Spanien ist der neue Europameister England spät aus den Träumen gerissen

Spanien ist der neue Europameister
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Irgendwo unter diesem Knäuel lag der Torschütze versteckt. Vergraben unter einem Haufen von Mitspielern, Betreuern, Glückseligen: Mikel Oyarzabal hat Sekunden vor Schluss der regulären Spielzeit Spanien zum Europameister geschossen, der Jubel kannte keine Grenzen mehr. Beim 2:1 im in Hälfte zwei hoch spannenden Finale der Europameisterschaft sahen die Engländer Rot – der Titel geht verdientermaßen an Spanien.

Es wurde nicht Englands Nacht des Lebens

An einem malerischen Sommerabend in Berlin träumten beide Teams von einer Nacht für die Ewigkeit. „Wir sehen, dass es eine tolle Gelegenheit ist für uns alle, um Geschichte zu schreiben“, hatte Englands Trainer Gareth Southgate (53) gesagt. 58 Jahre nach dem WM-Titel 1966 sehnte sich das Mutterland des Fußballs nach dem nächsten großen Triumph. „Wir wollen den Engländern die Nacht ihres Lebens bescheren.“

So ein Endspiel werde „in winzigen Details“ entschieden, fasste sich Spaniens Coach Luis de la Fuente (63) sachlicher. Im Viertelfinale hatte seine Mannschaft Deutschland aus dem Turnier geworfen und mit sechs Siegen in sechs Spielen die Favoritenrolle inne. Warum, zeigte die spielerisch überzeugendste Mannschaft der Euro von Beginn an. Spanien agierte mit und ohne Ball austarierter. Bei keiner anderen Elf bei dieser EM verliefen die Übergänge zwischen Abwehr und Angriff reibungsloser, flüssiger. In Hälfte eins führte das zu 70 Prozent Ballbesitz – aber nicht zu klaren Torchancen.

Engländer auf der Tribüne in Überzahl

Gegen Englands defensive Taktik, bei der die Flügelstürmer mithelfen mussten, den eigenen Strafraum zu verbarrikadieren, kamen die bisher so furios attackierenden Spanier nicht zum Durchbruch. De la Fuente, der mit Teilen seiner Selección 2015 (U19) und 2019 (U21) Europameister geworden ist, musste sich trotz der offensiven Variabilität mehr einfallen lassen. Auf den Tribünen waren die Engländer weit in der Mehrheit, am eigenen Sechzehner meist auch. Und kurz vor dem Pausenpfiff des französischen Schiedsrichters Francois Letexier bot sich Englands Phil Foden eine Gelegenheit, im Fallen scheiterte er mit seinem Versuch an Torhüter Unai Simon (45.+1).

Nico Williams bejubelt sein 1:0.
Nico Williams bejubelt sein 1:0. © picture alliance/dpa

Kaum war wieder angepfiffen, sorgten die spanischen Wunderkinder für den ersten fußballerischen Knalleffekt. Lamine Yamal (17), der nach dem Finale zum besten Nachwuchsspieler des Turniers gewählt wurde, zog unwiderstehlich von der rechten Seite in die Mitte und legte dann auf links raus zu Nico Williams (22). Flachschuss aus 14 Metern, 1:0 (47.). Ein echter Wirkungstreffer, in schneller Folge hatten Dani Olmo (49.), Alvaro Morata (55.) und erneut Williams (56.) das nächste Tor auf dem Fuß. Und das alles ohne Rodri, der zur Halbzeit verletzungsbedingt ausgewechselt werden musste. Er erhielt nach Abpfiff den Pokal für den besten Spieler des Turniers.

Rückstand, das kannten die Engländer: In den vorherigen drei K.o.-Spielen lagen sie jeweils mit 0:1 zurück und standen doch im Finale. Also erneutes Comeback oder doch der finale Brexit?

Ohne Starstürmer Harry Kane (für ihn kam in der 61. Minute Ollie Watkins) atmete ein Linksschuss von Jude Bellingham etwas Aufregung (64.), auf der anderen Seite war Yamal näher dran (66.). Vom weiter mutigen, energischen Pressing waren die „Three Lions“ beeindruckt, aber nicht mittellos dagegen: Bellingham bereitete den Konter an der Mittellinie vor und legte Sekunden später für den gerade eingewechselten Cole Palmer auf. Abschluss mit Auge – 1:1 (73.).

Mikel Oyarzabal bejubelt seinen Treffer zum 2:1.
Mikel Oyarzabal bejubelt seinen Treffer zum 2:1. © picture alliance/dpa/AP

Für einen Moment bekamen die Jungs von der Insel Oberwasser, dann schlug Spanien zurück. Yamal verpasste noch knapp (82.), schließlich reichte ein einfaches, aber perfekt ausgeführtes Angriffsmuster zum Sieg: Mikel Oyarzabal passte aus der Mittelstürmerposition links raus zu Marc Cucurella, die scharfe flache Hereingabe spitzelte Oyarzabal trotz der Bewachung von zwei Bobbys ins Tor – komplette Ekstase der Mannen in Rot, bei denen auch der letzte Auswechselspieler noch wie vom Glück geküsst auf den Torschützen zurannte und ihn unter sich begrub (86.).

Zweimal köpften die Engländer noch aufs Tor (90.), doch diesmal gelang der erneute Ausgleich nicht. Spanien jubelt, die Könige von Europa singen „Eviva Espana“.

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Statistik zum Spiel

Spanien - England 2:1

Spanien: Unai Simon - Carvajal, Le Normand (83. Nacho), Laporte, Cucurella - Rodri (46. Zubimendi), Fabian, Dani Olmo - Lamine Yamal (86. Merino), Morata (68. Oyarzabal), N. Williams

England: Pickford - Walker, Stones, Guehi - Saka, Mainoo (70. Palmer), Rice, Shaw, Foden (86. Toney), Bellingham - Kane (61. Watkins)

Tore: 1:0 Williams (47.), 1:1 Palmer (73.), 2:1 Oyarzabal (86.).

Zuschauer: 71.000 (ausverkauft)

Schiedsrichter: Letexier (Frankreich)