Ruhrfestspiele RE zwischen Krieg und Kunst, Haltung und Unterhaltung

© Meike Holz

Ruhrfestspiele RE zwischen Krieg und Kunst, Haltung und Unterhaltung

rnIntendant Olaf Kröck im Interview

Die Ruhrfestspiele starten am 1. Mai mit dem Kulturvolksfest in Recklinghausen. Wir haben mit Festspiel-Chef Olaf Kröck gesprochen. Über das Festival, Corona, die Ukraine und das Programm.

Recklinghausen

, 23.04.2022, 15:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Es sind nur noch ein paar Tage, dann startet eines der größten, ältesten und schönsten Theaterfestivals Europas - und das endlich wieder richtig live. In Recklinghausen. Wir haben vorab exklusiv mit dem Intendanten des Festivals gesprochen. Über Krieg und Kunst, Haltung und Unterhaltung.

Herr Kröck, in ein paar Tagen fangen die Ruhrfestspiele wieder an. Und wir haben einen russischen Angriffs-Krieg in der Ukraine. Was kann, was muss – und was darf Theater da noch? Nur Haltung zeigen – oder auch Unterhaltung?

Beides. Denn der Krieg ist tatsächlich eine Auseinandersetzung über unsere demokratischen Werte. Russland greift ein unabhängiges, souveränes, demokratisches Land an – und verbreitet gezielte Desinformation und strategisch gesetzte Lügen. Kunst ist in der Demokratie immer auch ein Freiheits-Ort.
In wie vielen diktatorischen oder unterdrückenden Regimen sind die Kunst und auch die Presse immer der erste Ort, der zum Schweigen gebracht wird? Wir haben solche Tendenzen ja sogar in der EU. In Ländern wie Ungarn oder Polen, in denen nationalistische Tendenzen immer weiter Raum greifen. Hier werden Gelder für kritische Kultur gestrichen, Museums- und Theaterleiter abgesetzt.
Aber Russland geht viel weiter. Jeder Ansatz von Kritik wird brutal unterdrückt. Die Kunst ist ein Ort, der Freiheit formuliert. Und dabei ist es erst einmal egal, ob es ein ernster künstlerischer oder ein unterhaltender Anspruch ist. Denn in der Unterhaltung – es waren schon immer die Clowns und Narren, die der Gesellschaft ungestraft einen Spiegel vorhalten durften – wird ja auch eine Form von Wahrheit ausgesprochen. Man lacht über etwas, was anderenorts ein gesellschaftliches Tabu ist.
Unterhaltende Kunst ist genauso wichtig, wie ernste künstlerische Auseinandersetzung. Ich finde es vor allem entscheidend, dass Kunst ein Gegenüber, ich würde fast sagen: einen Gegner kennt. Und der ist aktuell in der russischen Kriegsmaschinerie, im Kreml, aber auch in der russischen Bevölkerung zu finden, die zum Teil diesen mörderischen, brutalen Krieg gutheißt.
Aber es gibt natürlich auch zivilgesellschaftliche, demokratische Gegenkräfte, die das verurteilen, die demonstrieren oder im Gefängnis sitzen. Man denke nur an Nawalny, die Pussy Riots oder den Theaterkünstler Kirill Serebrennikow. Mir ist trotzdem natürlich sehr bewusst, dass wir mit Kunst den Krieg nicht beeinflussen können. Wir können nur laut sein.

Olaf Kröck: „,Bros‘ von Romeo Castellucci ist sicher die herausforderndste Arbeit im Festspielprogramm. Sie beschäftigt sich mit dem Gewaltmonopol des Staates.“

Olaf Kröck: „,Bros‘ von Romeo Castellucci ist sicher die herausforderndste Arbeit im Festspielprogramm. Sie beschäftigt sich mit dem Gewaltmonopol des Staates.“ © Meike Holz

Haben Sie spezielle Ruhrfestspiel-Empfehlungen zu genau diesem Thema?

Im Programm haben wir DakhaBrakha, eine ukrainische Band, die eine wichtige Stimme auf dem Maidan war. Sie hat jetzt endlich die Ukraine verlassen können, auch der männliche Musiker, weil sie als kultureller Botschafter agieren kann. Sie machen Folklore, die allgemein nicht besonders politisch ist. Ihre aktuellen Konzerte aber sind politische Manifeste. Eindeutige Statements für eine freie Ukraine!
Wir zeigen in diesem Jahr zudem „Bros“ von Romeo Castellucci, sicher die herausforderndste Arbeit im Festspielprogramm, die sich mit dem Gewaltmonopol des Staates beschäftigt.

Das Thema „Haltung und Hoffnung“ passt mehr als perfekt zu den furchtbaren Vorgängen in der Ukraine. War aber bei Programm-Festlegung als Statement zur Corona-Pandemie gedacht. Inwiefern, ganz konkret?

