Warum die ukrainischen Kriegserfolge in der Ostukraine ein Ende finden könnten
Russischer Großangriff wird erwartet
Die russischen Angriffe konzentrieren sich auf den Osten der Ukraine. Militärexperten sehen dort aber eine ganz andere Situation als im bisherigen Krieg. Wie stehen die Chancen für die Ukraine?

Ein ukrainischer Soldat steht in einem Schützengraben im Osten der Ukraine. © picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire
Die Angriffe Russlands in der Ukraine konzentrieren sich immer mehr auf den Osten des Landes. „In der Ostukraine laufen schon Angriffe, aber das sehe ich derzeit noch als Austesten der ukrainischen Verteidigungslinien und nicht als großen Angriff“, erklärte Osteuropaexperte Gustav Gressel gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Maßgeblich sind für Gressel die weiteren Geschehnisse in Mariupol. „Die Stadt wird sehr heftig angegriffen, da wollen die Russen eine Entscheidung herbeiführen, damit Mariupol fällt.“ Denn das würde wohl weitere Kräfte freisetzen. „In Mariupol sieht es aber wirklich bitter aus. Ich denke, dass die Stadt Ende der Woche fallen könnte und größere Angriffe beginnen könnten“, so Gressel.
Nach dem weitestgehenden Abzug der Truppen aus der Region Kiew sammeln sich derzeit die russischen Soldaten im Osten des Landes. „Die Bereitstellung der russischen Kräfte für den Angriff auf die Ostukraine erfolgt in erster Linie im Norden von Charkiw, unter anderem in Raum Kursk“, berichtet der österreichische Oberst Berthold Sandtner im Gespräch mit dem RND. Die bereitgestellten Kräfte seien neu formiert und mit Gerät sowie Munition ausgestattet worden. „Außerdem wurden die Bahnverbindungen für den Transport der Truppen in den Einsatzraum verbessert“, so Sandtner.
Putins Truppen hatten zuletzt im Norden der Ukraine immer wieder mit schweren logistischen Problemen zu kämpfen, es kursierten Bilder von Truppen, die ihre Fahrzeuge mangels Treibstoff zurücklassen mussten. Und auch bei der Versorgung mit Lebensmitteln und sogar der Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten kam es teilweise zu Engpässen. Diese Probleme könnten nun in den Hintergrund rücken.
Nach Angaben des österreichischen Experten habe die Offensive im Osten der Ukraine eigentlich längst begonnen, es seien ständig Gefechte zu beobachten. „Ein Einkesselungsangriff ist in seinen Ansätzen speziell im Nordosten durchaus schon zu erkennen“, erklärt Sandtner. Die zu erwartende Zangenbewegung auch aus dem Süden sei aber noch nicht erkennbar, da die Russen den Süden und Mariupol eben noch nicht unter ausreichender Kontrolle hätten.
Insgesamt bewerten die Expertinnen und Experten die Lage in der Ostukraine, auch durch die Ernennung von Oberbefehlshaber Alexander Dwornikow, ganz anders als im bisherigen Krieg. „Die Versorgungslage für die Menschen aber auch für die dort eingesetzten ukrainischen Kräfte vor Ort ist schlecht“, weiß Sandtner. Die Soldaten seien dort schon lange im Gefecht und stark strapaziert. „Für die Ukrainer wird es sehr schwierig werden, sich gegen die geballte russische Macht durchzusetzen“, so Sandtner, der aber auch für die russischen Kräfte eine sehr herausfordernde Kampagne sieht.
Waffenlieferungen an die Ukraine kommen zu spät
Als aussichtslos betrachtet Gustav Gressel die ukrainischen Verteidigungsmühen daher nicht. „Es gibt die Chance, die Ostukraine zu halten, weil auch die Ukraine in Kiew nach dem Abzug der Soldaten Kräfte freibekommen hat“, erklärt Gressel. Um die Ukrainerinnen und Ukrainer in der aktuellen Situation zu unterstützen, hätten Waffenlieferungen laut des Experten aber schon deutlich früher angesetzt werden müssen. Sogar noch bevor die Ukraine überhaupt im Krieg war. „Das rächt sich jetzt. Die Hilfen, die jetzt kommen, wären langfristiger zu sehen“, so Gressel.
Der Osteuropaexperte glaubt allerdings nicht an ein schnelles Ende des Kriegs. „Russland ist nicht vom Ziel, die gesamte Ukraine zu unterwerfen, abgerückt“, ist sich Gressel sicher. Der Kreml verfolge die Ziele nun nicht mehr parallel, sondern nacheinander. „Das heißt nicht, dass man nach der Schlacht in Donbass keinen Krieg mehr hat.“ Daher könnten Waffenlieferungen auf mittel- oder langfristige Sicht durchaus hilfreich sein. Für einen möglichen Großangriff in der Ostukraine kämen sie aber wahrscheinlich zu spät.
RND
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