Ein 85-jähriger Mann aus Werne ist nach einer Beinverletzung im Hellmig-Krankenhaus Kamen behandelt worden – und gestorben. Seine Partnerin glaubt, dass daran das Personal schuld ist.

von Claudia Lohmann

Kamen, Werne

, 08.04.2020, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Als sie ihren Lebensgefährten im Krankenhaus zurückließ, war er bis auf das verletzte Bein in einem normalen Zustand und geistig unauffällig. Der 85-jährige Mann aus Werne hatte sich bei einem Sturz in der Wohnung eine Oberschenkelfraktur zugezogen und wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Das war am 5. Januar. Am 6. Januar kam seine Partnerin ins Krankenhaus und fand ihn „eiskalt, weiß, ohne Atmung“ vor. Wenige Tage später war er tot.

Was Rechtsanwalt Mirko Koch in seiner Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft Dortmund beschreibt, klingt wie das Drehbuch eines Horrorstreifens. Doch es handelt sich um keinen erdachten Film und auch nicht um ein Buch.

Es sind schwere Vorwürfe, die der Unnaer Anwalt für seine Mandantin gegen Mitarbeiter des Hellmig-Krankenhauses in Kamen erhebt.

Seine Mandantin, eine 71-jährige Frau aus Werne, erstattet Strafanzeige und bringt damit ein Ermittlungsverfahren ins Rollen, in dem nun mögliche verantwortliche Personen gesucht werden. Der Vorwurf: fahrlässige Tötung.

In seiner Stellungnahme zählt Anwalt Mirko Koch auf, was seiner Ansicht nach diesen Vorwurf rechtfertigt. Während das Hellmig-Krankenhaus sich auf Anfrage bisher nicht zu dem Fall äußert, umfasst das Schreiben des Anwalts sieben Seiten. Koch hat die Patientenakte durchgearbeitet. Daraus „ergeben sich erhebliche Anhaltspunkte für mehrfaches pflichtwidriges Verhalten der behandelnden Ärzte, welche den Vorwurf der fahrlässigen Tötung begründen“, schreibt er.

Hätte der 85-Jährige in seinem Zustand operiert werden dürfen?

„Bei ordnungsgemäßer ärztlicher Behandlung wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der konkrete Todeszeitpunkt überlebt worden“, so Koch über den 85-jährigen Verstorbenen.

Die mutmaßlichen Behandlungsfehler, die Koch aufzählt, betreffen unterschiedliche Vorgänge – zum Beispiel die Medikation.

Laut Koch soll der Patient mit einem Medikamenten-Cocktail „abgeschossen“ worden sein und hätte am Morgen des 6. Januars in seinem Zustand nicht operiert werden dürfen.

Jetzt lesen

Der Anwalt, der nach eigenen Angaben mit Experten aus dem Gesundheitswesen zusammenarbeitet, stellt die Vermutung auf, dass insbesondere die hohen Dosen des Medikamentes Diazepam den Patienten in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar ruhigstellen sollten.

Das Medikament soll unter anderem dazu geführt haben, dass der Patient in ein Delirium fiel. Das Mittel, das dem 85-Jährigen eigentlich verordnet wurde, habe man ihm laut Koch nicht gegeben. Hier sei die ärztliche Anordnung missachtet worden.

Trotz Delirium: Wurde die Bevollmächtigte nicht informiert oder gefragt?

Der 85-Jährige befand sich laut Kochs Ausführungen also in einem verwirrten Zustand. Dennoch sei er am nächsten Tag operiert worden. Laut Koch sei zu diesem Zeitpunkt die am vorangegangenen Tag erteilte Einwilligung zur Operation ob des veränderten Gesundheitszustandes nicht mehr gegeben gewesen.

Und auch die Aufklärung des Anästhesisten unmittelbar vor der Operation erklärt der Anwalt für unwirksam, da der 85-Jährige sich im Delirium befunden haben soll. Der Anästhesist habe sich den Aufklärungsbogen „mit einem Krakel noch abkrakeln lassen“.

Was dem Anwalt zudem sauer aufstößt, ist, dass seine Mandantin trotz Patientenverfügung nicht ins Boot geholt wurde. „Es erfolgte zu keiner Zeit irgendeine Benachrichtigung der Bevollmächtigten!“, schreibt Koch.

