So hat NRW die Forensik-Standorte ausgesucht
Stadt Lünen klagt
In NRW gibt es für psychisch- und suchtkranke Straftäter nicht genug Plätze in den forensischen Kliniken. Das will das Land durch den Bau von fünf neuen Forensiken ändern. Die Standorte hat NRW nach eigenen Angaben mit einem bundesweit einmaligen Verfahren ausgesucht. Die Stadt Lünen, die als Standort für eine Maßregelvollzugseinrichtung ausgeguckt worden ist, klagt jetzt dagegen.

Eine Protegohaube – eine Art Sicherheitsventil – zeugt noch vom alten Schacht der Zeche Victoria in Lünen. Auch hier soll eine Forensik gebaut werden.
Die Kliniken mit jeweils 150 Plätzen sollen in den Landgerichtsbezirken entstehen, wo der größte Mangel an Plätzen für psychisch kranke und suchtkranke Straftäter herrscht. 2012 verkündete NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne), dass sich das Land für Lünen, Haltern, Wuppertal, Hörstel im Münsterland und Reichshof im Oberbergischen Kreis als Standorte entschieden hat. Für die Auswahl habe das Land ein „bundesweit einmalige Verfahren gewählt, um frühzeitig Transparenz zu schaffen und Beteiligungsmöglichkeiten zu eröffnen“, teilt das Gesundheitsministerium mit. Und listet das Verfahren auf:
- Im September 2011 wurden alle 125 Städte und Gemeinden in den genannten fünf Landgerichtsbezirken schriftlich über die Notwendigkeit der Errichtung neuer forensischer Kliniken informiert.
- Allen Verantwortlichen der 125 Städte und Gemeinden wurde die Möglichkeit gegeben, am Prozess der Standortsuche mitzuwirken und selbst Flächen vorzuschlagen.
- Durch Unterrichtung der Medien wurde auch die gesamte Öffentlichkeit ab September 2011 über das Vorhaben informiert.
- Nachdem im Oktober 2012 die bis zu diesem Zeitpunkt dem Land zur Verfügung stehenden am besten geeigneten Grundstücke öffentlich bekannt gegeben worden waren, wurde das Verfahren der Standortsuche noch einmal verlängert. Damit wurde dem Begehren von Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen und Institutionen gefolgt, nochmals weitere eventuell besser geeignete Alternativflächen zur Einbeziehung in die Standortprüfung zu melden.
- Nach Oktober 2012 wurden dem Land insgesamt noch 72 Flächen benannt, von denen allerdings sieben außerhalb der fünf Landgerichtsbezirke liegen. Von restlichen 65 Grundstücken - von denen einige schon vorher bekannt waren - befanden sich 29 im Landgerichtsbezirk Münster, zehn im Landgerichtsbezirk Essen und vier im Landgerichtsbezirk Dortmund. Insgesamt wurden im Landgerichtsbezirk Essen 17 und im Landgerichtsbezirk Dortmund ebenfalls 17 Flächen geprüft.
Die Kriterien für die Standortauswahl hatte zuvor das Land NRW gemeinsam mit allen Landtagsfraktionen festgelegt. Demnach waren für die Bewertung eines Grundstücks auschlaggebend:
- Verfügbarkeit
- Eignung der Fläche für den Bau einer Klinik (Größe mindestens fünf Hektar/Topographie/Lage)
- Erschließung, auch Anbindung an den ÖPNV
- Lokale Verträglichkeit
- Wirtschaftlichkeit
An den fünf ausgeguckten Standorten ist die Entwicklung in Sachen Forensik seit 2012 unterschiedlich. Ein Überblick:
Lünen: Die Stadt Lünen wehrt sich vor Gericht gegen den Bau einer forensischen Klinik auf einem alten Zechengelände. Die Bezirksregierung Arnsberg als federführende Behörde den Plänen des Landes grünes Licht gegeben und – sich gegen den Willen der Stadt Lünen hinwegsetzend – einen positiven Bauvorbescheid erteilt. Den will Lünen nun vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen kippen. In den Blickpunkt wird dabei wohl das Verfahren der Standortauswahl rücken. Verhandelt wird ab 28. März.
