Wehrpflicht in der Diskussion „Die brauchen wir nicht, aber ein Deutschland-Jahr für alle“

Wehrpflicht in der Diskussion: Die brauchen wir nicht, aber ein Deutschlandjahr für alle
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Ulrich Breulmann.

Brauchen wir eine Wiedereinführung der Wehrpflicht? Ich will es gleich vorwegnehmen: Nein, die brauchen wir nicht, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung anderer Auffassung ist. Wir brauchen keine Wehrpflicht, sondern etwas ganz anderes.

Spätestens seit der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius kurz nach seinem Dienstantritt Ende Januar die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 als Fehler bezeichnet hat, ist die Diskussion entbrannt. Bundeskanzler Olaf Scholz meint zwar, dass die Diskussion „überhaupt keinen Sinn macht“, beenden kann er sie damit allerdings nicht.

Mehrheit der Deutschen ist für Wiedereinführung der Wehrpflicht

Anfang Februar sprachen sich bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Telekom 57 Prozent der Deutschen für eine Wehrpflicht von Männern und Frauen – ja, auch Frauen – aus. 36 Prozent lehnten sie ab, 7 Prozent konnten sich nicht entscheiden.

Demütigende Gewissens-Prüfung vor einem Tribunal

Diese deutliche Mehrheit überrascht mich schon. Ich kann mich noch an die Wehrpflicht-Zeiten erinnern, als „Wehrdienstverweigerer“ sich einer demütigenden, würdelosen Gewissens-Prüfung vor einem regelrechten Tribunal unterziehen mussten. Später wurden diese Prüfungen etwas entschärft, trotzdem: Solche Zeiten möchte ich nie wieder erleben. Deshalb lehne ich eine Pflicht zu einem Dienst in einer Armee strikt ab.

Was ich mir allerdings sehr gut vorstellen kann, ist ein verpflichtendes Dienst-Jahr für unser Land, ein Deutschland-Jahr, das von allen jungen Männern und Frauen zu absolvieren wäre. Dabei müsste es den jungen Menschen vollkommen freigestellt werden, ob sie dieses Jahr in einem Krankenhaus, einem Alten- oder Jugendheim, in der Obdachlosenarbeit, bei einer Tafel, in einem Naturschutz-Projekt oder in einer der 1.000 anderen sozialen Organisationen in unserem Land ableisten.

Und wer das ausdrücklich wünscht, könnte sein Jahr auch bei der Bundeswehr absolvieren. Nicht als Pflicht, sondern als eine von vielen Möglichkeiten.

Massive Entlastung für zahllose soziale Aufgaben

Die sozialen Einrichtungen, die Krankenhäuser und Altenheime, Pflegeeinrichtungen und Sozialdienste könnten durch das Deutschland-Jahr direkt massiv entlastet werden. Die Personalnot in diesem Bereich ist gigantisch.

Das ist aber noch nicht einmal das Wichtigste. Die Zivi-Zeiten haben gezeigt, dass viele junge Männer ihre Leidenschaft für einen Beruf in der Pflege oder in einer sozialen Einrichtung erst durch den Zivildienst erkannt haben. Ohne diese Zeit wären sie nie auf die Idee gekommen, einen solchen Beruf zu wählen. Was für eine großartige Chance, junge Menschen durch ein solches „Langzeit-Praktikum“ in ihrer Berufswahl zu unterstützen!

Mit Sicherheit keine verlorene Zeit

Für die jungen Männer und Frauen wäre dieses Jahr mit Sicherheit keine „verlorene Zeit“. Was spielen 365 Tage schon für eine Rolle, wenn wir eh bis 67 oder in einigen Jahren vielleicht sogar bis 69 oder 70 arbeiten müssen? Es wäre eine Zeit, in der die eigene Persönlichkeit reifen kann. In der jede und jeder einzelne erfahren könnte: Es geht nicht nur um mich in diesem Leben, um meine Karriere, meinen Wohlstand, meine Work-Life-Balance.

Es geht auch um andere Menschen, die meine Hilfe brauchen, es geht um den Zusammenhalt in unserem Land, das für mich Heimat ist. Das mir alle Chancen gibt, damit ich sicher und frei ein glückliches, selbstbestimmtes Leben führen kann. Letztlich geht es auch um die Erkenntnis, dass es keineswegs selbstverständlich ist, wie wir hier in einem der reichsten Länder der Erde leben dürfen.

So ein Deutschland-Jahr könnte so manchen vielleicht sogar ein wenig bescheidener, dankbarer und demütiger machen. Das wäre ein enormer, ganz persönlicher Gewinn für diese Menschen. Ganz sicher aber für unsere Gesellschaft als Ganzes.

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