Vorfreude auf das Kommende schlägt den Pessimismus Fakten gegen die Zukunftsangst

Vorfreude auf das Kommende schlägt den Pessimismus: Fakten gegen die Zukunftsangst
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Ulrich Breulmann

Geht es uns so schlecht? Wer sich die Wahlkämpfer anhört, kann leicht in eine Depression fallen. Die Oppositionsparteien, zu denen sich kürzlich auch die FDP gesellt hat, malen ein Horrorbild der vergangenen Jahre. Die Noch-Regierungsparteien wirken verschüchtert. Sie wissen genau, dass längst nicht alles gut gelaufen ist. Da hält man sich besser zurück.

Wie aber steht es am Ende dieses Jahres und dieser Regierung wirklich um uns? Ist es angesagt, das Vergangene zu verteufeln und das Kommende zu fürchten? Einige Gedanken dazu.

1. Als im Herbst 2021 der Bundestag gewählt wird, hat uns Corona im Würgegriff. Impfungen gibt es zwar, sie sind aber noch nicht für alle verfügbar. Niemand weiß, wie es weitergeht. Angst grassiert.

2. Corona klingt ab, da bricht ein Krieg aus. Putin überfällt die Ukraine, eine Erkenntnis bricht sich bahn: Der uns so selbstverständlich gewordene Frieden hat keine Ewigkeits-Garantie. Die Energiepreise schießen in abstruse Höhen. Es droht ein Winter, in dem wir frierend im Dunkeln sitzen.

Alles in allem sind üblere Bedingungen für einen Regierungsstart kaum denkbar. Das ist für nichts eine Entschuldigung, aber eine Erklärung für vieles. In der Rückschau denke ich: Da sind wir doch seit 2021 ganz ordentlich durchs Krisenmeer gesegelt.

„Gejammer als Lieblingsmusik“

Vielleicht müssen vor diesem Hintergrund all jene, denen Gejammer zur Lieblingsmusik geworden ist, einfach mal ein paar schlichte Tatsachen zur Kenntnis nehmen:

3. Ja, die Wirtschaft lahmt. Da ist viel zu tun. Aber die wehklagende Wirtschaft muss sich auch selbst fragen lassen: Habt Ihr vielleicht die Zeit verschlafen, Euch auf Euren Lorbeeren ausgeruht?

Besonders tief im Schlamassel steckt die Autoindustrie. Das erinnert an die Kutschen-Hersteller. Die gingen pleite, als Carl Benz 1886 das Auto erfand. Die deutsche Autoindustrie hat viele Jahre Elektroautos belächelt, jetzt hechelt sie China, den USA und Südkorea hinterher. Eigene Versäumnisse? Verdrängt. Stattdessen wird über hohe Stromkosten geschimpft.

Fakt ist: Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft ist der durchschnittliche Strompreis für die Industrie von 21,38 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2021 auf aktuell 16,99 Cent gesunken. Die Steuern und Abgaben auf eine Kilowattstunde Industriestrom sanken von 9,08 auf 1,40 Cent.

VW erweckt gerade den Eindruck, als sei der Konzern dem Untergang geweiht. Ich hielte ein wenig Mäßigung für angebracht. VW erwirtschaftete im ersten Halbjahr 2024 einen bereits versteuerten Gewinn von 8,5 Milliarden Euro. Das ist ziemlich weit von der Armutsgrenze entfernt.

4. Aufschlussreich sind auch diese Daten:

- Der DAX lag im Herbst 2021 bei 15.532 Punkten. Heute sind es 20.500 Punkte. Ein Plus von 32 Prozent.

- Im Oktober 2021 exportierte Deutschland Waren für 121,3 Milliarden Euro. Im Oktober 2024 waren es 124,6 Milliarden Euro.

- Im Oktober 2021 waren 45,2 Millionen Menschen erwerbstätig, heute sind es 46,1 Millionen.

- Die Inflation lag 2021 bei 3,1 Prozent. Aktuell beträgt sie 2,2 Prozent.

- Strom aus erneuerbaren Energien hatte 2021 einen Anteil von 41,1 Prozent. Heute liegt er bei 63,4 Prozent.

„Es herrscht Weltuntergangs-Stimmung“

Obwohl es also trotz aller Krisen nicht überall, aber eben an etlichen Stellen gut gelaufen ist, herrscht bei vielen Weltuntergangs-Stimmung. Laut Forsa-Umfrage blicken 69 Prozent mit Sorge in die Zukunft. 45 Prozent erwarten eine Verschlechterung der Lage, nur 19 Prozent eine Verbesserung.

So viel Pessimismus ist nicht gut für uns. Darauf wies jüngst die Zukunftsforscherin Florence Gaub im SPIEGEL hin: „Je mehr die Zukunft als positives Ordnungskonzept für Veränderungen fehlt, desto mehr steigt die Angst, ihr ausgeliefert zu sein. Das wiederum macht Parteien attraktiv, die die Zukunft in Form der Vergangenheit anbieten, denn dadurch, dass sie schon bekannt ist, scheint sie besonders sicher.“

Dabei gebe es keine Theorie für die Zukunft. Die könne es auch gar nicht geben, denn alle Theorien schrieben nur aus der Vergangenheit Abgeleitetes fort. Dabei sei das Alleinstellungsmerkmal der Zukunft gerade das Neue, das weder bekannt noch vorhersehbar sei. Deshalb müsse man akzeptieren: „Eine neue Zukunft verabschiedet sich zwangsläufig von dem, was war, und bricht mit der Vergangenheit.“

Und wie passt Weihnachten da rein?

Das mag erschrecken, kann aber auch befreien. Wir wissen nicht, was kommt. Warum soll alles schlecht sein, was die Zukunft für uns bereithält?

Weil bald Weihnachten ist, dies zum Schluss: Wenn der Sohn eines Zimmermanns, dessen Geburtstag wir Weihnachten feiern, nicht mit Vergangenem radikal gebrochen und Neues gewagt hätte, gäbe es kein Christentum. Nun wollen wir sicher keine neue Religion stiften, aber ein bisschen weniger Angst und etwas mehr Optimismus täte uns allen gut – auch den Politikern.

Erwarten wir mit Spannung und Vorfreude die Zukunft, nicht mit Angst.

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