Ruhr.2010 macht das Revier zur Kulturzone
Grundschüler trommeln für Kinderrechte, in Duisburg präsentieren sich 100 Bräute, Monopoly-Fans spielen bis die Finger schmerzen, und in Essen-Holsterhausen zeigen Hobby-Imker Honig und Waben.

Der Himmel über der Ruhr ist blau.
Auf der sonst für ihre täglichen Staus berüchtigten A 40 präsentiert die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 an diesem Sonntag ihr wohl spektakulärsten Projekt: Alltagskultur an 20 000 Biertischen über fast 60 Kilometer mitten auf der gesperrten Straße. Es soll ein Volksfest zum Mitmachen für alle werden. «Präsentieren Sie sich, lassen Sie hören und sehen, was für sie ganz persönlich Kultur ist», werben die Organisatoren für das Projekt «Stillleben».
Ein buntes Musizieren, Deklamieren und Präsentieren wartet auf die rund eine Million Besucher. Es gibt Dichterlesungen, Geschichten mit Lokalkolorit von Trinkhalle und Brieftaubenverein, reichlich Bands, die ohne Strom spielen und Künstler, die etwa auf einem Tisch bei Oberhausen ein Sieben-Meter-Bild malen. Das fertige Gemälde soll zu Postkarten zerteilt und so an die großen Museen der Welt geschickt werden. Viele Vereine und auch die Kirchen nutzen den Tag, um für sich zu werben. Es gibt Feuerwehrfrauen, Tipp-Kick-Fans, Geiger, Pudelfreunde und Philosophen.
In den Feuilletons fand die extem bunte Mischung nicht immer Gnade. Mancher Kritiker empfindet das Programm als wahllos und beliebig, und auch in Blogs gibt es kritische Stimmen. «Was unterscheidet die Aktion eigentlich von anderen Straßenfesten oder der Sperrung der Bundesstraße zwischen Koblenz und Bonn», fragt etwa eine Kritikerin im Internet. Ruhr.2010-Chef Fritz Pleitgen kontert gelassen: «Wir haben auch einen politischen Auftrag. Wir müssen Alle und nicht nur das Kulturpublikum erreichen.»
Pleitgen hofft auf einen Mehrwert des großen Festes, der dauerhaft bleibt und die zersplitterte Region stärker zusammenführen könnte: In der mehr als einjährigen Vorbereitung des Festes hatten die sonst eher eigenbrötlerischen Ruhrkommunen gezwungenermaßen eng zusammengearbeitet. Das könnte bleiben, wenn ähnliche Großveranstaltungen der ganzen Region nach 2010 über die Bühne gehen, glaubt Pleitgen. «Das wird hoffentlich der emotionale Gründungstag der Metropole», sagte er vergangene Woche bei einer Pressekonferenz.
Organisatorisch ist das Ganze ein erhebliches Wagnis: Mehr als eine Million Menschen lassen sich im Ernstfall letztlich nicht kontrollieren. Was passiert bei einem plötzlichen Regenguss, wenn ein Blitz einschlägt oder wenn wegen der Hitze Menschen reihenweise umkippen? Oder wenn eine Panik ausbricht? Reichen die Kapazitäten von Bus und Bahn, oder gibt es - wie nach der Ruhr.2010-Eröffnungsfeier - wieder Chaos und stundenlange Wartezeiten nach der Veranstaltung? All solche Fragen dürften die Organisatoren seit geraumer Zeit verfolgen.
Das Wetter entwickelt sich aller Voraussicht nach positiv: um die 26 Grad, angenehm trockene Luft und keine Gewitter, sagen der Deutsche Wetterdienst und Meteomedia übereinstimmend voraus. Für den Rest vertraut die Ruhr.2010 auf ein gewaltiges Aufgebot von Helfern: 600 Sanitäter - zum Teil per Fahrrad - sind unterwegs. Über 1700 Polizisten regeln die Sicherheit auf der Strecke und drum herum, hinzu kommen 750 private Security-Kräfte. Die Feuerwehr ist mit 1000 Mann im Einsatz, mehr als 3000 THW-Helfer bauen die Biertische auf und wieder ab, und fast 800 Freiwillige der Ruhr.2010 stehen als Helfer für Fragen bereit.
Weil es zwar nicht glühend heiß, aber doch sehr warm wird, ist das Angebot des Lebensmittelsponsors wichtig, der Wasser und Schorle für 50 Cent pro Flasche und Bier für einen Euro verkauft. Und bei aller Sorge vorab: «Vor allem ist das ein Fest und soll Spaß machen», sagt 2010-Sprecher Marc Oliver Hänig.