„Realitätsverlust“ und außergewöhnliche „Leidensfähigkeit“: Stimmen zu Laschets Rückzug

Krise in der Union

CDU-Chef Armin Laschet will sich vom Parteivorsitz zurückziehen, allerdings selbst den Übergang moderieren. Viele Kommentatoren sehen weiter schwere Zeiten auf die Union zukommen.

Berlin

08.10.2021, 16:23 Uhr / Lesedauer: 3 min
Laschet will sich zurückziehen, allerdings geordnet.

Laschet will sich zurückziehen, allerdings geordnet. © picture alliance/dpa

Nach der historischen Wahlschlappe der Union wurden die Stimmen nach einem Rücktritt von CDU-Chef und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet immer lauter. Nun hat er, um es explizit so zu nennen, einen Rückzug auf Raten angekündigt. Er wolle selbst den Erneuerungsprozess der Partei moderieren, sagte er am Donnerstag. Die Presse sieht geradezu einhellig weiter schwere Zeiten auf die Union zukommen.

Der Spiegel sieht keinen natürlichen Erben für Laschet: „Kein Wunder, dass sich in den vergangenen Tagen keiner der Aspiranten für die Laschet-Nachfolge richtig aus der Deckung gewagt hat: Niemand von ihnen – weder Friedrich Merz noch Jens Spahn oder Norbert Röttgen – ist auch nur annähernd so etwas wie der natürliche Erbe des aktuellen Vorsitzenden. Wer von ihnen am Ende das Rennen macht, falls nicht noch ein erfolgreicher Überraschungskandidat auftaucht, wird es in der CDU mindestens so schwer wie Laschet haben.“

Laschet hätte schon am Montag nach der Wahl zurücktreten müssen, kommentiert Zeit Online: „Die Union hat mit ihm an der Spitze ein einmalig schlechtes Ergebnis bei der Bundestagswahl erzielt. Daran ist Laschet nicht allein schuld. Aber einer trägt eben die Verantwortung. Eigentlich hätte er spätestens am Montag nach der Bundestagswahl zurücktreten müssen.“

Der Tagesspiegel meint, Laschet laufe Gefahr, auch beim Moderieren des Übergangs der CDU zu scheitern: „Was von ihm bleiben soll: dass er ein Meister im Moderieren war. Nordrhein-Westfalen wird nicht von ungefähr von ihm als Beispiel genannt. Da ist es ihm gelungen, zu Anfang und am Ende. Doch im Bund ist die Bühne größer. Und hier den Übergang moderieren, sogar gestalten zu wollen, ist ein Anspruch, an dem Laschet noch einmal scheitern kann.“

Laschets Statement im Stream der ARD:

Der Kommentator von tagesschau.de sieht einen Realitätsverlust bei Laschet: „Es war die wohl letzte Chance, einen würdevollen Abgang zu finden. CDU-Chef Armin Laschet hat ihn vermasselt. Das Wort ‚Rücktritt‘ vom Parteivorsitz nimmt er nicht in den Mund. Stattdessen windet er sich. (...) Damit nicht genug. Offenbar glaubt Laschet noch immer, Kanzler einer Jamaika-Koalition werden zu können. Er habe als (Noch-)Parteichef die nötige Rückendeckung aus der CDU und angeblich auch positive Signale von Grünen und FDP. Das klingt schlicht und ergreifend nach Realitätsverlust.“

Die Neue Zürcher Zeitung fordert den sofortigen Rückzug von allen Ämtern: „Dieser Sturz war zum Schluss keine Überraschung mehr, aber er bleibt atemberaubend. Im Januar wurde Armin Laschet zum Vorsitzenden der CDU gewählt, im April zum Kanzlerkandidaten der Union. Er hatte gute Chancen, Angela Merkel zu beerben und von der Düsseldorfer Staatskanzlei ins Berliner Kanzleramt zu wechseln. Am Ende dieses Jahres wird er weder Parteivorsitzender sein noch nordrhein-westfälischer Ministerpräsident, weder Kanzler noch Oppositionsführer in Berlin. Der Politiker Laschet ist gescheitert, und er scheitert sogar im Abgang. Das gibt seinem Sturz eine tragische Note. Mit einer Erklärung an diesem Donnerstagabend bestätigte Laschet das Urteil, das die Geschichte über ihn fällen wird: Er wurde gewogen und für zu leicht befunden.(...)

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Dem Menschen und Bundestagsabgeordneten Armin Laschet kann man nur alles Gute wünschen – und wenigstens im Abgang den Mut zur Größe. Er sollte den Weg jetzt frei machen und sich von allen Führungsämtern zurückziehen.

„Harter Schritt, der Respekt verdient“

Die Führungsgremien der CDU haben Laschet im Regen stehen lassen, meint die Neue Osnabrücker Zeitung: „Die Führungsgremien der CDU haben versagt. Jetzt lassen sie Laschet im Regen stehen. Er hat nun das dringende Signal an Mitglieder und Wähler gesendet: Wir haben verstanden. Er will die Neuaufstellung der Partei moderieren, sogar einem Jamaika-Bündnis ohne ihn nicht im Weg stehen. Für ihn, der sein Leben der Politik widmete und der nun womöglich alles verliert, ist das ein harter Schritt, der Respekt verdient. Einfach wird die Neuaufstellung nicht.

Bereits geistern altbekannte Namen durchs Regierungsviertel. Es ist allerdings fraglich, ob mit einem Jens Spahn, einem Norbert Röttgen oder einem Friedrich Merz ein Neuanfang möglich ist. Was die CDU nicht braucht: einen neuen Vorsitzenden, der nur aufs Kanzleramt schielt. Was gebraucht wird: eine bürgerlich-konservative Kraft der Mitte.“

Die Schwäbische Zeitung (Ravensburg) sieht bei Armin Laschet eine außergewöhnliche Leidensfähigkeit: „Dass Armin Laschet als Kanzler geeignet ist, daran haben von Anbeginn seiner Kandidatur die meisten gezweifelt – sogar innerhalb der Union. Mittlerweile scheint sogar ihm selbst klar geworden zu sein, dass er nicht zum Hoffnungsträger taugt. Selbst im Rückzug bleibt er seiner Linie des Uneindeutigen treu. Es nötigt beinahe Respekt ab, was der gescheiterte Kandidat der Union an Kritik von außen, Indiskretionen von innen und Gegenwind von allen Seiten ausgehalten hat, ehe er bereit war, nun endlich persönliche Konsequenzen zumindest anzudeuten.

Doch diese außergewöhnliche Leidensfähigkeit, die in anderen Situationen auch eine Stärke sein könnte, ist symptomatisch für die Krise der CDU. Ob eine Jamaika-Koalition noch im Sinne der gebeutelten Christdemokraten ist, kann bezweifelt werden. Die Partei benötigt dringend eine personelle Erneuerung. Doch auch inhaltlich bedarf die CDU nach der Ära Merkel wieder eines klaren konservativen Profils. In der Opposition lässt es sich besser schärfen.“

Die Badische Zeitung (Freiburg) kommentiert: Laschet vertagt die überfällige Kursbestimmung. „Laschet hofft, einen Konsenskandidaten als Nachfolger zu finden, den dann ein Bundesparteitag nur noch absegnen würde. Mit Verlaub: Das wäre die sicherste Methode, die überfällige Kursbestimmung erneut zu vertagen. Geschähe dies, kreiste die Union wohl noch lange vorzugsweise um sich selbst. Für die Zukunft dieser einst stolzen Volkspartei wäre das verhängnisvoller als jede Hinterfotzigkeit aus Bayern.“

RND/dpa/cz