Mehrere E-Autos stehen an Schnellladesäulen am Kamener Kreuz.

So üppig wie hier an einem Schnellladepark am Kamener Kreuz ist das Ladenetz für E-Autos in Deutschland noch längst nicht ausgebaut. © picture alliance/dpa

Was wäre, wenn alle Menschen E-Auto fahren würden?

rnSerie: Unser Klima

Mobilität: Solarzellen auf dem Autodach, Fahrzeuge nach Baukastensystem und kabelloses Laden: Wenn E-Autos die Norm werden – was heißt das für unser Klima und den Energiebedarf?

von Laura Wagener

05.10.2022, 04:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Nejila Parspour ist Direktorin am Institut für Elektrische Energiewandlung an der Universität Stuttgart. Die Forscherinnen und Forscher dort beschäftigen sich mit der Entwicklung von Elektromotoren und induktiven – also kabellosen – Energieüberträgern für den Einsatz in Elektrofahrzeugen, Robotern, Windenergieanlagen und medizinischen Geräten. Gemeinsam mit Nejila Parspour wagen wir ein Gedankenexperiment.

Frau Parspour, Ihre Einschätzung bitte: Wann werden alle Menschen in Deutschland E-Auto fahren?

Ich bin eine ziemliche Optimistin. Daher gebe ich zwei Antworten. Optimistisch gesehen: 2040. Realistisch gesehen: 2050.

Was würde das für unser Klima bedeuten?

Sehr viel Positives. Wenn alle elektrisch fahren würden – vorausgesetzt, der Strom ist zu 100 Prozent erneuerbar – gäbe es keine CO2-Emissionen. Wir hätten schon jetzt lokal eine bessere Luft, wenn in einer Stadt alle elektrisch fahren würden. Man vergisst aber, dass der Strom auch produziert werden muss. Und der ist immer noch nicht zu 100 Prozent erneuerbar, auch wenn es immer besser wird. Zu Beginn des Jahres betrug der Anteil erneuerbarer Energien in unseren Stromnetzen rund 50 Prozent. Wenn man es ganz genau nimmt, ist das elektrische Fahren aber erst dann emissionsfrei, wenn auch die Stromerzeugung regenerativ, also erneuerbar, ist.

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Der Energiebedarf würde mit E-Autos enorm steigen.

Im Gegenteil. Studien zeigen: Wenn wir alle elektrisch fahren würden, würden wir sogar Energie sparen. Der Grund dafür ist, dass auch die Erzeugung von Diesel und Benzin sehr viel Strom benötigt. Elektrische Fahrzeuge haben außerdem einen deutlich besseren Wirkungsgrad als Verbrenner. Dieser gibt an, welcher Anteil der zugeführten Energie in die gewünschte Energieform umgewandelt wird. Wenn man nur das E-Fahrzeug und den E-Motor allein betrachtet, hat dieser im Durchschnitt einen Wirkungsgrad von circa 90 Prozent. Ein E-Auto geht mit der zur Verfügung stehenden Energie also sehr sorgfältig um, nur fünf Prozent gehen verloren.

Bei einem Verbrenner liegt der Wirkungsgrad im besten Fall zwischen 30 und 40 Prozent. Das heißt, 60 bis 70 Prozent gehen verloren. Der Gesamtwirkungsgrad – also vom Ursprung der Stromerzeugung bis zu den Fahrzeugrädern – liegt beim E-Auto bei 64 Prozent. Verfolgen wir im Vergleich die Strecke beim Benziner: Von der Ölförderung über die Raffinerie und den Transport bis zum Rad liegt der Wirkungsgrad nur bei 20 Prozent. Wir sparen also insgesamt Energie, wenn wir elektrisch fahren.

Nejila Parspour ist Direktorin am Institut für Elektrische Energiewandlung an der Universität Stuttgart.

Nejila Parspour ist Direktorin am Institut für Elektrische Energiewandlung an der Universität Stuttgart. Seit 16 Jahren beschäftigt sie sich mit dem Thema "kabelloses Laden". © privat

Welche Auswirkungen hätte das auf die Energiekosten für Privatpersonen im Bereich Auto?

Wir wissen natürlich nicht, was aktuell mit der Gasknappheit und Stromerzeugung passiert. Sonne kommt aber umsonst runter. Hätte jeder Mensch Solarzellen auf dem Dach, würden auch Privatpersonen Geld sparen.

