So kassiert das Finanzamt künftig bei den Kirchengemeinden ab

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So kassiert das Finanzamt künftig bei den Kirchengemeinden ab

rnFragen und Antworten

Steuern auf Einnahmen des Basars oder Kirchweihfests. Eine Zeitbombe schlummert im Steuerrecht. Sie dürfte das Leben in kirchlichen Gemeinden radikal verändern. Bald wird sie gezündet.

Dortmund

, 15.03.2019, 00:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Das Leben in deutschen Kirchengemeinden – egal, welcher Konfession – wird von Millionen Ehrenamtlichen getragen. Von Ministranten, Jugend- und Frauengruppen, Senioren-, Familien- und Bastelkreisen, Kirchen- und Posaunenchören, Presbytern, Kirchenvorständen und Pfarreiräten, Eine-Welt- und Missions-Kreisen sowie ungezählten anderen Gruppen. Sie alle müssen jetzt schnell zu Steuerexperten werden. Eine Gesetzesänderung zwingt sie dazu. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten dazu zusammengetragen.

? Worum geht es?

Entscheidend ist der neue Paragraf 2b des Umsatzsteuergesetzes. Er sagt, dass juristische Personen öffentlichen Rechts, also auch Kirchen, künftig steuerrechtlich wie Unternehmer behandelt werden. Die aber müssen Umsatzsteuer auf ihre Einnahmen zahlen, künftig also auch die Kirchengemeinden.

? Gilt das für alle Einnahmen?

Nein. Es gilt nur für Einnahmen, die eine Gemeinde durch Aktivitäten erzielt, die ein privater Unternehmer genausogut anbieten könnte. Um hier unfairen Wettbewerb auszuschließen, sollen künftig auch Kirchengemeinden für diese Einnahmen Steuern abführen.

? Was können das beispielsweise für Einnahmen sein?

Wenn bei einem Basar, Gemeindefest, Sonntagscafé oder anderen Aktionen Getränke, Kuchen oder Steaks verkauft werden, ist das künftig steuerpflichtig. Auch Einnahmen aus Rund-ums-Kind-Basaren, dem Einsammeln ausgedienter Tannenbäume, dem Verkauf von Basteleien und anderen Aktivitäten müssen versteuert werden.

? In vielen Fällen werden doch Kuchen und Co. gespendet?

Es spielt keine Rolle, ob angebotene Waren oder Dienstleistungen gespendet wurden. Entscheidend sind nur die erzielten Einnahmen.

? Die Erlöse gemeindlicher Aktionen werden oft für einen guten Zweck gespendet. Dann muss doch keine Steuer gezahlt werden, oder?

Doch. Was mit dem eingenommenen Geld geschieht, ist unwichtig. Erst muss die fällige Steuer ans Finanzamt überwiesen werden.

? Gibt es Ausnahmen?

Ja, zwei. Die erste Ausnahme: Wenn Kirchengemeinden „im Rahmen der öffentlichen Gewalt“ handeln, entfällt die Steuerpflicht. Das gilt beispielsweise, wenn eine Kirchengemeinde einen Friedhof unterhält und die Nutzungs-Gebühren mit einer Satzung festlegt.

? Was ist die zweite Ausnahme?

Maßnahmen, bei denen der kirchliche Verkündigungsauftrag im Vordergrund steht, sind nicht steuerpflichtig. Dazu zählen etwa Ministrantenfahrten, Jugend-Zeltlager oder Ausflüge mit Konfirmanden oder Kommunionkindern.

? Ist das einfach abzugrenzen?

Leider nicht. Zwei Beispiele:

1. Der kirchliche Friedhof. Die Gebühren für Bestattung und Grab sind steuerfrei. Wenn aber die Kirchengemeinde auch ein Rasengrab anbietet, das regelmäßig vom Friedhofsgärtner mitgepflegt wird, müssen die Einnahmen für diese Dauergrabpflege versteuert werden. Diese Aufgabe könnte ja auch ein privater Gärtner erledigen.

2. Wenn die Gemeinde Osterkerzen oder Friedenslichter verkauft, sind die Erlöse daraus steuerpflichtig. Anders sieht es bei den kleinen Gebets- oder Opferkerzen aus, die man in einer Kirche etwa vor einem Heiligenbild entzünden kann. Hier steht das Gebet im Vordergrund. Die Einnahmen aus dem Verkauf dieser Kerzen sind steuerfrei.

