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Welterbe-Bewerbung des Ruhrgebietes: War die Jury befangen?
Vorwürfe
Die Welterbe-Bewerbung des Ruhrgebietes ist gescheitert. Nun gibt es kritische Fragen zur Jury des Landes NRW. Ein Mitglied sagt: „Das ist absurd.“
Die Welterbe-Bewerbung der „Industriellen Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ ist vorerst am Ende. Das Land NRW meldet die Bewerbung nicht an die Kulturministerkonferenz der Länder weiter. Damit hat das Revier keine Chance mehr, auf die neue deutsche Tentativ- (Bewerbungs-)liste bei der Unesco ab dem Jahr 2025 zu kommen.
Das Ruhrgebiet wurde als „nicht welterbefähig“ eingestuft
Das Land NRW folgte dabei der Empfehlung einer Jury, die das Ruhrgebiet zwar als „welterbewürdig“, aber wegen des Antrags als nicht „welterbefähig“ eingestuft hat. Zur Besetzung der Jury gibt es nun massive Gerüchte in der Politik über einen Anschein der Befangenheit. „Davon habe ich auch gehört“, bestätigte am 27. August Frank Baranowski, Vorsitzender der Ruhr-SPD. Er hat das Thema an seine Parteikollegen im Landtag NRW weitergegeben. Baranowski: „Die Sache hat zumindest ein Geschmäckle.“
Es geht um zwei sehr renommierte Wissenschaftler innerhalb der fünfköpfigen Jury. Die Fragen entzünden sich daran, dass beide auch noch für Weltkulturerbe-Bewerbungen in anderen Bundesländern tätig sind. Diese Bewerbungen gehören teilweise in den Bereich der Industriekultur, sodass später auf Bundesebene eventuell eine Konkurrenz-Situation hätte entstehen können. Beide Experten haben sich am 27. August ohne Zögern zur Frage geäußert, ob sie das beeinflusst hat.
Beirats-Mitglied bestreitet die Vorwürfe
„Das ist absurd“, sagte Helmuth Albrecht, Professor für Technikgeschichte und Industriearchäologie an der TU Bergakademie Freiberg. „Die Jury ist ausschließlich nach den Welterbe-Kriterien der Unesco vorgegangen.“ Unabhängig zur Jury NRW hat er zwei Tentativanträge für Rheinland-Pfalz geschrieben – und zwar zur Sayner Hütte und zum Eifeler Mühlsteinrevier.

Ein anderes Jury-Mitglied hat den Tentativantrag zur Sayner Hütte geschrieben. © dpa
„Das ist in beiden Fällen keine Konkurrenz zum Ruhrgebiet“, betonte er. Die Sayner Hütte sei ein Einzelobjekt aus der Frühindustrialisierung des 18./19. Jahrhunderts, während es sich beim Ruhrgebiet um eine Kulturlandschaft aus dem Industriezeitalter handele. Auch das Mühlsteinrevier sei mit dem Ruhrgebiet nicht vergleichbar. Für die Verfassung der beiden Anträge habe er natürlich ein Honorar erhalten.
Eine Ablehnung der Unesco hätte das Ende bedeutet
Aus der Jury-Sitzung zum Ruhrgebiet darf Albrecht nicht berichten, fasste aber zusammen: Der vorliegende Antrag hätte seiner Meinung nach Probleme gehabt, in der vorliegenden Form die Welterbe-Kriterien zu erfüllen, womit eventuell die Gefahr einer späteren Ablehnung durch die Unesco bestanden hätte. Dann sei eine Bewerbung nämlich für alle Zeiten raus.
Das andere Jury-Mitglied ist Dr. Britta Rudolff, Fachgebietsleiterin Heritage Management bei der TU Cottbus. Über das Institut für Heritage Management GmbH, dessen Gesellschafterin sie ist, ist sie an der „Welterbe-Studie: Lausitzer Bergbaufolgelandschaften als Unesco Welterbe“ beteiligt.
Beirats-Mitglied: „Je mehr Anträge erfolgreich sind, desto besser“
Für die Beratertätigkeit in der Lausitz erhalte sie kein Geld, so Rudolff. Einzig das Institut erhalte eine Bundesförderung. Das Institut habe aber seit Jahren keine Gewinne ausgeschüttet.
Auf die Frage, ob die „Bergbaufolgelandschaften Lausitz“ und die „Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ auf Bundesebene Konkurrenten hätten werden können, entgegnete Rudolff: „Es gibt bei der Kulturministerkonferenz keine Zielzahl. Je mehr Anträge erfolgreich sind, desto besser.“
Stiftung Industriedenkmalpflege wollte sich nicht äußern, das Land NRW schon
Die Stiftung Industriedenkmalpflege in Dortmund, die die Federführung des Antrages hatte, wollte sich zu dem Thema nicht äußern und verwies auf das Land NRW. Von dort hieß es am 27. August: „Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen sieht keine Befangenheit der Mitglieder der Fachjury. Wichtigstes Kriterium bei der Auswahl der Fachjury war, dass darin Experten und Expertinnen vertreten waren, die sowohl für die vier thematischen Bereiche der vorliegenden Anträge eine Expertise hatten, als auch über Erfahrungen im Bereich Unesco/Icomos verfügen. Dies schränkte die Auswahl bereits wesentlich ein, zumal wir alle ausgeschlossen haben, die in irgendeiner Form in Düsseldorf, Solingen oder Ruhrgebiet beraten haben.“
Jury-Mitglieder waren nicht im Ruhrgebiet zu Besuch
Bemerkenswert ist an der Sache noch, dass die Jury wegen der Corona-Pandemie das Ruhrgebiet gar nicht besucht hat. SPD-Politiker Baranowski wies außerdem darauf hin, dass die Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) selbst Kuratoriumsvorsitzende jener Industriedenkmalstiftung ist, die beide Anträge (es gab schon 2013 einen ebenfalls gescheiterten Versuch) erarbeitet hatte.
Die nächste Chance hat das Ruhrgebiet in sieben Jahren, wenn eine neue Tentativliste aufgestellt wird.
Dieser Artikel ist am 28. August in unserer Print-Ausgabe erschienen. Es gibt eine Fortsetzung der Thematik. Der Artikel dazu erscheint am 11. September in unserer Print-Ausgabe und auf unserer Homepage.
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