Tanz bis (fast) in den Tod Das Musical „Rent“ feierte im Opernhaus Dortmund Premiere

Tanz bis (fast) in den Tod
Lesezeit

Am Broadway war das Musical „Rent“ ein Renner. Und zur Premiere am Samstag im Dortmunder Opernhaus reisten Musical-Fans aus ganz Deutschland an. Sie feierten die Inszenierung von Gil Mehmert euphorisch. Aber nüchtern betrachtet, wird das Musiktheater-Stammpublikum feststellen: Dieses Musical hat Schwächen – vor allem im ersten Teil, den lange Passagen mit Sprechgesang lähmen. Der zweite Teil ist dichter, rockiger und hat auch Ohrwurm-Potenzial.

„Rent“ fischt das Leben am Ende des 20. Jahrhunderts in New York auf. Mehmert, der „La Bohème“ und „Rent“ in Dortmund im selben Bühnenbild inszeniert, macht das geschickt, zeigt auch Obdachlose mit Tüten, Nischen, in denen mit Drogen gehandelt werden kann, und Gesprächspartner auf dem Anrufbeantworter lässt er in Schaukeln über die Bühne fliegen. Mehmert inszeniert flott, erzählt die Geschichte der Außenseiter mit auf und abfahrenden Bühnenelementen (Bühne: Jens Kilian) fast filmisch.

Ein toller Cast

Aber die Musik und die Texte von Jonathan Larson sind kein großer Wurf. Die deutsche Sprache macht die Songtexte nicht besser, und – auch weil die Band im Graben (Leitung: Jürgen Grimm) klein ist – hat „Rent“ wenig Drive. Da hat ein New-York-Musical wie Bernsteins „West Side Story“ eine ganz andere Qualität.

Ein toller Cast

Mitreißend wirken die Ensemble-Szenen. Da zünden auch die Choreografien von Melissa King. Das Opening kommt im ersten Teil spät, hat dann aber Kraft. Und großartig ist der Cast in Dortmund. Patricia Meeden rockt ihre Rolle als Mimi mit einer Wahnsinns-Energie, verkörpert die HIV-infizierte Tänzerin als Sexbombe und reißt mit einer Power-Stimme alle von den Sitzen. Die hat auch Bettina Mönch als bisexuelle Performancekünstlerin Maureen, das Pendant zur Musetta in „Bohème“. Ihr Song „Over the Moon“ hebt wirklich ab.

Szene aus "Rent"
Die Bohèmes mit ihrem Vermieter in New York (v. l.) Mark (Christof Messner), Benjamin Coffin (Pedro Reichert) und Angel (Lukas Mayer) © thomas.m.jauk

David Jakobs ist als Rockstar und Songwriter Roger (Rodolfo in „Bohème“) der bürgerlichste in dem Trupp der sozialen und gesellschaftlichen Außenseiter. Schöne Idee von Larson ist, den Maler Marcello im Musical zum Filmemacher Mark Cohen (Christof Messner) zu machen, der die Geschichte dokumentiert.

Larson packt sein Stück prall voll. Neben den HIV-Infizierten und Drogenabhängigen gibt es die Drag-Queen Angel (hinreißend performed von Lukas Mayer), ein lesbisches und ein schwules Paar – vielleicht alles ein bisschen viel, selbst für New York in den 1990ern.

Der Vergleich lohnt sich

Schön für die Zuschauer beider Stücke ist, zu sehen, wie Mehmert Regie-Schablonen auf beide Inszenierungen legt: Die Kerzenszene zwischen Mimi und Rodolfo / Roger ist identisch, das Café Momus wird in „Rent“ zum Club, in dem Mimi auf dem Tisch tanzt, der Weihnachtsmarkt (mit Schnee) ist in „Rent“ abgerockter. Mimi liegt auch im Musical am Schluss in der Badewanne. Larson lässt sie aber nicht sterben, sondern nur eine Nahtod-Erfahrung machen. Da ist das Musical weniger mutig als die Oper, am Schluss Tragik zu zeigen.

Der Vergleich lohnt sich

Für das Opernpublikum lohnt es sich, „Rent“ mal anzuschauen, weil das Musical wirklich ganz anders mit dem Stoff umgeht als die Oper. Die Musical-Zuschauer sollten unbedingt „La Bohème“ sehen, um zu erleben, wie dicht Oper ist.

Termine: 7./ 15./22./28. 10., 3./12./ 16. 11., 1./7./10./27./31. 12.2023, 12./14./ 28. 1., 11./14./18./ 24. 2., 2./ 22./24./31. 3., 1.4.2024; Doppelvorstellungen „La Bohème“ und „Rent“: 15. 10. und 10. 12.; Karten: Tel. (0231) 502 72 22 oderwww.theaterdo.de

„My Fair Lady“ lernt Deutsch für die Einbürgerung: Neu gedeutetes Musical unterhält bestens

Traumhafter Puccini: „La Bohème“ begeistert in einer wunderschönen Inszenierung in Dortmund

„Macbeth“ von Verdi: Neuer Generalmusikdirektor und ein toller Titelheld geben Schwung