Türkei droht Griechenland: Eskaliert der Streit um die Ägäis diesen Sommer?

Bodenschätze und Militärbasen

Die Türkei erhebt Ansprüche auf griechische Ägäis­inseln. „Wenn Griechenland sich nicht fügt, werden wir die Dinge weiter vorantreiben“, drohte der türkische Außenminister Cavusoglu.

Athen

31.05.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Die türkische Regierung verschärft ihren Ton gegenüber Griechenland. Außen­minister Mevlüt Cavusoglu forderte das Nachbarland auf, sein Militär von Ägäisinseln wie Rhodos, Kos, Lesbos und Samos abzuziehen. „Wir bluffen nicht“, sagte Cavusoglu gegenüber Journalisten auf dem Rückflug von einem Besuch in Israel. „Wenn Griechenland sich nicht fügt, werden wir die Dinge weiter vorantreiben“, drohte Cavusoglu. Zu welchen Maßnahmen die Türkei dann greifen wird, erläuterte der Minister nicht.

In Athen wächst die Sorge vor neuen Spannungen in diesem Sommer. Am Donnerstag meldete Griechenland rund 40 Verletzungen seines Luft­raums durch türkische Kampf­flugzeuge. Die Türkei argumentiert, Griechenland verliere seine Souveränitäts­rechte über die Inseln der östlichen Ägäis, weil es dort Militär stationiert hat. Das steht nach türkischer Auffassung im Widerspruch zu den Verträgen von Lausanne und Paris, die eine Demilitarisierung der Inseln vorsahen.

In einem am Donnerstag in New York an die UN übergebenen Brief bestreitet die griechische Regierung diese Auslegung der Verträge. Die Türkei beruft sich unter anderem auf den 1947 geschlossenen Friedens­vertrag von Paris, mit dem Italien die Dodekanes-Inselgruppe um Rhodos an Griechenland abtrat. Er bestimmte die Demilitarisierung der Inseln.

Die griechische Regierung argumentiert, die Türkei könne aus dem Vertrag keine Ansprüche ableiten, weil sie gar keine Vertragspartei ist. Griechenland begründet die Militarisierung der Inseln mit der Bedrohung durch zahlreiche Ladungs­schiffe an der türkischen Küste und mit dem in der UN-Charta festgeschriebenen Recht auf Selbst­verteidigung. Im Raum steht auch eine türkische Kriegs­drohung, wenn Griechenland seine Hoheits­gewässer in der Ägäis von sechs auf zwölf Meilen ausdehnen würde – wozu Athen nach der UN-Seerechts­konvention berechtigt wäre. Die Türkei betrachtet einen solchen Schritt als Casus Belli, als Kriegsgrund.

Auch der Streit um die Boden­schätze im östlichen Mittel­meer könnte in den nächsten Wochen neu aufflammen. Die Türkei beansprucht dort Seegebiete, die nach dem UN-Seerecht Griechenland als Wirtschafts­zone zustehen. Im Sommer 2020 gerieten beide Länder an den Rand eines militärischen Konflikts, als griechische und türkische Kriegs­schiffe gefechts­bereit in den umstrittenen Seegebieten auffuhren. Unter Vermittlung der damaligen Kanzlerin Angela Merkel konnte die Krise entschärft werden. Jetzt kündigte die Türkei für Juli neue Erdgas­bohrungen in der Region an.

Die Spannungen sind umso brisanter, weil der Gesprächs­faden zwischen dem türkischen Staats­chef Recep Tayyip Erdogan und dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis abgerissen ist. Erdogan erklärte diese Woche, für ihn existiere Mitsotakis nicht mehr, er werde ihn nie wieder treffen. Er warf dem griechischen Premier vor, er habe bei seinem Besuch in Washington vorvergangene Woche versucht, amerikanische Waffen­lieferung an die Türkei zu hinter­treiben.

Erdogan bringt sich in Position

Die scharfen Töne aus Ankara dürften vor allem innen­politisch motiviert sein. Ein Jahr vor den Parlaments- und Präsidenten­wahlen steht Erdogan wegen der Rekord­inflation von 70 Prozent unter wachsendem Druck. Mit dem Konfliktkurs gegenüber Griechenland könnte Erdogan versuchen, nationalistische Wähler an sich binden, auf deren Stimmen er angewiesen ist. Das erklärt auch Erdogans Einspruch gegen die Nato-Nord­erweiterung und seine Vorwürfe gegenüber Schweden und Finnland. Er beschuldigt beide Länder, türkischen Terroristen Asyl zu gewähren.

Während um die Nato-Nord­erweiterung weiter gerungen wird, drohen neue Spannungen: Staats­chef Erdogan kündigte diese Woche eine weitere Militär­offensive in Nordsyrien an. Es wäre die vierte seit 2016. Die USA kritisierten die türkischen Pläne bereits als Gefahr für die Stabilität der Region.

RND