Türkischer Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt
Außenminister beendet Urlaub
Die Inhaftierung eines deutschen Menschenrechtlers in der Türkei schlägt immer höhere Wellen. Jetzt hat Außenminister Sigmar Gabriel sogar seinen Urlaub wegen der prekären Situation abgebrochen, außerdem muss der türkische Botschafter im Auswärtigen Amt antreten.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel steigt auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel in Berlin in einen Airbus A340 der Deutschen Luftwaffe. Foto: Gregor Fischer
Die diplomatische Krise zwischen Deutschland und der Türkei spitzt sich weiter zu. Wegen der Inhaftierung eines Deutschen und fünf weiterer Menschenrechtsaktivisten ist der türkische Botschafter am Mittwoch, 19. Juli, ins Auswärtige Amt zitiert worden.
Ihm sei „klipp und klar“ mitgeteilt worden, dass die Verhaftungen in der Türkei „weder nachvollziehbar noch akzeptabel“ seien, sagte ein Ministeriumssprecher dazu. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) bricht wegen der kritischen Lage seinen Urlaub ab und kehrt nach Berlin zurück.
Festnahme wegen Terrorverdachts
Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner und fünf Kollegen waren vor zwei Wochen bei einem Workshop in Istanbul wegen Terrorverdachts festgenommen worden. Das Vorgehen der Türkei sorgte international für Empörung.
„Die Bundesregierung fordert die unverzügliche Freilassung von Peter Steudtner“, betonte der Außenamtssprecher. „Vorwürfe über Verbindungen zu terroristischen Organisationen sind offensichtlich an den Haaren herbeigezogen.“ Regierungssprecher Steffen Seibert ergänzte: „Das ist eine ernste und auch eine traurige Situation im deutsch-türkischen Verhältnis.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stehe in stetigem Kontakt mit Gabriel. Dieser wird nach Angaben seines Sprechers wegen der „dramatischen Verschärfung“ der Lage bereits am Donnerstag, 20. Juli, in Berlin zurückerwartet.
Ein Versuch Andersdenkende zu kriminalisieren
Die türkische Staatsanwaltschaft wirft den Inhaftierten vor, eine „bewaffnete Terrororganisation“ zu unterstützen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte sie zuvor in die Nähe von Putschisten gerückt. Seibert bezeichnete die Vorwürfe hingegen als den „durchschaubaren Versuch“, Andersdenkende zu diskreditieren und zu kriminalisieren.
Justizminister Heiko Maas (SPD) äußerte sich ähnlich. „Wer sich für Menschenrechte einsetzt, ist kein Terrorist“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Herr Erdogan füllt die Gefängnisse mit seinen Gegnern und Kritikern. Das hat mit einem Rechtsstaat nichts mehr zu tun.“ Erdogan müsse klar sein, „dass er die Türkei politisch isoliert und ihr wirtschaftlich schadet“.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz fordert von der Kanzlerin „Klartext“ gegenüber Erdogan. Es mache „in dieser dramatischen Situation keinen Sinn, mit der Türkei weiter über die Ausweitung der Zollunion mit der EU zu reden“, sagte Schulz der „Bild“-Zeitung. „Aus Brüssel sollten auch keine Mittel zur Vorbereitung des EU-Beitritts nach Ankara fließen.“
EU-Beitrittsprozess mit Türkei beenden
Der stellvertretende Präsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), machte sich dafür stark, den EU-Beitrittsprozess mit der Türkei umgehend zu beenden. „Nur so können Deutschland und die EU ein deutliches Zeichen gegen den rasanten Niedergang von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei setzen.“
Erst im Juni war gegen den Amnesty-Landesvorsitzenden in der Türkei, Taner Kilic, Untersuchungshaft verhängt worden. Auch der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel und die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu sitzen in der Türkei wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft.
Insgesamt 22 Deutsche verhaftet worden
Im Zusammenhang mit dem Putschversuch vor einem Jahr sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung bislang 22 deutsche Staatsbürger in der Türkei festgenommen worden. Das geht aus einer Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Özcan Mutlu hervor. Dreizehn Betroffene wurden demnach wieder aus der Haft oder dem Polizeigewahrsam entlassen, neun seien weiter inhaftiert.
Die leichteste Form der diplomatischen Kritik ist die höfliche Einladung des Botschafters zu einem Gespräch. So soll der Eindruck verhindert werden, dass es ernsthafte Spannungen zwischen den Ländern gibt.
Ein deutlich schärferes Instrument ist die förmliche Einbestellung, so wie aktuell mit dem türkischen Botschafter geschehen. Damit wird signalisiert, dass es ernstere Verstimmungen zwischen den Staaten gibt.
Die schärfste Form der Kritik ist die Ausweisung eines Botschafter. Laut dem Wiener Abkommen über diplomatische Beziehungen kann ein Staat einen Diplomaten für unerwünscht erklären. Verlässt der Botschafter das Land nicht in einem festgelegten Zeitraum, wird er ausgewiesen.
Auch der Entsendestaat hat die Möglichkeit diplomatischen Protest gegen die Regierung zum Ausdruck zu bringen, indem er seinen Botschafter abberuft.
Das letzte und stärkste Mittel ist die komplette Beendigung der diplomatischen Beziehungen zu einem anderen Staat, was allerdings nur sehr selten vor.