatastrophen auf Nahrungsmittelhilfe von außen angewiesen. Zwar hat sich die Lage in den vergangenen Jahren etwas entspannt, auch weil es in dem Land mehr marktwirtschaftliche Aktivitäten gibt als zuvor. Doch sind einem UN-Bericht vom März dieses Jahres zufolge zwei von fünf Nordkoreanern unterernährt. Inwieweit eine Einschränkung der Ölimporte die Knappheit verschärfen würde, ist unklar. Würde China den Export voll oder teilweise aussetzen, würde das die Produktion in Nordkorea einschließlich der Nahrungsmittelherstellung weiter gefährden.

Warum wollen die USA die Zahl der im Ausland arbeitenden Nordkoreaner einschränken?

Nordkoreanische Gastarbeiter gelten als eine wichtige Deviseneinnahmenquelle für den Staat. Die Einnahmen werden auf jährlich bis zu 250 Millionen Dollar geschätzt. Es wird vermutet, dass die Regierung über staatliche Unternehmen mindestens 50 000 Landsleute in etwa 40 Länder inklusive China und Russland geschickt hat, damit sie dort in Bereichen wie Bau, Waldarbeit und Gastronomie arbeiten. Amnesty International kritisiert, dass diese Arbeiter oftmals unter sehr harten Bedingungen arbeiten müssen. Zudem erhielten die Arbeiter die Löhne „nicht direkt von den Arbeitgebern, sondern erst nach bedeutenden Kürzungen von der nordkoreanischen Regierung“.  

Wie positioniert sich die Atommacht Russland in dem Konflikt?

Russland beobachtet die Lage auch deshalb genau, weil es eine etwa 20 Kilometer lange Grenze mit Nordkorea teilt. Der Kreml fordert zwar immer wieder eine politische Lösung, macht aber trotz der historisch engen diplomatischen Kontakte keine Anstalten, Gespräche zu initiieren. Ebenso wie China sieht Moskau die USA in der Pflicht, mit Pjöngjang in Verhandlungen zu treten. So wirkt es, als wolle sich Russland aus dem Konflikt soweit es geht heraushalten. Kritik an Diktator Kim Jong Un ist aus Moskau so gut wie gar nicht zu hören.

Wird Russland neue Sanktionen gegen Nordkorea unterstützen?

Wohl kaum. Die russische Führung betont zwar mantraartig, dass es keine militärische Lösung des Konflikts geben könne. Aber neue Sanktionen gegen Pjöngjang lehnt Moskau weitgehend ab, insbesondere Alleingänge des Westens. Bislang hätten Strafmaßnahmen nichts gebracht, heißt es. „Die Ressourcen für Druck auf Pjöngjang durch Sanktionen sind erschöpft“, betont der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja. Dennoch sagt Russland als UN-Vetomacht, dass es seine Haltung dazu je nach Lage definieren werde.

dpa