Unterschiedliche Herkunft, gemeinsame Zukunft

NRW wird 70

Es begann mit einer Zwangsheirat, heute ist Nordrhein-Westfalen eine gut funktionierende Patchwork-Familie. Zum 70. Geburtstag des Bundeslandes wird am Dienstag in Düsseldorf gefeiert - unter anderem mit dem britischen Prinzen William. Chefredakteur Wolfram Kiwit gratuliert "unserem eN-eR-Weh".

NRW

23.08.2016, 11:03 Uhr / Lesedauer: 2 min

Herzlichen Glückwunsch, Nordrhein-Westfalen! 70 Jahre. Ein stolzes Alter. Mannomann.

Das Verhältnis zu unserem Bindestrich-Land ist, sagen wir mal kompliziert. Weswegen wir auch lieber von eN-eR-Weh sprechen. Wir in Westfalen sind das Weh. Und die Rheinländer feiern. So eine Abkürzung ist griffig und distanziert. Es fing alles damit an, dass NRW aus einer Art Zwangsheirat entstand. Die britische Besatzungsmacht hat uns zusammengebracht. Eine Vernunftehe ist ja keine gute Startvoraussetzung für „echte Liebe“.

Codename "Operation Marriage"

Am 23. August 1946, heute vor 70 Jahren, hat die britische Militärregierung unter dem Codenamen „Operation Marriage“ das Bundesland Nordrhein-Westfalen durch den Zusammenschluss des nördlichen Teils der preußischen Rheinprovinz und der preußischen Provinz Westfalen geschaffen. Die „Operation Hochzeit“ schuf einen politischen Lebensraum. Mit Düsseldorf im Zentrum. Ein kultureller Lebensraum, ein Land für Rheinländer und Westfalen, das brauchte und braucht Zeit. Und dann sind ja auch noch die Lipper dabei. Die zierten sich erst. Der kleinste Landesteil Lippe am östlichen Rand gehört seit 69 Jahre zu NRW.

Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen durch die Verordnung Nr. 46 der britischen Militärregierung. >> #NRWpic.twitter.com/EdRtlXvc1H

— Heute vor 70 Jahren (@NRWhistory)

NRW hat eine wechselvolle Geschichte. Sieben Jahrzehnte Kampf, Schweiß, Niederlagen. Sieben Jahrzehnte Kampf, Aufbruch, Begeisterung. Kämpfen konnten wir immer. Aufgekrempelte Ärmel sind unser Markenzeichen. Und mit diesen aufgekrempelten Ärmeln haben wir wie kein anderes Land in der Republik kräftig angepackt; Strukturwandel ist hier Dauerzustand. Wir waren der stampfende Motor, die Energiequelle des Neubeginns.

Eine gut funktionierende "Patchwork-Familie"

Anfang der 50er-Jahre fuhren im Ruhrgebiet eine halbe Million Bergleute ein. Heute sind es noch 4000 im letzten aktiven Bergwerk, der Zeche Prosper Haniel in Bottrop. 2017 ist auch hier Schicht im Schacht. Auf Kohle, Stahl und Bier folgten in NRW Universitäten, Technologiezentren, Mikrosystemtechnik, Logistik… Aus der Kloake Emscher wurde wieder ein Fluss. Wo einst die Schlote qualmten, erholen sich heute Menschen aus vielen Kulturen und Nationen dieser Welt. Gemeinsam. Nicht immer in Harmonie, aber miteinander. Gemeinsam stehen wir auf der Süd in Dortmund. Oder in der Nordkurve auf Schalke. Oder singen über „Freud oder Leid, Zokunft un Verjangenheit“ beim FC Köln.

So eine echte Wohlfühl-NRW-Identität gibt es trotzdem nicht. Mein Kollege Peter Pauls vom Kölner Stadtanzeiger hat von einer „Patchwork-Familie“ gesprochen. Das trifft unser Zusammenleben an Rhein, Ruhr und Lippe gut. Wir haben keine Landeshymne, besingen lieber Bochum oder Kölle, stehen im Ernstfall aber fest zusammen. Der damalige CDU-Ministerpräsident Franz Meyers ließ 1963 mittels Preisausschreiben einen neuen Namen für „Nordrhein-Westfalen“ suchen. Einsender schlugen „Montana“ und „Sachsofrankonien“ vor. Daraus wurde nichts. Es blieb bei eN-eR-Weh.

"Es ist furchtbar, aber es geht."

Und nach nun 70 Jahren möchten wir das zwangsverbundene Bindestrich-Land auch keinesfalls missen. Bei allen kulturellen Unterschieden. Wir Westfalen halten weiter, was die Rheinländer versprechen. Wortkarg, aber zuverlässig. Und inzwischen können wir sogar Arm in Arm zusammen feiern. Einen Geburtstag zum Beispiel.

Die kürzeste Zusammenfassung unserer NRW-Befindlichkeit haben die Kabarettisten Jürgen Becker (aus Köln) und Rüdiger Hoffmann (aus Paderborn) gefunden: „Es ist furchtbar, aber es geht.“ Inzwischen würde ich sagen, es geht ganz gut. SPD-Ministerpräsident Johannes Rau hat 1985 in seiner Regierungserklärung – damit wir es kapieren gleich mehrfach – gesagt: „Unsere Herkunft ist unterschiedlich, unsere Zukunft ist gemeinsam.“

Wir fügen hier seit Generationen zusammen, wen die Weltgeschichte zusammenführt. Jeden Tag. In einem Land, in dem es sich prima leben lässt. Herzlichen Glückwunsch, Nordrhein-Westfalen.

Das Programm zum 70. Geburtstag am Dienstag
16 Uhr: Eröffnung der Ausstellung "schwarz-weiß wird bunt - 70 Jahre NRW" mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel
17 Uhr: Verleihung des NRW-Fahnenbandes an die 20th Armoured Infantry Brigade, unter anderem mit Ministerpräsidentin Kraft und dem britischen Prinz William
19 Uhr: Festakt in der Tonhalle Düsseldorf, unter anderem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsidentin Kraft und dem britischen Prinz William