Es ist das Los vieler selbst ernannter Genies auf den Schauspielbühnen: Sie träumen von der Wiener Burg und scheitern in Käffern wie Utzbach oder Gaspoltshofen. In Mehrzweckhallen, vor selbstgeflicktem Vorhang und bei Fritattensuppe vom Schmierenwirt zum Mittagessen.
„Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard ist so ein Typ: ein Staatsschauspieler, der seine Glanzzeiten hinter sich hat, wenn er überhaupt welche hatte, Narzisst und Frauenverachter. Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, hat die Titelfigur in dem 40 Jahre alten Stück von Thomas Bernhard mit Stefanie Reinsperger inszeniert. Der Abend, der Samstag und Sonntag im Recklinghäuser Festspielhaus zum fulminanten Höhepunkt der Ruhrfestspiel-Saison wurde, war ein Triumph für die Dortmunder „Tatort“-Kommissarin und den Star des Berliner Ensembles.

140 dichte Minuten lang beherrschte Reinsperger mit einer fulminanten Körperlichkeit in diesem Quasi-Monolog, in dem die vier anderen Figuren nur Stichwortgeber sind, die Bühne. So eindrucksvoll wie fantastisch war der verbale Tsunami, mit dem sie sich als Theatermacher Bruscon Wut und Frust aus dem Leib brüllte.
Das kraftvolle Spiel der Österreicherin, ihr Dauer-Wüten und die Wucht, mit der sie agierte, waren umwerfend. Und nicht nur die Szene, in der sie einen Klapptisch zertrümmerte, war unfassbar gut gespielt.
Weiche Seite
Diese Rolle mit einer Frau zu besetzen, ist genial – wenn es eine Frau wie Stefanie Reinsperger ist. Denn die findet zwischendurch immer wieder in einer anderen, einschmeichelnderen Stimmlage sentimentale Töne, zeigt dann die weiche Seite des Mannes, für den Frau, Tochter und Sohn auf der Bühne alle „Anti-Talente“ sind. In diesen Momenten hat man den Mann mit den vielen Ticks und dem übergroßen Ego, der von den Kindern in den Arm genommen und getröstet werden will, richtig lieb.
Bühnenbildner Hansjörg Hartung hat ins Festspielhaus eine schäbige Mehrzweckhalle gebaut. In dieses trostlose Ambiente mit Hirschgeweih, Hitlerbild, Staub und Dreck aus Jahrzehnten schlurft der Theatermacher Bruscon in opabrauner, schlecht sitzender Hose (Kostüme: Elina Schnitzler) mit Discountertüte in der Hand, um für sein Theaterstück am „Rad der Geschichte“ zu drehen.
Theater als Irrenanstalt
Nacheinander nimmt er sich die Menschen, die in seinem Schatten stehen, vor: den schmierigen Wirt (Wolfgang Michael), die krupphustende Ehefrau (Christine Schönfeld), Sohn (Adrian Grünewald) und Tochter (Dana Herfurth). Alles Dilettanten, die Stefanie Reinsperger als Theatermacher mit der Arroganz eines Verzweifelten abstraft. Missbrauch, Gewalt und Frauenfeindlichkeit schwingen immer mit.
Das Theater ist eine Irrenanstalt – auch das zeigt der Theatermacher und geht am Schluss in der Mehrzweckhalle bei einem Gewitter unter. Solche Wassermassen durch das Bühnendach auf die Bühne fließen zu lassen war für die Theatertechniker in Recklinghausen sicher ein ebenso großer Kraftakt wie die Rolle für die überragende Stefanie Reinsperger.
Legendärer Abend
Das Publikum tobte. Und dann durfte es noch singen. Stefanie Reinsperger filmte das „Happy Birthday“ mit dem Handy und schickte es Oliver Reese zum 60. Geburtstag nach Berlin. Das weitaus größere Geschenk haben Reese und Reinsperger dem Publikum mit diesem legendären Abend gemacht.
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