? Also doch extrem kompliziert?

Und ob. Es gibt ja auch Kitas, Bildungshäuser, Kegelbahnen, Bücherstuben, Tafeln, Armenküchen, Singschulen, Konzerte, Antennen auf Kirchtürmen, Werbung an Gerüsten und viele andere Dinge, für die es jeweils besondere Regelungen gibt. Und dann gibt es für Leistungen, die eine Gemeinde für bestimmte Angebote einkauft, auch die Möglichkeit, die darauf bezahlte Umsatzsteuer von der eigenen Steuerschuld abzuziehen.

? Aber der Umsatzsteuersatz liegt immer bei 19 Prozent?

Nein. Es gibt unterschiedliche Steuersätze. Ein Beispiel: Wenn eine Kirchengemeinde einen Schriftenstand unterhält und einen Kirchenführer verkauft, muss sie vom Erlös 7 Prozent Steuern bezahlen. Wenn sie dort auch Postkarten von der Kirche anbietet, werden darauf 19 Prozent Umsatzsteuer fällig.

? Es gibt rund 13.900 evangelische und 10.280 katholische Gemeinden in Deutschland. Müssen sich alle Kirchengemeinden mit dem Thema befassen?

Nur, wenn sie im Jahr steuerpflichtige Einnahmen von mehr als 17.500 Euro erzielen. Diese Grenze sieht das Finanzamt auch für private Kleinunternehmer vor. Allerdings dürfte diese Grenze von den meisten Gemeinden überschritten werden. Ulrich Hörsting, Finanzdirektor des Bistums Münster, sagt: „Der Großteil der Pfarreien wird der Umsatzsteuer unterliegen.“ Der Grund: Alle Aktivitäten, die nicht von einem selbstständigen Verein betrieben werden, werden einer Gemeinde zugeordnet und müssen addiert werden und dann wird die Grenze von 17.500 Euro schnell erreicht. Übrigens: Auch Vereine jedweder Art müssen vergleichbare Einnahmen (nicht Spenden oder Mitgliedsbeiträge), wenn diese die Grenze von 17.500 Euro überschreiten, versteuern.

? Was bedeutet all das für die Arbeit der Gemeinden vor Ort?

Dazu nochmal Ulrich Hörsting, Finanzchef des Bistums Münster: „Problematisch sind in der Zukunft die deutlich erhöhten Aufzeichnungspflichten. Dabei ist gerade für die Pfarreien zu berücksichtigen, dass eine große Zahl von Aktivitäten auf viele Ehrenamtliche verteilt ist; auch die Kassen der jeweiligen Gruppierungen (Kirchenchor, Frauengemeinschaft, Messdiener etc.) führen in der Regel Ehrenamtliche. Da es sich aber um Aktivitäten handelt, die der Pfarrei zuzuordnen sind, müssen sie alle in der Umsatzsteuererklärung der Pfarrei zusammengeführt und mit einer sogenannten Vollständigkeitserklärung versehen werden.“

? Welche Folgen wird das für die ehrenamtliche Arbeit haben?

Das ist noch nicht absehbar. Ob Ehrenamtliche weiter wie bisher die Kassen der einzelnen Gruppen führen können, ist ebenso offen wie die Frage, ob Gemeinden künftig auf Gemeindefeste, Basare und Ähnliches verzichten, weil der Verwaltungsaufwand zu hoch ist.

? Was bedeutet das neue Recht für die Preise auf Veranstaltungen?

Es gibt zwei Wege: Entweder die Gemeinde verzichtet auf Einnahmen oder sie erhöht die Preise.

? Wer zahlt den für die Umsetzung des neuen Rechts notwendigen Mehraufwand?

Das ist offenbar noch offen. Eine entsprechende Anfrage unserer Redaktion beantworteten die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in einer gemeinsamen Antwort so: „Über den Umfang der Mehrbelastung (...) kann die EKD/ Deutsche Bischofskonferenz weder, was die Steuer selbst angeht, noch, was den zusätzlichen Verwaltungsaufwand angeht, eine Auskunft geben.“ Wie sich die neuen Vorgaben auf die gemeindliche Arbeit vor Ort auswirken, dazu lägen keine Erkenntnisse vor. Das Bistum Münster teilte auf Anfrage mit, dass man den Pfarreien Geld zur Vorbereitung auf die Umstellung bereitstelle, um etwa Fortbildungen für die Zentralrendanturen, die die Verwaltungsarbeit für die Gemeinden übernehmen, zu finanzieren.

