Uwe Vetterick, die Sächsische Zeitung nennt die Herkunft von Tatverdächtigen. Das verstößt gegen die Richtlinien des Presserates, wonach die Nationalität nur zu nennen ist, wenn sie unmittelbar im Zusammenhang mit der Straftat steht. Warum haben Sie sich 2016 dazu entschieden?
Vetterick: Wir haben festgestellt, dass das Nichtnennen von Nationalitäten bei Tatverdächtigen dazu führt, dass Straftaten in der öffentlichen Wahrnehmung migrantischen Milieus zugeordnet werden, auch wenn das gar nicht der Fall ist. Wir wollten dieser Fehlwahrnehmung entgegenwirken und haben daher eine große Befragung in unserer Leserschaft durchgeführt.
Und was waren die Ergebnisse dieser Befragung?
Zum einen haben wir festgestellt, dass eine Mehrheit unserer Leserinnen und Leser nicht der Meinung ist, dass Migranten per se krimineller sind als Deutsche. Zum anderen haben wir herausgefunden, dass der Anteil von Migranten unter den Tatverdächtigen in bestimmten Deliktgruppen oft überschätzt wird. Dies hat uns dazu bewogen, Nationalitäten bei Straftaten immer zu nennen und dabei auch deutlich zu machen, wenn es sich um deutsche Täter handelt.
Der Presserat befürchtet, dass durch die Nennung Minderheiten wie Migranten stigmatisiert werden könnten ...
Wir sind uns durchaus bewusst, dass der Presserat Minderheiten vor Stigmatisierung schützen möchte, und wir haben das gleiche Ziel. Allerdings sind wir der Meinung, dass der von ihm vorgegebene Weg eben nicht zum gewünschten Ziel führt. Bei unserer eigenen Leserschaft haben wir keinerlei Rückfragen oder Beschwerden zu dieser Entscheidung erhalten. Ganz im Gegenteil, wir haben festgestellt, dass die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit deutlich erhöht wurde.
Warum glauben Sie, ist Ihr Weg der bessere?
Wir haben uns intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Nennung von Nationalitäten zu einem besseren Gesamtbild führt. Natürlich müssen wir dabei auch Fingerspitzengefühl zeigen und nicht bei jedem Einzelvergehen die Nationalität betonen. Aber insgesamt sind wir davon überzeugt, dass unsere Leserinnen und Leser dadurch besser informiert sind und sich eine objektivere Meinung bilden können.
Gibt es bestimmte Deliktgruppen, bei denen Sie die Nationalitäten besonders betonen?
Wir nennen die Nationalität bei allen strafrechtlich relevanten Delikten. Bei einem gewöhnlichen Autounfall beispielsweise ist das jedoch nicht relevant, es sei denn, es handelt sich um eine vorsätzliche Handlung, oder es liegt eine strafbare Handlung wie Diebstahl vor. Bei größeren Delikten und Gerichtsverhandlungen spielt die Nennung der Nationalität hingegen eine Rolle, da es hier um die klare Zuordnung der Täter geht.
Hat die politische Lage, insbesondere die Hochkonjunktur der Pegida-Bewegung in Sachsen, eine Rolle bei Ihrer Entscheidung gespielt?
Nein, diese Entscheidung war unabhängig von politischen Strömungen oder auch „Lügenpresse“-Vorwürfen. Natürlich gibt es Menschen, die uns als Feindbild betrachten, unabhängig davon, was wir machen. Allerdings haben wir gemerkt, dass auch viele Personen, die kritisch gegenüber Pegida eingestellt sind, Fragen und Bedenken zur Berichterstattung haben. Wir sind offen für eine Diskussion über unsere Arbeitsweise, und wir möchten auch die Mittel hinterfragen, mit denen wir unsere Ziele erreichen wollen - guten und transparenten Journalismus anzubieten.
Inwiefern hat die Digitalisierung und die Verbreitung von Nachrichten über soziale Medien Ihre Arbeit beeinflusst?
Die Digitalisierung hat die Gatekeeper-Funktion der traditionellen Medien weitgehend verändert. Wir können nicht mehr steuern, welche Informationen verbreitet werden, und müssen uns bewusst sein, dass unsere Berichterstattung eine große gesellschaftliche Relevanz hat. Die Verantwortung liegt jetzt darin, dass wir die Informationen korrekt und nutzen. Auch wenn wir nicht mehr die einzigen sind, die Nachrichten verbreiten können, haben wir die Möglichkeit, Glaubwürdigkeit und Qualität zu gewährleisten.
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Unsere eigene Redaktion hält sich bislang an die Empfehlung des Deutschen Presserates, die Herkunft von Straftätern in der Berichterstattung dann zu nennen, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Straftat steht. Wir überdenken regelmäßig unsere journalistischen Standards.
„Ihre Analyse ist nicht objektiv“: Weitere Leserreaktionen zur Serie „Alles sagen!“