Die Situation ist geradezu absurd. In den vergangenen Monaten sind die Preise an den Strombörsen massiv gesunken, doch kaum ein Grundversorger hat seine Preise gesenkt. Im Gegenteil: Viele haben sie sogar noch erhöht. Anders die alternativen Energieversorger: Bei ihnen gab es massive Preisreduzierungen und zwar ausnahmslos. Das wirft Fragen auf.
Im Detail: Am 28. Januar kostete eine Megawattstunde Strom (das sind 1.000 Kilowattstunden) für die Energieversorger im Einkauf im Durchschnitt 174,21 Euro. Jetzt, Stand 25. April, lag der Preis bei 98,25 Euro. Das sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
Da wäre doch eigentlich zu erwarten gewesen, dass sich das auch in den Preisen, die die Energieversorger an ihre Endkunden weitergeben, widerspiegelt . Doch das ist nicht der Fall, wie ein Vergleich unserer Redaktion für 74 willkürlich ausgewählte Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen belegt.
Daten für 74 Städte und Gemeinden aus Nordrhein-Westfalen
Für unseren Vergleich haben wir einen vierköpfigen Musterhaushalt mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 4.250 Kilowattstunden Strom zugrunde gelegt. Zum einen haben wir den Tarif des Grundversorgers (mit und ohne Strompreisbremse) gewählt. Zum anderen haben wir für jede einzelne Stadt den preiswertesten Alternativanbieter ermittelt, dessen Tarif eine Preisbindung von mindestens 12 Monaten vorsieht. Die Daten haben wir der Vergleichsplattform Verivox entnommen.
Von Stadt zu Stadt, von Gemeinde zu Gemeinde sind die Daten höchst unterschiedlich, wie wir auf einer interaktiven Karte dargestellt haben. Alles in allem lassen sich für die 74 von uns untersuchten Orte allerdings die folgenden vier Aussagen treffen:
In jedem Ort ist der Alternativanbieter billiger als der Grundversorger
1. In allen 74 Städten und Gemeinden gibt es einen Alternativanbieter, der günstiger ist als der Grundversorger. Ausnahmslos alle Alternativanbieter haben ihre Preise gegenüber Ende Januar, als wir alle Daten ebenfalls erhoben haben, deutlich gesenkt. Der Gesamtpreis pro Monat sank im Durchschnitt bei ihnen für unseren Musterhaushalt von 134,58 Euro am 27. Januar auf 112,26 Euro am 25. April.
2. Von den Grundversorgern haben lediglich 9 ihren monatlichen Gesamtpreis zwischen Ende Januar und Ende April gesenkt. Bei 34 ist er konstant geblieben und in 31 Fällen stieg er sogar. Der durchschnittliche monatliche Gesamtpreis sank nicht etwa wie bei den Alternativanbietern, sondern stieg: von 160,10 Euro am 27. Januar auf 177,53 Euro Ende April, wenn man die Strompreisbremse nicht berücksichtigt. Mit Strompreisbremse stieg der Durchschnittspreis von 146,03 Euro auf 156,81 Euro.
3. Kein einziger günstiger Alternativanbieter in den von uns untersuchten 74 Orten in NRW liegt mit seinem Grundpreis oberhalb der Preisbremsen-Schwelle von 40 Cent pro Kilowattstunde. Im Durchschnitt beträgt der Preis 29,24 Cent und liegt damit deutlich unter dem Preis von Ende Januar (33,89 Cent).
Bei den Grundversorgern sieht es ganz anders aus. Hier liegen nur 9 unterhalb der 40-Cent-Schwelle und 65 Anbieter darüber. Der Durchschnittspreis für eine Kilowattstunde Strom stieg bei den Grundversorgern von 41,57 Cent Ende Januar auf 46,85 Cent Ende April.
4. Fazit: Die Preis-Kluft zwischen den Grundversorgern und den Alternativanbieter hat sich deutlich vergrößert.
Christina Wallraf ist Referentin für den Energiemarkt bei der Verbraucherzentrale in Düsseldorf. Sie beurteilt das Verhalten der Grundversorger differenziert: Bei der Bewertung müsse man genau hinschauen: „Wie war das Preisniveau im letzten Jahr, wann hat der Energieversorger erhöht und in welchem Umfang?“ Ein Teil der Stromgrundversoger habe die Preise lange niedrig gehalten, und erst in diesem Jahr erhöht. Andere hätten schon Ende 2021 die Preise erhöht.
Expertin der Verbraucherzentrale: „Preissenkungen überfällig“
„Wer längerfristig beschafft und die Preise niedrig gehalten hat, wird die hohen Beschaffungskosten des letzten Jahres auch teilweise noch in diesem Jahr weitergeben müssen“, sagt Christina Wallraf und übt dann deutliche Kritik: „Bei anderen Grundversorgern, die schon länger hohe Preise nehmen, sind hingegen Preissenkungen überfällig, oder das Preisniveau ist mit Preisen von über 50 Cent pro Kilowattstunde zu sehr vom aktuellen Marktgeschehen entfernt.“
Anders ausgedrückt: „Grundversorger, die seit über einem Jahr hohe Preise nehmen, sollten die Preissenkungen nun auch weitergeben“, sagt Christina Wallraf.
Die Befürchtung, dass Grundversorger, die einmal die Schwelle von 40 Cent überschritten haben, noch einmal den Preis um einige Extra-Cent erhöhen, weil es dann für den Verbraucher ohnehin egal ist, teilt Christina Wallraf nicht: „Auch für Verbraucher ist es nicht egal, welchen Preis ihr Grundversorger nimmt, denn die Preisbremse gilt ja nur für 80 Prozent des Verbrauchs. Bei 58 Cent werden die letzten 20 Prozent richtig teuer.“
Allerdings, so Wallraf schmälerten die Preisbremsen die Ersparnis bei einem Anbieter. Das werde „wohl auch dafür sorgen, dass der ein oder andere Verbraucher jetzt noch nicht wechselt. Das senkt natürlich auch den Druck auf die Anbieter, mit den Preisen runterzugehen.“
Energie-Expertin setzt auf Kontrolle durch das Bundeskartellamt
Dass alternative Anbieter deutlich niedrigere Preise anbieten können als Grundversorger, kommt für Christina Wallraf nicht überraschend: „Anbieter, die nun mit Neukundentarifen an den Markt gehen, können ganz andere Preise bieten, da sie nicht die teuren Beschaffungskosten des letzten Jahres haben, sondern sich allein an den aktuellen Beschaffungspreisen orientieren müssen. So kommen die aktuell großen Preisunterschiede zu Stande, die teilweise gerechtfertigt sind, teilweise aber auch nicht.“
Im Übrigen gehe sie schon davon aus, dass das Verhalten der Grundversorger überprüft werde: „Ob Grundversorger die Preisbremsen ausnutzen, schaut sich das Bundeskartellamt ganz genau an. Hierbei gilt eine Beweislastumkehr, das heißt die Energieversorger müssen nachweisen, dass sie die Preisbremsen nicht ausnutzen. ,Ein paar Cent mehr draufpacken‘ ist daher nicht möglich – oder Anbieter müssen befürchten, dass ihr Verhalten geahndet wird“, sagt Christina Wallraf.
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