
© Kunsthalle Recklinghausen
Künstlerin Flo Kasearu reagiert brandaktuell auf Krieg in Ukraine
Ausstellung der Ruhrfestspiele in der Kunsthalle Recklinghausen
Die Alpträume von Flo Kasearu sind Realität geworden: Putin führt Krieg gegen die Ukraine. Die Künstlerin verarbeitet das in „Flo‘s Retrospective“. Kaum eine Ausstellung der Ruhrfestspiele war bislang so aktuell.
Sie hat es geahnt. Schon 2014, als Putin unter Bruch des Völkerrechts die Krim und im Osten den abtrünnigen Donbass von der Ukraine abtrennte, überkamen die Künstlerin Flo Kasearu Alpträume kriegerischer Gewalt. Im obersten Geschoss der Kunsthalle Recklinghausen gewinnen die Chimären blutrünstiger russischer Aggression Gestalt.
In tiefgrauer Kulisse sind vier Flugkörper gelandet. Wie schlichte Papierschwalben wirken sie auf den ersten Blick. Es sind monströse eiserne Kolosse. „Uprising“ nennt Flo Kasearu die ausgeschnittenen Dach-Fragmente ihres als eigenes Museum genutzten Elternhauses in Tallinn. Deren Metamorphose spielt auf abgestürzte Überwachungsdrohnen und die Verkehrung des Offensichtlichen in der russischen Lügen-Propaganda an.
Ausstellung ist facettenreich
So brandaktuell wie „Flo‘s Retrospective“ erwies sich bisher kaum je eine Ausstellung der Ruhrfestspiele. Dabei ist die gerade 37 Jahre alt gewordene estnische Künstlerin mit ihrer ersten großen deutschen Einzelschau die bisher jüngste. Eine Retrospektive schon in diesem Alter? „Ich kann nicht warten“, entgegnet Flo Kasearu entwaffnend.

Ausgeschnittenen Dach-Fragmente ihres als Museum genutzten Elternhauses in Tallinn. © Videostill: Jaan Kronberg
Nichts ist eindeutig in der facettenreichen Fülle ihrer Arbeiten, die sie in der Kunsthalle mit wechselnden Farbvaleurs inszeniert. Schon gar nicht ihre Performance „Disorder Patrol“. In kleinen Gruppen gehen zwischen Kunsthalle und Ruhrfestspielhaus zwölf Akteure auf Patrouille. Mit monströsen Schirmmützen, wie sie russische Offiziere tragen, Fantasie-Uniformen und Gymnastikbändern, die wie Peitschen wirken. Als Popanze unterlaufen sie die Machtdemonstration ihrer äußeren Erscheinung. Statt für Ordnung zu sorgen, stiften sie belebende Unordnung im öffentlichen Raum.
Kasearu reagiert mit skurrilem Witz
Die Schwelle zur Kunst senkt „Omas Laden“, eine zur Straße hin offene Nachbildung des Geschäftes, das die 88-jährige Großmutter der Künstlerin bis ins hohe Alter betrieb. Die Ladentheke ist nahezu leer wie in Sowjetzeiten.
Dort sprudeln nun Wasserfontänen. Sie entsprechen der sprühenden Fantasie dieser Künstlerin. Ob Video, Textilcollage, Knetobjekt oder schräge Installation – Flo Kasearu reagiert mit skurrilem Witz und subtiler Ironie auf unsere Zeit.