Was würde das für Städte und Gemeinden bedeuten?

Seit Jahren arbeitet man daran, Energie dort umzuwandeln, wo man sie braucht. Hat eine Gemeinde Solarfelder und Windenergieanlagen um sich herum, kann Energie lokal erzeugt und genutzt werden. Elektroautos haben aber noch eine andere Wirkung, nämlich die Integration erneuerbarer Energien. Diese stehen – wie die Sonne – nicht konstant zur Verfügung, wodurch Schwankungen im Netz entstehen.

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Man kann die Batteriespeicher von E-Autos als Speicher nutzen, wenn zu viel Energie vorhanden ist. Wenn dann Energie benötigt wird, tragen die Autos dazu bei, dass Strom im Netz vorhanden ist und das Netz stabilisiert wird. Sie haben eine Funktion als Mitglied des Netzes, als sogenanntes Smart Grid-Mitglied.

Könnten wir – anstatt die E-Autos an Ladesäulen zu laden – nicht auch Solarzellen auf die Autodächer bauen, sodass sie sich selbst versorgen?

Die Ausbeute an Strom ist schlecht, die Solarzellen und deren Wirkungsgrad sind das Problem. Man braucht viel mehr Fläche, um ein Auto zu laden. Es gibt dazu aber Experimente mit Leichtflugzeugen. Ich glaube also schon, dass hier noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Wenn wir die Autos in Richtung Leichtbau bauen, deren Form ändern oder Solarzellen eine andere Technologie benutzen würden und eine bessere Ausbeute hätten – dann wird das kommen. Viel wirksamer wäre es aber, in der Nähe von Ladestationen einfach Solarfelder und Windenergieanlagen aufzustellen. Aktuell ist das technologisch machbar und wird vereinzelt bereits auch realisiert.

Gäbe es an jedem Haus, auch Mehrfamilienhaus, Ladepunkte? Oder hätte jeder Mensch ein Abo für öffentliche Ladestationen?

Das ist genau die Herausforderung, vor der wir aktuell stehen. Unser Ladenetz ist noch sehr grobmaschig. Nicht überall stehen Ladesäulen zur Verfügung. Ein Vorteil des E-Autos ist, dass man es auch an der Steckdose laden kann. Das dauert zwar länger, ist aber machbar. Ich lade mein Auto immer über Nacht. Wenn ich mein Leben danach organisiere, brauche ich keine extra Infrastruktur. Zudem muss man die Autos mittlerweile nicht mehr jeden Tag laden, wenn man keine Langstrecke fährt. Und die Mehrheit der Menschen fährt Kurzstrecke.

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Dazu kommt, dass die Autos eigentlich mehr stehen als dass sie fahren. Daher gibt es genug Zeit zum Laden. Es muss nur so organisiert werden mit Algorithmen und KI-basierten Methoden, dass nicht alle auf einmal in ihren Häusern laden. Wir haben die Energie, aber nicht die Leistung. Die Netze sind nicht dafür ausgelegt, dass plötzlich in einer Straße alle zum gleichen Zeitpunkt anfangen, ihre Autos zu laden. Dann könnte das Netz zusammenbrechen.

Was wäre die Alternative?

Ich glaube, wir sollten jede Lademöglichkeit nutzen. Das ist genau der Grund, warum ich auf dem Gebiet des kabellosen Ladens forsche. Diese Methode ermöglicht, auch während des Fahrens zu laden. Diese Technologie wird kommen, das beobachten wir in China. Aber auch in Europa gibt es bereits Pilotprojekte. Zudem kann ich mir gut vorstellen, dass man in einer Straße, in der viele Familien wohnen, einen Wochenplan macht, wer wann laden möchte. Über Algorithmen könnte man die Verteilung errechnen. Das würde sogar jetzt schon funktionieren, bevor man anfängt, groß umzubauen.

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Aber man kann auch überall, zum Beispiel während des Einkaufens, laden. Wir fangen leider jetzt erst an, umzudenken. Als ich vor 16 Jahren die Idee vom kabellosen Laden auf Tagungen vorgestellt habe, wurde ich ausgelacht. Hätte man all das, was man heute weiß, schon früher berücksichtigt, wären Verbrenner nie zugelassen worden.

