Seniorenpflege: Mobilitätstraining statt Fixierung
NRW in Vorreiterrolle
Die Zahl der sogenannten Fixierungen in Seniorenheimen ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Mobilitätstraining statt Fixierung laute die Devise, sagte der Geschäftsführer des Bonner Seniorenzentrums Theresienau, Michael Thelen, am Dienstag.

Mit solchen Gurten werden in Altenheimen Menschen "fixiert".
Fixiert werden Seniorenheimbewohner entweder mithilfe von Bettgittern oder Gurten. Außerdem können die Reifen des Rollstuhls so fest aufgepumpt werden, dass die Bremsen nicht selbstständig gelöst werden können. In der Statistik nicht erfasst wird die Ruhigstellung durch eine medikamentöse Behandlung. „Wir gehen davon aus, dass es dort eine große Dunkelziffer gibt“, sagt Uwe Brucker vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen.
Laut Ministerium sei die Zahl der richterlichen Anordnungen zur Fixierung zwischen 2011 und 2013 um 40 Prozent zurückgegangen, erläuterte der Sprecher des Justizministeriums, Peter Marchlewski. Auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Essen hatte diesen Trend kürzlich gegenüber unserer Redaktion bestätigt. Insgesamt seien von etwa 820.000 Menschen in deutschen Pflegeeinrichtungen im Jahr 2012 für nur noch etwas mehr als 85.000 Fixierungen genehmigt worden - also etwas mehr als zehn Prozent. Uwe Brucker vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) sieht das vor allem in einer besseren Aufklärung begründet. So habe es in den vergangenen Jahren diverse Forschungsprojekte gegeben, dazu Informationsveranstaltungen und Fortbildungen, sagt Brucker. 2012 entschied außerdem der Bundesgerichtshof, dass an Demenz erkrankte Menschen nicht ohne gerichtliche Genehmigung in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden dürfen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält die Zahlen aber für unrealistisch. Sie schätzt die Quote der fixierten Pflegeheimbewohner auf 40 Prozent. Auch die Senkung der Fixierungszahlen zweifelt die Stiftung an. „Von einem generellen Durchbruch kann noch nicht die Rede sein“, teilte Sprecher Alexander Ebert unserer Redaktion mit.
Fixiert werden Seniorenheimbewohner entweder mithilfe von Bettgittern oder Gurten. Außerdem können die Reifen des Rollstuhls so fest aufgepumpt werden, dass die Bremsen nicht selbstständig gelöst werden können. In der Statistik nicht erfasst wird die Ruhigstellung durch eine medikamentöse Behandlung. „Wir gehen davon aus, dass es dort eine große Dunkelziffer gibt“, sagt Uwe Brucker vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen.
Bei den Wohlfahrtsverbänden, die viele der Seniorenheime betreiben, werden solche Fixierungen aber ohnehin äußerst kritisch betrachtet. „Sie dürfen nur in Ausnahmefällen das letzte Mittel sein“, sagt Claus Bölicke vom Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Ähnlich äußert sich Ralf Kraemer von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Ziel müsse es sein, die Zahl solcher Fälle auf null zu reduzieren.
Noch kritischer gegenüber dem Fixieren zeigt sich die Caritas. „Es handelt sich um freiheitsentziehende Maßnahmen, die dem Grundgedanken des Christentums widersprechen“, warnt Andreas Leimpek-Mohler von der katholischen Altenhilfe der Caritas. Die lehnt mit gleichem Argument auch technische Hilfsmittel wie Chips oder Armbänder ab, die an den Bewohnern befestigt werden und piepsen, wenn sie das Gelände des Heims verlassen. Hier zeigen sich Diakonie und AWO offener. „Die Chips ermöglichen den Senioren die größtmögliche Freiheit“, sagt Kraemer von der Diakonie. Nach Ansicht der AWO sollten Chips einer Fixierung vorgezogen werden, weil sie das „mildere Mittel“ seien.
Die Wohlfahrtsverbände nutzen in ihren Heimen verschiedene Mittel, um Fixierungen und technische Hilfsmittel möglichst zu vermeiden. Laut Leimpek-Mohler von der Caritas kommen beispielsweise ebenerdige Betten zum Einsatz, damit die Senioren nicht aus dem Bett fallen. Zudem legten einige Heime Gärten mit Wegen an, die im Kreis führten und nur schwer verlassen werden könnten. „Dadurch wird die Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt und die persönliche Sicherheit ist dennoch gegeben.“ Ähnlich agiert die AWO, die beispielsweise niedrige Matratzen neben die Betten legt, damit die Patienten im Ernstfall weich fallen. Den Verantwortlichen ist dabei bewusst, dass auch diese Maßnahmen kein Allheilmittel sind, denn häufig gibt es Gründe dafür, warum die Senioren aus den Heimen entwischen. „Die Einrichtungen sollten sich fragen: Wo will der eigentlich hin und warum will der fort?“, erklärt Hans-Jürgen Freter von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Dem pflichtet Bölicke von der AWO bei. Die Heime müssten die Situation der Senioren verbessern, sodass diese gar nicht erst den Drang verspürten, wegzulaufen.
Doch dazu wäre ein besseres Betreuungsangebot vonnöten, das zumeist am größten Problem der Pflegeheime scheitert: einer zu dünnen Personaldecke. Freter: „In manchen Heimen kommen die Leute kaum an die frische Luft, weil Betreuungspersonal fehlt.“