? Wer ist eigentlich verantwortlich für die Neuregelung?

Zunächst die Europäische Union. Sie beschloss am 28. November 2006 die Richtlinie 2006/112/EG. Ziel war es, das Steuerrecht so zu harmonisieren, dass es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. In der Folge kam es zu diversen Urteilen des Bundesfinanzhofs, bevor der Bundestag 2015 mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD und bei Enthaltung von Grünen und Linken das Steueränderungsgesetz mit dem folgenschweren Paragrafen verabschiedete.

? Wurden im Vorfeld die Kirchen angehört?

Ja, sagen Bundesfinanzministerium, EKD und Bischofskonferenz. „Die Kirchen haben eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben“, so EKD und Bischofskonferenz auf Anfrage. In ihr habe man sich unter anderem für eine Übergangsfrist von fünf Jahren ausgesprochen. Am Ende wurde ihnen eine Frist von vier Jahren gewährt. Die endet am 31. Dezember 2020. Ab 1. Januar 2021 greift das Finanzamt zu.

? War den Bundestagsabgeordneten klar, welche Folgen für die Kirchen Ihre Entscheidung hatte?

Da sind Zweifel angebracht. In der entscheidenden Debatte des Bundestags am 24. September 2015 gab es sechs Wortmeldungen, keine beschäftigte sich mit den konkreten Folgen für Kirchengemeinden vor Ort. Wir haben die beteiligen Bundestagsfraktionen gefragt, ob ihnen die Reichweite ihrer Entscheidung bewusst war. Die SPD ging in ihrer Antwort auf diese Frage nicht ein. Für die CDU/CSU sagte Uwe Feiler, dass man sich der Problematik durchaus bewusst gewesen sein. Die Änderung treffe nicht nur die Kirchen. Vereine müssten ja ebenfalls gegebenenfalls Umsatzsteuer zahlen. Die Grünen schrieben: „In Bezug auf die Besteuerung von öffentlichen Einrichtungen haben wir die von Ihnen angesprochenen Auswirkungen nicht angestrebt.“ Jörg Cezanne teilte für die Bundestagsfraktion der Linken mit, dass auch Kirchen betroffen sein würden, sei klar gewesen. Allerdings habe das im Beratungsverfahren „keine herausragende Rolle“ gespielt. Im Übrigen: „Wir wurden zu keinem Zeitpunkt im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens seitens der Kirchen auf die zu erwartenden Konsequenzen angesprochen“, so Cezanne.

? Über wieviel Mehreinnahmen für den Staat reden wir?

Das ist unklar. Das Bundesfinanzministerium wich der Frage aus und teilte mit: Ziel des Gesetzes sei die zwingende Umsetzung von EU-Recht gewesen. „Die Erzielung von Mehreinnahmen ist dabei seitens des Gesetzgebers nicht beabsichtigt, sondern gegebenenfalls nur zwingende Folge der Gleichstellung der öffentlichen Hand mit privaten Anbietern.“

? Warum gab es bisher zumindest öffentlich keinen Protest der Kirchen gegen die Neuregelung?

Dazu muss man zwei Ebenen betrachten. Zunächst haben sich die übergeordneten Gremien der Kirchen – Deutsche Bischofskonferenz und EKD – mit dem Thema befasst. Aus ihrer gemeinsamen Antwort auf unsere Frage geht hervor, dass dort schnell die Einsicht um sich gegriffen habe, dass die Kirchen bei der Besteuerung „keine Sonderstellung“ einnehmen können, sondern das vom Bund umgesetzte EU-Recht anzuwenden sei. Auf Ebene der Gemeinden wird erst jetzt, wo der Umstellungstermin näher rückt, klar, welche Umwälzungen die Neuregelung für sie bedeutet. Jetzt beginnen Schulungen für die mit der Verwaltung der Gemeinden befassten Experten. Und erst danach dürften in der Regel die einzelnen Gruppen und Kreise der Gemeinden informiert werden.

? Wo kann man sich informieren, wenn man mehr wissen möchte?

Empfehlenswert ist eine von der Bischofskonferenz erstellte Arbeitshilfe (Nr. 298), die mit den Landeskirchen erarbeitet wurde. Sie erläutert, was künftig wann zu tun ist. Das Heft steht kostenlos zum Herunterladen im Internet zur Verfügung: www.dbk-shop.de