Es soll keine rechtmäßige Aufklärung über die Medikamentengaben erfolgt sein und auch nicht über freiheitsentziehende Maßnahmen – laut Koch wurde ein Bettgitter angelegt, das nicht angeordnet gewesen sein soll.

Mirko Koch ist Rechtsanwalt, unter anderem mit dem Schwerpunkt Medizinrecht. Er ist überzeugt, dass Behandlungsfehler zum Tod des Mannes aus Werne geführt haben.

Mirko Koch ist Rechtsanwalt, unter anderem mit dem Schwerpunkt Medizinrecht. Er ist überzeugt, dass Behandlungsfehler zum Tod des Mannes aus Werne geführt haben. © privat

Der 85-jährige Patient sei in der Nacht über das Gitter gestürzt, was mit dem eigentlich angeordneten Bauchgurt nicht hätte passieren können, wie Koch schreibt: „Ein Bauchgurt war angeordnet, offenbar jedoch nicht durchgeführt. Ansonsten hätte der Patient ja nicht über das Bettgitter stürzen können.“

Neben dieser Maßnahme, der Medikation und der mutmaßlich mangelhaften Aufklärung finden sich noch weitere Vorwürfe in dem Schreiben des Rechtsanwalts. Sie an dieser Stelle aufzuführen, würde den Rahmen sprengen.

Mann starb aufgrund eines irreversiblen Hirnschadens

Die Mandantin von Mirko Koch soll am 6. Januar nach der Operation ins Krankenhaus gekommen sein, wo ihr gesagt worden sei, dass sie noch eine Runde spazieren gehen könne.

Als sie zurückkam, soll sie den Mann, mit dem sie 30 Jahre lang zusammen gelebt hat, nach Kochs Ausführungen kalt und ohne Atem alleine in einem offen stehenden Zimmer vorgefunden haben. Er starb wenige Tage später aufgrund eines irreversiblen Hirnschadens.

Staatsanwaltschaft hat Ermittlungsverfahren eingeleitet

Nachdem die 71-jährige Wernerin davon überzeugt, dass ihr Lebensgefährte unter anderen Umständen noch leben würde, Anzeige erstattet hat, wurde inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Das Hellmig-Krankenhaus selbst kann nicht angeklagt werden, sondern nur Personen. Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt nun mögliche verantwortliche Personen und untersucht dann, ob eine Straftat vorliegt.

Das Hellmig-Krankenhaus selbst kann nicht angeklagt werden, sondern nur Personen. Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt nun mögliche verantwortliche Personen und untersucht dann, ob eine Straftat vorliegt. © picture alliance/dpa

Das geschieht, wenn die Staatsanwaltschaft Kenntnis davon erhält, dass es in einem Krankenhaus zu einem strafrechtlich relevanten Behandlungsfehler gekommen sein könnte, wie Staatsanwältin Sonja Frodermann aus der Pressestelle der Staatsanwaltschaft Dortmund ausführt.

Das Hellmig-Krankenhaus selbst kann nicht angeklagt werden

Demnach richten sich Anklagen im Strafrecht immer gegen eine bestimmte Person, der ein bestimmtes strafbares Verhalten zur Last gelegt wird. Das Hellmig-Krankenhaus selbst kann also nicht angeklagt werden.

Im Ermittlungsverfahren, das sich in diesem Fall gegen Unbekannt richtet, wird nun die möglicherweise verantwortliche Person ermittelt, „ehe dann geprüft wird, ob tatsächlich eine Straftat (wie fahrlässige Körperverletzung oder fahrlässige Tötung) nachzuweisen ist“, so Frodermann. Nur in letzterem Fall könne Anklage erhoben werden.

Jetzt lesen

Ob es in diesem Fall zu einer Anklageerhebung und einer Hauptverhandlung vor Gericht kommen wird, sei derzeit noch nicht abzusehen.

Das Hellmig-Krankenhaus selbst äußerte sich auf Anfrage unserer Redaktion nicht zu dem Fall, da es sich um ein laufendes Verfahren handele.