Hörstel: Die Gemeinde im Münsterland kooperiert mit dem Land. Die Klinik wird auf dem Gelände eines ehemaligen Nato-Flugplatzes gebaut, Ende 2018 soll Spatenstich sein. Durch die Kooperation kann Hörstel Einfluss auf die Klinikpläne nehmen. So kommt es zu einem landesweiten Novum: Die Turnhalle, die zur forensischen Klinik gehört, wird auch von Sportvereinen des Ortes genutzt werden können. Neben der Forensik will Hörstel auf dem weitläufigen Areal ein Gewerbegebiet und einen Energiepark ansiedeln. Die Fläche soll gemeinsam mit dem Klinik-Gelände erschlossen werden. Das Gesundheitsministerium stellt „Synergien“ in Aussicht.
Haltern: Hier soll die Forensik auf einem alten Schachtgelände – Haltern 1/2 – errichtet werden. Dafür mussten seit Mitte 2015 zunächst die Hinterlassenschaften des Bergbaus weichen: Gebäude wurden abgerissen, Schachtkeller verfüllt, Böden saniert. Aus Haltern heißt es, noch in diesem Frühjahr könnte das RAG-Gelände aus dem Bergrecht entlassen werden. Das Gesundheitsministerium teilt mit: „Nach dem Rückbau der Bergbauanlagen muss formell die Entlassung aus der Bergaufsicht erfolgen. Dies kann nach unseren Informationen noch einige Zeit in Anspruch nehmen.“ Einen genauen Zeitplan für den Forensik-Bau gebe es daher nicht. Die Stadt Haltern sieht deswegen derzeit „keinen Handlungsbedarf“, wie Stadtsprecher Georg Bockey sagt. „Wir sind ja im Moment nicht involviert.“ Die Stadt wolle die nächsten Schritte des Landes abwarten, „dann werden wir sehen, was wir machen“. Abwarten will die Bürgerinitiative „Keine Forensik im Naherholungsgebiet Haard“ nicht mehr. Sie hat für den 29. März zu einer Bürgerversammlung eingeladen, um doch noch die Pläne des Ministeriums zu Fall zu bringen. Dazu hat sich auch Halterns Bürgermeister Bodo Klimpel angesagt.
Wuppertal: Es war eine klare Ansage: „Eine Forensik – nicht in Wuppertal“, sagte ein Stadtsprecher noch im Herbst 2015. Da waren gerade zweijährige Verhandlungen zwischen dem Land und der Bergischen Diakonie Aprath über den Bau einer Forensik auf dem Diakonie-Gelände geplatzt und das Land nahm das ursprünglich ausgeguckte, landeseigene Grundstück, eine Polizeikaserne in einem Wohngebiet mit vielen jungen Familien, wieder ins Visier. Um das zu verhindern, vollzog die Stadt Wuppertal im November 2015 eine Kehrtwende und kooperiert mit dem Land. Während Ministerin Steffens damals erklärte, „für die Zusage zu einer konstruktiven Zusammenarbeit“ dankbar zu sein, hört man aus Wuppertal Formulierungen wie „Pistole auf die Brust gesetzt“ und „Wahl zwischen Pest und Cholera“. Bis Anfang 2018 will die Stadt nun Baurecht für einen Forensik-Standort schaffen – auf dem Grundstück „Kleine Höhe“ an der nördlichen Stadtgrenze. Gelingt dies, will das Land dort die Forensik bauen.
Reichshof: In der Gemeinde im Oberbergischen Kreis ist seit 2012 auf dem alten Munitionsdepot, das sich das Land als Forensik-Standort ausgeguckt hat, in Sachen Neubau nichts passiert. Das liegt daran, dass Reichshof das Gelände 2014 wegen einer seltenen Fledermaus-Population unter Naturschutz hat stellen lassen. Aus dem Ministerium heißt es heute: „Zu dem (...) Standort in Reichshof gibt es aus Sicht des Landes weiterhin keine Neuigkeiten.“