Tindern für den Weltfrieden? Wie Netzaktivisten in Russland über den Krieg aufklären wollen

Krieg gegen die Ukraine

Mithilfe von Google Maps wollen Menschen Antikriegsbotschaften an Menschen in Russland senden. Einige nutzen auch die Dating-App Tinder, um Menschen zu informieren. Gelingt das?

Berlin

von Vivien Valentiner

, 03.03.2022, 08:22 Uhr / Lesedauer: 2 min
Mareile Ihde nutzt Tinder, um Menschen in Russland über den Krieg in der Ukraine zu informieren (Symbolfoto).

Mareile Ihde nutzt Tinder, um Menschen in Russland über den Krieg in der Ukraine zu informieren (Symbolfoto). © picture alliance/dpa/dpa-tmn

Seit drei Tagen tindert Mareile Ihde in Russland, ohne das Land je betreten zu haben – und ohne auf der Partnersuche zu sein. Die Kommunikationsberaterin will mithilfe der Dating-App Menschen in Russland über den Krieg in der Ukraine und die Propaganda in russischen Staatsmedien informieren. 22 Euro hat sie an die App gezahlt, um eine Funktion freizuschalten, mit der man seinen Standort überall auf der Welt angeben kann.

Seitdem war sie virtuell in verschiedenen Städten unterwegs und hat sich durch die App gewischt. Ihde verbringt täglich Zeit damit – mal ein paar Minuten, mal mehrere Stunden. Kommt ein Match zustande, schreibt sie einen persönlichen mit Google Translator übersetzten Text, in dem sie ihr Gegenüber über den Krieg und das Verhalten von Putin informiert. „Ich schreibe, dass wir uns alle außerhalb Russlands enorm große Sorgen machen und Putin eine Bedrohung ist, tatsächlich auch für die russische Bevölkerung. Und dass das vielleicht aus der Binnensicht nicht nachvollziehbar ist.“

Bewertungen für Restaurants, Sehenswürdigkeiten – und Bankautomaten

Auf die Idee für diese Aktion kam Ihde durch Twitter. Am Montag hatte ein Account, der angibt, Teil des Hackerkollektivs Anonymous zu sein, den Aufruf eines anderen Nutzers verbreitet: Userinnen und User könnten die Bewertungsfunktion von Google nutzen, um Menschen in Russland über den Krieg in der Ukraine zu informieren.

Inzwischen haben mehr als 80.000 Twitter-Nutzende den Tweet geliked und fast 25.000-mal geteilt. In den Kommentaren geben sich die Leute gegenseitig Tipps, wie Bewertungen am besten gestaltet werden können, welchen Text und Onlineübersetzungsdienst man am besten nutzt.

Seitdem haben Userinnen und User viele Restaurants, Kinos, Clubs und Sehenswürdigkeiten bewertet. Ein Twitter-User riet etwa dazu, auch Bankautomaten zu bewerten, weil diese derzeit von vielen Russinnen und Russen häufig aufgesucht würden.

Wenige Menschen antworten

Viele Bewertungen sind jedoch mittlerweile nicht mehr auffindbar – sondern werden von Google gelöscht, wie das Unternehmen auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland bestätigte. Denn die Aktion verstößt gegen die Richtlinien des Unternehmens, die auch für Rezensionen gelten. „Maps soll kein Forum für Nutzer sein, die sich zu politischen, sozialen oder persönlichen Themen äußern möchten“, heißt es im Regelwerk. Beiträge, die sich nicht auf das eigentliche Thema beziehen, löscht Google daher. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gab eine Sprecherin an, neue Bewertungen, Fotos und Videos in der Region seien derzeit vorübergehend gesperrt.

Bei Tinder hat Ihde mit anderen Problemen zu kämpfen: Bislang haben nur zwei Menschen auf ihre Nachrichten geantwortet und sich mit ihr ausgetauscht – die anderen ignorieren sie oder lösen das Tinder-Match auf. Aufhören will sie deshalb nicht. „Mir ist wichtig, diese Informationen weiterzugeben, dass gerade etwas anderes passiert, als in Russland berichtet wird.“ Sie hofft, dass ihre Nachrichten zumindest einige Menschen zum Nachdenken anregen und dazu führen, dass sie sich im Internet bei anderen als russischen Staatsmedien informieren. „Ich erwarte nicht, dass durch meine Nachrichten plötzlich das ganze russische Volk gegen den Präsidenten aufsteht.“

Hat das einen Effekt?

Kritik an den Aktionen gibt es von verschiedenen Seiten. Mehrere Menschen haben unter anderem auf Twitter bereits angemerkt, dass Google in Russland nicht so verbreitet ist wie das russische Pendant „Yandex“. Diese Plattform scheint allerdings die Bewertungsfunktion inzwischen stark eingeschränkt zu haben. Statt ausführlicher Rezensionen findet sich auf „Yandex“ lediglich die Sternebewertung ohne Text, der Reiter Bewertungen ist verschwunden.

Ihde sagt, ihr sei außerdem vorgeworfen worden, Menschen umerziehen oder sich durch ihre Aktion besser fühlen zu wollen. Aber darum gehe es Ihde nicht, sagt sie. „Ich weiß, dass Propaganda und Desinformation tatsächlich eine konkrete Bedrohung für die Stabilität von Demokratien ist.“

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