„Wenn eine Einladung aus Bergkamen kommt, hat man zuzusagen“ Kühnert-Auftritt am Römerberg

„Wenn eine Einladung aus Bergkamen kommt, hat man zuzusagen“
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Plötzlich war er da: Kevin Kühnert. Generalsekretär der SPD. Hauptredner der 74. Maikundgebung in Oberaden. Seine Ankunft auf dem Museumsplatz war dezent. Beim Händeschütteln wirkte der zierliche Mann geradezu schüchtern. Seinen großen Auftritt hob er sich für die Rede in der Römerberg-Sporthalle auf. Dorthin ging es im Zuge des Protestmarsches. Kühnert hatte sogar ein eigenes Pappschild mitgebracht. Es wirkte, als hätte er es auf der Fahrt im Auto selbst gemalt.

Unter dem Motto „Mehr Lohn. Mehr Freizeit“ stand die DGB-Kundgebung in diesem Jahr, doch andere Themen hatten mehr Strahlkraft: Die Sicherheit in Europa und der Krieg in der Ukraine, die Bürgermeister Bernd Schäfer ansprach. Das Aufstehen der Gesellschaft gegen Rechtsextremismus und für Frieden, Freiheit und Demokratie, worüber sich Landrat Mario Löhr in Erinnerung an die großen Protestaktionen zu Beginn des Jahres freute. Oder die „Botschaft“, die Kamens Bürgermeisterin Elke Kappen Kevin Kühnert mit auf den Weg nach Berlin an die Ampel gab: „Wenn man einen Kompromiss aushandelt, dann muss man ihn nach vorne bringen und den Menschen erklären, warum er gut ist.“ Donnernder Applaus war die Folge.

Kevin Kühnerts großer Auftritt folgte eine knappe Stunde nach der Eröffnung der Maikundgebung durch IGBCE-Ortsgruppenchef Volker Wagner. Doch bevor er zu seiner kämpferischen Rede schritt, schrieb er der Oberadener Traditionsveranstaltung ein dickes Lob ins Stammbuch. In ihrem 75. Jahr ist diese nämlich deutlich älter als die Stadt Bergkamen selbst.

„Die Veranstaltung hat einen sehr guten Ruf in Berlin, der ihr vorauseilt. Wenn einen die Einladung ereilt, hier sprechen zu dürfen, dann hat man nicht zu überlegen, dann hat man zuzusagen.“

Volker Wagner von der IGBCE Oberaden und Kevin Kühnert an den Tischen in der gut gefüllten Römerbergsporthalle.
Volker Wagner von der IGBCE Oberaden und Kevin Kühnert an den Tischen in der gut gefüllten Römerbergsporthalle. © Michael Neumann

Mehr vom Geist des 1. Mai wünscht sich Kühnert jedoch das ganze Jahr hindurch. Aufstehen, für Rechte eintreten, „dann können wir es auch mit den Despoten dieser Welt aufnehmen.“

Doch auch im eigenen Land müsse man für erkämpfte Rechte eintreten, allem voran das Streikrecht. Es habe sich etwas gedreht in den vergangenen zwanzig Jahren. Damals klagte man über fünf Millionen Arbeitslose, heute gäbe es zwei Millionen unbesetzte Stellen im Land. Ob im Restaurant, im ÖPNV, bei den Lkw-Fahrern: Überall würden Leute gesucht. „Der Wind hat sich gedreht“, so Kühnert. Das verbessere die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer deutlich, doch das sei keine Gefahr, wie sie viele fürchteten. „Die sollten die Stärke von Sozialpartnerschaften und Tarifverträgen begreifen, weil das wechselseitigen Interessensausgleich bedeutet“, sagte Kühnert.

Doch man stünde ohne Frage vor wirtschaftlichen Herausforderungen. Investitionen wären gefragt, und man dürfe nicht auf die „Scharlatane“ hereinfallen, die immer wieder die alten Kamellen aus der Schublade herausholen würden. Überstundenerfassung dürfe kein Tabuthema mehr sein, und eine Diskussion über die Steuerbefreiung von Überstunden wäre hinfällig, wenn diese gar nicht vergütet würden. Die Forderung „Deutschland sollte mit Überstunden aus der Krise kommen“ hielt Kühnert daher für zynisch. Seine Forderung, eine Bezahlung für Überstunden hinzubekommen, erhielt Applaus und Bravo-Rufe.

Auch auf die Rente ging Kühnert ein. Man könnte nicht die Axt an die Lebensleistung der Menschen legen, sagte er. Und eine pauschale Verlängerung der Rentenzeit über die jetzige Vereinbarung hinaus lehnt Kühnert ab. „Jeder, der will, kann und darf das tun. Jetzt schon.“ Und das nutzten auch viele. „Aber es ist ein Unterschied, ob man länger arbeiten will oder länger arbeiten muss“, sagte Kühnert. Das wäre unterm Strich eine Rentenkürzung mit Ansage.

Viele Menschen schlossen sich am 1. Mai wieder dem Demonstrationszug vom Museumsplatz zur Römerbergsporthalle an.
Viele Menschen schlossen sich am 1. Mai wieder dem Demonstrationszug vom Museumsplatz zur Römerbergsporthalle an. © Michael Neumann

Ja, Deutschland müsse sparen. Aber Deutschland müsse dennoch in die richtigen Dinge auch mit Krediten investieren dürfen. Keine Schuldenlast für Kinder und Enkelkinder wäre richtig. „Aber bei einem Stillstand in Schulen, bei Straßen, Klimaproblemen, Digitalisierung und Bildung hätten wir auch eine Schuld an den Kindern und Enkelkindern.“

Doch den wichtigsten Appell hatte auch Kühnert am Ende: Jeder einzelne müsse für den Erhalt der Demokratie kämpfen. „Es geht um zu viel, als den etablierten Parteien bei einer Wahl einfach einen Denkzettel zu verpassen“, sagt er. Rechtsradikale bräuchten immer Steigbügelhalter und willfährige Helfer. „Und dann wird die Tür zur Demokratie von Innen abgeschlossen“, warnte Kevin Kühnert. Dazu dürfe es nicht kommen. Deshalb müsse jeder Demokrat zur Wahl gehen.

Auch auf der Tribüne in der Römerbergsporthalle saßen interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer.
Auch auf der Tribüne in der Römerbergsporthalle saßen interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer. © Michael Neumann
Vor dem Modell des Barbarastollens sprach SPD-Generalsektretär Kevin Kühnert zu den Teilnehmern der Maikundgebung in Bergkamen-Oberaden.
Vor dem Modell des Barbarastollens sprach SPD-Generalsektretär Kevin Kühnert zu den Teilnehmern der Maikundgebung in Bergkamen-Oberaden. © Michael Neumann
Zum Ende der Kundgebung gaben Ensemble-Mitglieder von "Radio Ruhrpott" eine Kostprobe aus dem Ruhrical.
Zum Ende der Kundgebung gaben Ensemble-Mitglieder von „Radio Ruhrpott“ eine Kostprobe aus dem „Ruhrical“. © Michael Neumann
Der 1. Mai ist in Bergkamen auch immer ein Aufeinandertreffen der Generationen.
Der 1. Mai ist in Bergkamen auch immer ein Aufeinandertreffen der Generationen. © Michael Neumann

Die Reden in voller Länge gibt es im Video auf hellwegeranzeiger.de