«Ruhr-Atoll» auf dem Baldeneysee
Ein täuschend echt aussehender Eisberg und ein U-Boot-Rumpf: Mitten auf Essens beliebtestem Naherholungsziel, dem Baldeneysee, startet die Kulturhauptstadt an diesem Mittwoch ihr Groß-Projekt «Ruhr-Atoll».

Das «U-Boot» und die «Kabakov-Insel» auf dem Essener Baldeneysee.
Vier Installationen von bis zu 360 Quadratmetern Größe befassen sich mit dem Klimaschutz, dem Kampf um Energie und ihrer Verschwendung. Das Ganze ist auch eine touristische Attraktion, die sich bei einer Tretbootfahrt mit der ganzen Familie von nahem bestaunen lässt. Die Organisatoren erwarten im Sommer viele Tausend Besucher. Zur Eröffnung an diesem Mittwochabend gibt es ein Volksfest mit Feuerwerk, wie Ruhr.2010-Geschäftsführer Oliver Scheytt ankündigte.
Das größte Aufsehen hat vorab das Stahl-«U-Boot» des Künstlers Andreas Kaufmann erregt. Aus dem Turm der 18 Meter langen Schiffs-Nachbildung hat Kaufmann den Kant-Satz «Ich kann, weil ich will, was ich muss» herausgeschweißt. Die Leerflächen der Buchstaben nutzen er und der Medienwissenschaftler Hans-Ulrich Reck für hunderte Dias aus den Nachrichtensendungen vergangener Jahre - düstere Bilder des Kampfes, von Kriegen, Demonstrationen oder dem 11. September. Wie eine Kathedrale wirkt der Innenraum. Unten ist die Installation offen: Der Besucher steht auf einem Gitter, darunter spiegeln sich das Tageslicht und der Kant-Spruch im Wasser.
Im «Eisberg» riecht es noch nach Plastik. Die begehbare Installation zum Thema Klimawandel des Kölner Künstlers Andreas Kaiser ist erst am Dienstag fertig geworden. Kunstschnee und Kühlung per Solarenergie sollen polare Atmosphäre verbreiten. Der Forscher Lars Kindermann liefert Originaldaten aus der deutschen Polarstation und Tiergeräusche aus 200 Metern Tiefe unter dem meterdicken Eis der Pole - jaulende Robben und das Knirschen schmelzender oder wandernder Eisschollen.
Denkanstöße zur Umwelt im industriellen Zeitalter will auch das ukrainischstämmige Künstlerpaar Ilya und Emilia Kabakov vermitteln: Ihr ironisches «Projekt zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen» ist ein fiktives Unsinns-Wasserwerk: Baldeneysee-Wasser wird in Eimern gehoben, von rätselhaften Schrott-Maschinen «verarbeitet» und am Ende wieder in den See gekippt. Da dreht sich Industrie sinnlos im Kreis, während der japanische documenta-Künstler Kazuo Katase ein japanisches Teehaus auf den Baldeneysee bringt und damit vor allem Ruhe und innere Kraft im Blick hat.
Der Baldeneysee wurde in den 30er Jahren unter anderem geschaffen, um im hoch belasteten Ruhrgebiet durch das Aufstauen des Flusses die Reinigung von giftigen Industrieablagerungen zu erleichtern. Heute schwimmen im Fluss wieder Lachse, und mit der Kulturhauptstadt 2010-Aktion wird er sogar zum Museum - einschließlich wütender Grundsatzdiskussionen, die mit Kunst oft verbunden sind.
Das bisher nicht realisiserte Atoll-Projekt «Marking Time» des Künstlers Norbert Francis Attard etwa - eine Insel aus 20 000 Äpfeln, die im See langsam verrotten - lehnen viele Essener ab, und auch der Hauptsponsor von «Ruhr-Atoll», der Energiekontern RWE, will es unter anderem wegen der Verschwendung von Lebensmitteln nicht mittragen. Trotzdem soll die «Apfel-Insel» kommen, wie der künstlerische Projekt-Beirat beschloss - und das auch noch im Sommer, wenn das Verrotten der Äpfel besonders deutlich zu riechen sein wird. «Das Kunstwerk prangert doch gerade die heutige Verschwendung von Lebensmitteln an», sagt 2010-Sprecher Marc Oliver Hänig.