Scharlachwelle hält an Kinderarzt Wolfgang Roglitzki (64): „Ersatzmedizin schmeckt nicht“

Scharlachwelle ebbt nicht ab: „Ersatzmedizin schmeckt Kindern nicht“
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Halsschmerzen, rote Himbeerzunge, Fieber, Bauchschmerzen, Erbrechen: all das kann Kinder plagen, wenn sie Scharlach haben. In den letzten Monaten sind wie in allen anderen Teilen Deutschlands viele Kinder in Marl an Scharlach erkrankt, haben sich größtenteils im Kindergarten oder in Schulen angesteckt. „Nach Weihnachten fing es an - und es hört gar nicht mehr auf“, sagt Kinderarzt Dr. Wolfgang Roglitzki, der an der Hervester Straße seine gleichnamige Praxis betreibt. Der 64-Jährige hatte eigentlich erwartet, dass die Ansteckungen spätestens mit den Osterferien zurückgehen würden. „Dem ist aber nicht so. Die Schulen waren zwar geschlossen, aber die meisten Kindergärten waren geöffnet. Vielleicht sind das aktuell die Treiber“, mutmaßt er.

Therapie wird nicht durchgehalten

Pro Tag würden zwischen 300 und 350 kleine Patienten in die Praxis kommen und von einem der drei dort tätigen Ärzte untersucht. „Zehn Scharlachfälle haben wir darunter mindestens“, tippt Wolfgang Roglitzki. Warum die Welle sich so dermaßen zieht, kann er nur vermuten: „Ich denke, dass das auch mit dem Medikamentenmangel zusammenhängt. Bestimmte antibiotische Säfte für Kinder sind nicht verfügbar, wenn man sie dringend braucht.“

Bei Scharlach verschreiben Ärzte laut Apothekerin Karin Vehre in der Regel das Medikament Infectocillin - je nach Gewicht des Kindes gibt es unterschiedliche Dosierungsformen. Haben Apotheken das nicht vorrätig, wird in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt nach einer Ersatzlösung geguckt. „Das Problem ist, dass diese Medikamente aber nicht altersentsprechend sind“, betont Wolfgang Roglitzki und unterstreicht, „vielen Kindern schmeckt der Ersatz auch nicht.“

„Kinder und Eltern halten die Therapie dann oft nicht durch“, meint der Arzt. Zudem gäbe es auch Kollegen, die versuchen würden, die Behandlungsdauer zu verkürzen. Laut Packungsbeilage von Infectocillin-Säften verschiedener Dosierungsformen sollte das Medikament in der Regel sieben bis zehn Tage lang eingenommen werden, mindestens aber bis zwei bis drei Tage nach Abklingen der Krankheitserscheinungen. Die Empfehlung: „Halten Sie bitte diese Zeit

auch dann ein, wenn Sie sich bereits besser fühlen!“

Absprache mit Apotheken

Wie aber geht Wolfgang Roglitzki im Alltag mit der Mangellage um? Um dem Praxisteam viele Telefonate zu ersparen, wird zum Beispiel morgens in der benachbarten Apotheke abgefragt, welche Medikamente da sind. „So müssen wir nicht ganz so viele Rezepte umschreiben“, erklärt der Mediziner. Zwei- bis dreimal komme das aber durchaus täglich vor. Wenn er in der Dattelner Kinderklinik Notdienst hat, sei es gängige Praxis, bei den Notdienst-Apotheken die Vorräte abzufragen. „Dann führen wir Strichlisten und haken ab, was wir verordnen“, so der Kinderarzt. Eltern würden aus der Klinik heraus noch die im Kreis Recklinghausen verteilten Notdienst-Apotheken abtelefonieren, um sich weite Wege zu ersparen.

Eine Schublade mit Medikamenten.
Welches Medikament für Kinder ist verfügbar? Das Team der Kinderarztpraxis Roglitzki informiert sich morgens in der benachbarten Apotheke, was vorrätig ist. © picture alliance/dpa

„Es kommt auch vor, dass Eltern bis nach Holland fahren, um ein Medikament zu bekommen - aber auch da gibt es nicht mehr alles“, sagt er. Ihm berichten Eltern auch, dass sie Rezepte über Verwandte in der Türkei einlösen und sich die Medikamente schicken lassen. Manche Arzneien würden in zweifacher Ausfertigung aufgeschrieben, damit sie auch ausreichen. „Wenn man dann hier nur eine Flasche bekommt, geht das für den Anfang“, so Wolfgang Roglitzki.

Dass Medikamente für seine kleinen Patienten nicht vorrätig oder lieferbar sind, hat Wolfgang Roglitzki noch nie erlebt. Er sei in der DDR groß geworden, habe 1988 seinen Facharzt gemacht und sei 1993 nach Marl gekommen: „Mangelwirtschaft kenne ich zwar, aber nicht in der Form. Wir hatten in der DDR genau ein Penicillin und ein Amoxicillin - aber das hatten wir.“

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