Wie würden wir mit dem Elektroschrott und den ausgedienten Batterien umgehen?

Da wir so spät damit angefangen haben, ist das Thema Recycling eine technologische Aufgabe, für die es noch keine fertige Lösung gibt. Man kann die Batterien aber wiederverwerten. Im Laufe der Zeit werden Batterien immer schlechter, sind aber noch nicht kaputt. Man könnte sie sehr gut für stationäre Anwendungen nutzen. Das ist – wie bereits erwähnt – das Speichern von erneuerbaren Energien. Oder im Haushalt: Ich habe Sonne und zu viel Strom, speichere die Energie also und kann am nächsten Tag nicht nur mein Auto laden, sondern auch meine Geräte erneuerbar betreiben.

Mehrere alte E-Auto-Batterien werden in Stromspeichern zusammengebaut.

Ausgediente E-Auto-Batterien können in Stromspeichern zur Stabilität der regionalen Netze beitragen. © picture alliance / Daniel Karmann/dpa

Ich kann also meine ausgedienten E-Auto-Batterien im Haushalt weiternutzen?

Zum Beispiel. Man kann sie aber auch sammeln und Batteriestationen aufbauen. Also einen riesengroßen Raum mit ausgedienten Batterien, die aber trotzdem noch Energie speichern können. Wenn das nicht mehr geht, muss man über das Thema Recycling nachdenken. Das ist keine unlösbare Aufgabe.

Wir haben nun viel über die Vorteile von E-Mobilität gesprochen. Gibt es auch Nachteile?

Der einzige, der mir einfällt: Wir brauchen Rohstoffe. In diesem Fall ist das Lithium. Davon gibt es genügend auf der Erde, aber die Förderung ist noch nicht richtig hochgefahren. Ob das unter guten Bedingungen in den Ländern gemacht wird, kann ich nicht beantworten. Ich denke, da gibt es noch sehr viel Optimierungsbedarf.

Welche weiteren Innovationen wird es im Bereich E-Autos geben?

Es wird in Richtung Leichtbau gehen. Im Moment ist das aber noch zu teuer. Wir sollten mit Energie sehr sorgfältig umgehen und dankbar dafür sein, dass wir sie haben. Das bedeutet, unsere Fahrzeuge sollten weniger Gewicht haben. Meine Vision ist, dass Autos in Zukunft wie beim Lego aus einzelnen Modulen bestehen. Ich kann sie dann je nach Bedarf zu einem Pkw oder Bus für mehrere Personen zusammensetzen. Das muss nicht unbedingt über Hardware miteinander verschraubt sein – man kann die Module auch durch Software verbinden.

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Wie steht es mit autonomem Fahren?

Auch das ist ein Thema. Allerdings sehe ich das energetisch auf unseren Planeten bezogen eher dann als vorteilhaft an, wenn es für Busse und Laster, die zusammen fahren, benutzt wird. Auf der Autobahn werden sie zu einer Art Zug. Dadurch verbrauchen sie insgesamt etwas weniger. Mein Wunsch: Ich will gar kein eigenes Auto haben. Ich möchte, wenn ich das Haus verlasse, ein autonomes Mini-Fahrzeug anfordern, das mich in die Stadt fährt. Auch im Bereich Energie-Harvesting wird es noch mehr Innovationen geben. Das bedeutet: Gewinnung von Energie aus den Energien, die es in unserer Umgebung gibt. Zum Beispiel Temperaturunterschied, Licht, Bewegung. Damit wir noch mehr Wärmeenergie nutzen, die im Auto entsteht.

Was muss politisch und gesellschaftlich passieren, damit mehr Menschen auf E-Autos umsteigen?

Die Antwort auf die Frage, warum jemand kein E-Auto hat, ist meistens: zu teuer. Und das stimmt. Dazu kommen die geringe Reichweite und das grobmaschige Ladestationsnetz. Das sorgt für Hemmungen. Vielleicht sollte man von dem Gedanken Abstand nehmen, die Autos kaufen zu wollen und stattdessen andere Geschäftsmodelle entwickeln. Beim Thema Reichweite sollte man sich fragen: Brauche ich wirklich immer diese hohe Reichweite oder nur, wenn ich in den Italien-Urlaub fahren will? Da muss sich jeder selbst hinterfragen. Zudem muss es mehr Ladesäulen geben, die immer funktionieren.

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