Das Sich-Zurückziehen in die Isolation, in den Lockdown zu gehen, das Tragen einer Maske, das Sich-impfen-lassen, schienen uns naheliegende Schritte, um sich selber, seine Liebsten, die Familie oder auch unbekannte Dritte zu schützen. Dass dies aber plötzlich zu einem politischen Kampfplatz wurde, auf dem die Grundfeste unseres demokratischen Miteinanders in Frage gestellt wurden, hat uns erschrocken. Wir haben uns gefragt: Was sind eigentlich Haltungen. Welche Gesellschaftskonzepte verbinden sich mit diesen Haltungen? Und was ist der Gegenpol zu Haltung? Es ist die Hoffnung darauf, dass etwas in Gemeinschaft, in demokratischem Miteinander, besser gelingt.
Und es geht um die Frage, wie wir miteinander leben können und wollen. Es geht um Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, der in der Pandemie erschreckend zugenommen hat. Was ist Staatsgewalt? Ist es schon Diktatur, wenn der Staat versucht, ein potentiell tödliches Virus mit einer Impfempfehlung zu bekämpfen?
Die Kunst ist in den letzten zwei Jahren entschiedener geworden. Nicht alle Arbeiten sind politisch gemeint. Aber sie haben eine entschiedene Haltung zur Welt. Für mich ist das politisch. Viele unserer Arbeiten sind schön. Oder überwältigend. Haben Humor. Sind uneindeutig. Sind warmherzig. Auch, wenn sie sich mit einem schwierigen Thema beschäftigen. Sie haben alle eine Haltung zur Welt.

Olaf Kröck: „Ich freue mich zuallererst auf die Begegnung mit den Menschen hier vor Ort“.

Olaf Kröck: „Ich freue mich zuallererst auf die Begegnung mit den Menschen hier vor Ort“. © Meike Holz

Das große Theaterfestival Ruhrfestspiele startet endlich wieder wirklich live durch – so darf man zumindest heute hoffen. Worauf freuen Sie sich besonders?

Zuallererst auf die Begegnung mit den Menschen hier vor Ort. Dass wir wieder live Ruhrfestspiele haben. Ob wir dabei eine Maske tragen oder nicht, ist irrelevant. Wir tragen auch alle eine Hose und ein Paar Schuhe. Wir schützen uns, wir gehen respektvoll miteinander um, aber wir sehen uns wieder, können uns austauschen und gemeinsam in einem Saal sitzen. Das ist meine allergrößte Freude. Ich freue mich zudem auch, dass alle Kolleginnen und Kollegen endlich wieder vor Ort sind, und wir im und rund ums Ruhrfestspielhaus miteinander arbeiten.

Viele Veranstalter merken in Corona-Zeiten, dass die Menschen sich trotz gelockerter Regeln nicht alle in den Kino-Saal, den Theater-Raum, die Konzert-Halle etc. trauen. Wie läuft der Verkauf bisher? Gibt es noch Karten?

Ja, es gibt noch Karten. Der Verkauf läuft aber sehr gut. Trotzdem gibt es noch Kapazitäten. Wegen der Pandemie sind die Menschen zum Teil noch vorsichtig. Das ist verständlich. Wir haben im Rahmen der gesetzlichen Vorhaben die Zugangsbestimmungen gelockert, es gibt für Publikum keine Test- und Nachweispflicht mehr. Aber wir behalten weiterhin eine Maskenpflicht in Innenräumen. Dazu kommt ein differenziertes Test-Konzept für alle Mitarbeitenden der Ruhrfestspiele.

Olaf Kröck: „Der Verkauf läuft sehr gut. Trotzdem gibt es noch Kapazitäten.“

Olaf Kröck: „Der Verkauf läuft sehr gut. Trotzdem gibt es noch Kapazitäten.“ © Meike Holz

Die Ruhrfestspiele sind durch Corona und ein perfektes Timing sehr schnell digital geworden. Und auf große Resonanz gerade auch außerhalb der Region gestoßen. 1. Frage: Bleibt das Angebot so bestehen? 2. Frage: Sind Sie auf den coronatechnisch schlimmsten Fall, also neue Regeln vorbereitet?

Darauf sind wir vorbereitet, weil wir seit zwei Jahren mit der Pandemie umgehen mussten. Und, um auf das Digitale zurückzukommen: Wir wollen von diesen Erfahrungen das Positive behalten. Wir zeigen in diesem Jahr keine gestreamten Theatervorstellungen. Theater muss man, wenn möglich, live angucken. Aber wir haben digitale Kunstformate. Es gibt filmische Arbeiten, z. B. einen fantastischen Tanzkurzfilm von Akram Khan, einem der internationalen Choreographie-Stars, den ich sehr empfehlen kann. Der Großteil des digitalen Programms ist kostenlos. Enthalten ist auch der unglaublich berührende Film „Das fünfte Rad“, über eine afghanische Frauen-Theater-Gruppe, die aktuell in Afghanistan im Untergrund leben muss und ihr Leben mit Handys gefilmt hat. Ein Film, der mit seinen einfachen Mitteln die aktuelle schwierige Lage in dem Land dokumentiert, und von uns mitproduziert wurde.
Worauf ich mich zudem noch sehr freue, ist die Produktion „The People of … Recklinghausen Süd“, ein Audiospaziergang, entwickelt von Quarantine aus Manchester, bei dem man diesen besonderen Stadtteil entdecken kann. Und ich freue mich auf „Resonanzen“, das Festival über Schwarze Literatur in Deutschland, kuratiert von Sharon Dodua Otoo, für dessen Eröffnung die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2021, Tsitsi Dangarembga, die Eröffnungsrede hält. Das ist eine große Ehre. Das Ziel ist, eine wertschätzende Auseinandersetzung mit Schwarzer deutschsprachiger Literatur herzustellen. Und es ist ein weiterer Öffnungsschritt für uns, der mir wichtig ist.