Es beginnt mit einem großen Knall am Freitag. Ein Häuschen auf der Bühne des Schauspielhauses Bochum explodiert (für empfindsame Zuschauer gibt es Ohrenstöpsel). Aus den Trümmern steigen die Tyrones, klauben das Notwendigste zusammen – Stühle, eine Topfpflanze, Whiskykaraffe, Gläser.
Es ist das treffende Bild für eine Familie, die zutiefst versehrt ist. Eugene O‘Neill hat in „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ seine Biografie verarbeitet. Der Vater, ein abgehalfterter Schauspieler, von Geiz zerfressen und genauso alkoholabhängig wie seine beiden Söhne. Die Mutter, die angesichts der Schwindsucht des Sohnes wieder ihrer Morphiumsucht erliegt. Das dritte Kind, früh gestorben, steht wie ein Geist im Raum. Sie verbringen die Zeit zwischen zwei Tourneen in ihrem Sommerhaus.

Das Stück konzentriert in einem langen Tag die Vorwürfe, Kränkungen, Schuldzuweisungen, Schuldgefühle, den Hass und ja, auch die Liebe, die Vater, Mutter, Söhne untrennbar miteinander verbinden. Vergangenes wird nach und nach ans Licht geholt. Die Sucht ist für alle eine Chance, zu verdrängen, das Leben auszuhalten.
Johan Simons, der gerade seinen Intendanten-Vertrag bis zum Sommer 2027 verlängert hat, blickt allerdings mit Zärtlichkeit auf die Figuren. Wenn sie immer wieder die Bretter und Pfeiler ordnen und zusammenlegen, scheint auch die Hoffnung durch, das Leben wieder neu aufbauen zu können.
Zweite Teil ist spannender
Es ist ein langer Theaterabend, nach zwei Stunden und der Pause bleiben einige Sitze leer. Ein paar Striche würden der Inszenierung sicher in diesem ersten Teil guttun, in dem sich die Handlung nicht spürbar steigert, man diesen vom Leben Besiegten keine Entwicklung mehr zutraut.
Die, die bleiben, hält es vielfach nach einer weiteren Stunde zum Applaus nicht auf den Sitzen. Der Beifall gilt Simons, insbesondere aber dem Ensemble. Für sie lohnt es, auszuhalten. Und auch für den zweiten Teil, in dem dann doch ungeschönte und bittere Wahrheiten ausgesprochen werden. Guy Clemens als James junior kann seinen Zorn auf den von der Mutter mehr geliebten Bruder kaum im Griff halten. Pierre Bokma als Vater James Tyrone und Alexander Wertmann als schwindsüchtiger Sohn Edmund – das Alter Ego des Autors – prallen in einem langen und furiosen Dialog aufeinander.
Leise Szenen
Es sind aber auch die leisen Szenen, die im Gedächtnis bleiben. So, wenn Elsie de Brauw als trauernde Mutter stumm dem Geist ihres toten Kindes (Django Gantz) über die Bühne folgt. Beeindruckend ist, wie Bokma oder Elsie de Brauw mit kleinen Gesten, Veränderungen der Körpersprache Wirklichkeiten früherer Zeiten aufblitzen lassen.
Und da ist beim Schlussapplaus nach all dem geballten Elend auch der Gedanke, dass O‘Neill hier seine Familiengeschichte aufgeschrieben hat – „mit Blut und Tränen“, wie er 1941 in seiner Widmung schrieb. Erst weit nach seinem Tod, so sein Wille, sollte das Werk veröffentlicht werden.
Termine: 11. / 30. 10., 3. / 10. / 23. 11. 2024; Karten: Tel. (0234) 33 33 55 55. www.schauspielhausbochum.de
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