Man braucht Durchhaltevermögen. Und es wird helfen, dass die kommenden Vorstellungen am Wochenende und schon entspannt ab 16 Uhr laufen. Bei der Premiere von „Meine geniale Freundin“ am Freitag im Schauspielhaus Bochum riss es die Besucher erst nach Mitternacht zum großen Schlussapplaus von den Sitzen. Da hatten sie mehr als sechs Stunden intensives Theater hinter sich. Es hat sich gelohnt, das zeigte der Blick in viele glückliche Gesichter.
Johan Simons hat offensichtlich Freude am Marathon gefunden. Nach der siebenstündigen Inszenierung der „Brüder Karamasow“ hat er sich nun Elena Ferrantes berühmten Romanzyklus vorgenommen. Erzählt wird die Geschichte der beiden Freundinnen Lenú und Lila, die in einem armen Viertel Neapels aufwachsen. Von 1950 bis ins frühe 21. Jahrhundert bleiben sie einander verbunden, in Liebe, aber auch in Rivalität.

Wer die vier Romane Elena Ferrantes gelesen hat, wird manche Lieblingsstelle vermisst haben, wer sie nicht kennt, kann mühelos der Handlung folgen. Lenú will ihrer Herkunft entkommen, wird Schriftstellerin, heiratet einen Professor. Lila bleibt, arbeitet in der Fleischfabrik, arrangiert sich mit der Camorra.
Trotz allem Willen zu einem selbstbestimmten Leben entkommen sie beide den vorgegebenen Geschlechterrollen nicht. Wie Männer in ihrer Jämmerlichkeit die Beherrscher sein wollen, sorgt im Rückblick für manchen Lacher.
Zuschauer tauschen Plätze
Johan Simons setzt auf Perspektivwechsel. Die Zuschauer wechseln nach den beiden Pausen (inklusive Antipasti-Imbiss) zweimal ihre Plätze, eine Station ist die Bühne selbst, wo sie wie vom Rande einer italienischen Piazza dicht dran sind am Geschehen.
Das spielt sich auf einer Drehbühne ab, aber auch oberhalb, weil Kameras die Akteure ganz nah, dann wieder aus der Vogelperspektive beobachten. Auf der Bühne wenden sich die beiden Frauen weit von einander entfernt den Rücken zu, die Kamerabilder zeigen sie dicht beieinander.
Tolles Ensemble
Dazu kommen Bilder aus Neapel oder Szenen aus Filmen wie von Fellini. Auch die politischen Entwicklungen, denen Johan Simons viel Gewicht gibt, werden hier illustriert: Studentenrevolte, Linke gegen Faschisten, die Roten Brigaden.
Jele Brückner als Lenú, kontrolliert und spröde, Stacyian Jackson als Lila voller Energie, beeindrucken, haben die Sympathien der Zuschauer. Nicht weniger eindrucksvoll agiert der Rest des Ensembles: Sieben Schauspieler wechseln auf der Bühne immer wieder fast übergangslos ihre Rollen: 19 sind es insgesamt.
Termine: 2./23.2., 29./30.3., 19.4., 31.5.; Karten: Tel. (0234) 33 33 55 55.
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