Eine Geschichte mit dem Wetter zu beginnen gilt nicht gerade als originell. Aber das sagen Skeptiker auch über Rosenmontagszüge. Daher sei es gestattet zu sagen, dass am Morgen des Rosenmontags 2023 goldener Sonnenschein Köln durchflutet. Die vergangenen Tage war es grau und nieselig - jetzt aber ist es hell und warm. Als hätte die Sonne nur darauf gewartet, wieder scheinen zu dürfen. So wie die Karnevalisten auf ihren Umzug.
Denn die Rosenmontagszüge, die am Montag durch Köln, Düsseldorf, Mainz und andere Hauptstädte des Frohsinns rollen, sind auch große Comeback-Paraden. Erstmals seit drei Jahren gibt es sie wieder, 2021 und 2022 waren sie wegen Corona in ihrer regulären Form ausgefallen. Rosenmontage waren damals irgendwie nur noch Montage - und damit traurige Tage. Entsprechend gelöst scheint die Stimmung nun zu sein.

Der Kölner Zug geht über den Rhein
In Köln spielen schon vor dem Start am Morgen die Blaskapellen ihre Stimmungslieder, massig werden Süßigkeiten - wie man hier sagt: Kamelle - in die Taschen gestopft, um sie später in das Publikum schleudern zu können. Auch ein gelegentlich vorbeiquietschender ICE stört kaum - der Kölner Rosenmontag stellt sich in diesem Jahr in Nähe eines Bahnhofs auf der rechten Rheinseite auf, die noch nie Teil des Umzugs war. Es ist eine Würdigung der „falschen“ Seite der Stadt wegen des Jubiläums 200 Jahre Kölner Karneval. Nur bei den Selfies muss man aufpassen. „Hier? Wir stehen mitten im Nichts!“, sagt ein Kostümierter zu einem Freund. Er hält den Hintergrund für unwürdig.
Auch Moderator Johannes B. Kerner (58), der als Promi erstmals auf einem der Wagen mitfahren darf, ist erstaunt. „Es ist schon verrückt. Wie die Leute hier on fire sind, am frühen Morgen schon“, sagt er. „Das ist wirklich außergewöhnlich.“ Model Papis Loveday (46, „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“), ebenfalls Promi-Gast, sagt, er sei auch beim bis dato letzten Zug dabei gewesen. „Wirklich ein Erlebnis“ nennt er das im Rückblick ehrfurchtsvoll. „Und sofort ein oder zwei Wochen später kam der Lockdown.“ Eine „Katastrophe“ sei es gewesen. Und nun? „Neues Leben, neues Ich, neues Alles“, befindet das Model.

Bissige Motivwagen zu Putin und dem Krieg
Ähnliches hört man in Düsseldorf. „Wir haben lange darauf gewartet. Karneval gehört in das Rheinland wie das Oktoberfest nach München“, sagt Anja, 52 Jahre alt, ganz unprominent, die dort am Zugweg steht. „Es ist ein besonderes Gefühl wieder hier zu sein, die Freude unter Menschen zu gehen, zu lachen, zu singen, das ist alles das, was den Rheinländer ausmacht.“
Vor aller Erleichterung geraten die Motivwagen fast schon in den Hintergrund, mit denen der organisierte Karneval seinen Kommentar zur Welt- und auch mal Lokal-Politik abzugeben versucht. Wladimir Putin kommt gleich mehrfach vor. Im Köln küsst er den Teufel und dreht als Vampir die Welt durch einen Fleischwolf. In Düsseldorf badet er genüsslich in einer Wanne voller Blut in den ukrainischen Farben Blau und Gelb. In Mainz bläst der russische Präsident kalten Ostwind in Richtung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Der Düsseldorfer Wagenbauer Jacques Tilly stellt sich mit einem Entwurf auch hinter die Klimaschutzbewegung Letzte Generation. „Wer sind die Klima-Terroristen?“ fragt der Wagen. Zu sehen ist ein Aktivist, der versucht, mit seinem Körper die Zerstörer des Weltklimas - verkörpert durch Braunkohlebagger, Industrie und Verkehr - zu stoppen. Im globalen Maßstab etwas niederschwelligere Probleme werden aber ebenfalls besprochen. In Köln etwa widmet sich ein Wagen den verzwickten Problemem mit der Grundsteuer-Erklärung. Man kann es so ausdrücken: Thematisch ist für jeden etwas dabei.
Und spätestens, wenn die letzte Kamelle von der Straße gekehrt und der letzte Ton der Blaskapellen verklungen ist, dann wird man sich sowieso wieder all diesen komplizierten Problemen widmen müssen, die manch einer an diesem Tag vergessen durfte. Karneval - nicht immer durchgehend originell. Aber durchaus heilsam.

Der Rosenmontagszug - eine Kölner Idee
Die Rosenmontagszüge sind eine Kölner Erfindung. Vor genau 200 Jahren, im Winter 1822/23, setzten sich in einem Weinhaus hinter der romanischen Kirche St. Ursula einige Vertreter der Kölner Oberschicht zusammen und überlegten, wie das rohe Fastnachtstreiben domestiziert werden könnte. Ihr Vorbild war der kultivierte venezianische Karneval. Deshalb importierten sie als erstes den Namen und tauften die Fastnacht in Karneval um.
Als Zweites erfanden sie einen romantischen Maskenzug. Vermutlich wurden sie dabei von Triumphzügen der Fürsten und Feldherren inspiriert, vor allem aber von der jährlichen Fronleichnamsprozession der katholischen Kirche. Zur Organisation des Zuges bildeten die Initiatoren im Januar 1823 ein „festordnendes Comité für die Carnevalslustbarkeiten“. Obwohl bis zum Rosenmontag nur noch zwei Wochen Zeit waren, gelang den Organisatoren schon mit dem ersten Zug ein großer Erfolg. Im nächsten Jahr waren an den Karnevalstagen schon alle Zimmer in sämtlichen Gasthäusern der Stadt ausgebucht. Deshalb dauerte es auch nicht lange, bis andere Städte das Kölner Vorbild kopierten.
Jedes Jahr haben die großen Karnevalszüge in Köln, Düsseldorf oder Mainz ein anderes Motto. Der allererste Kölner Rosenmontagszug von 1823 hatte als Thema: „Thronbesteigung des Helden Carneval“. Immer mal wieder spielte das Motto auf aktuelle Entwicklungen an. Als die Kölner zum Beispiel 1849 auf eine „Reise nach Californien“ gingen, hatte gerade der kalifornische Goldrausch begonnen.
dpa/seh
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