Putin erkennt Donezk und Luhansk als unabhängig an und schickt Truppen – der Westen reagiert

Russland-Ukraine-Konflikt

Die Lage im Konfliktgebiet Donbass im Osten der Ukraine ist hochexplosiv. Russland hat die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anerkannt und Truppen dorthin geschickt.

Moskau

21.02.2022, 22:12 Uhr / Lesedauer: 3 min
Fernsehansprache von Wladimir Putin: Der russische Präsident hat ein Dekret unterzeichnet, das die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine als unabhängige Staaten anerkannt.

Fernsehansprache von Wladimir Putin: Der russische Präsident hat ein Dekret unterzeichnet, das die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine als unabhängige Staaten anerkannt. © Aleksey Nikolskyi/Sputnik/dpa

Dramatische Zuspitzung im Ukraine-Konflikt: Der russische Präsident Wladimir Putin hat die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten des Landes als unabhängige Staaten anerkannt. Der Kremlchef unterzeichnete am Montag ein entsprechendes Dekret.

Zugleich schloss er mit Vertretern der prorussischen Separatisten dort einen Vertrag über „Freundschaft und Beistand“. Damit wird eine Stationierung russischer Soldaten in den beiden Regionen möglich. Die USA und die EU kündigten Strafmaßnahmen an.

Der vor Jahren vereinbarte Waffenstillstand in Donezk und Luhansk hält angesichts Hunderter Verstöße nicht mehr, es bekämpfen sich dort ukrainische Regierungstruppen und Separatisten.

Der russische Präsident Wladimir Putin unterzeichnet ein Dokument zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Separatistengebiete in der Ostukraine.

Der russische Präsident Wladimir Putin unterzeichnet ein Dokument zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Separatistengebiete in der Ostukraine. © Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Russland hat nach westlichen Angaben etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland zusammengezogen. Moskau widerspricht seit Wochen Befürchtungen des Westens, dass ein Einmarsch in die Ukraine bevorstehen könnte.

Aus dem von Präsident Putin unterzeichneten Dekret geht hervor, dass Russland Militäreinheiten nach Luhansk und Donezk schickt. Die Einheiten sollen in den von Moskau nun als unabhängige Staaten anerkannten „Volksrepubliken Luhansk und Donezk“ für Frieden sorgen.

Wann die Soldaten entsendet werden, war zunächst unklar. Zudem wies Putin das Außenministerium an, diplomatische Beziehungen zu den beiden Regionen aufzunehmen, die völkerrechtlich zur Ukraine gehören.

EU und USA kündigen Sanktionen an

Die Entscheidung dürfte den Ukraine-Konflikt weiter stark befeuern. Die EU wird mit Sanktionen darauf reagieren, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Abend erklärten. Die Strafmaßnahmen sollten diejenigen treffen, die daran beteiligt sind, hieß es. Von der Leyen und Michel verurteilten die Entscheidung als „eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht sowie die territoriale Integrität der Ukraine“.

Auch die US-Regierung wird Sanktionen erlassen, wie die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, mitteilte. Die Maßnahmen träfen unter anderem Investitionen oder Handel von US-Personen mit Blick auf Donezk und Luhansk.

Der britische Premierminister Boris Johnson prangerte den Schritt Putins ebenfalls als „offenen Bruch internationalen Rechts“ an und sprach von einer „schamlosen Verletzung der Souveränität und Integrität der Ukraine“.

Putin forderte mit Blick auf die Kämpfe im Donbass die ukrainische Führung auf, sofort das Feuer in der Ukraine einzustellen. Andernfalls werde Kiew die volle Verantwortung dafür tragen, sagte er. Auch der nationale Sicherheitsrat Russlands sprach sich mehrheitlich für die Anerkennung aus.

Die prorussischen Separatistenführer in den beiden Regionen hatten Putin zuvor um Beistand im Kampf gegen die ukrainischen Regierungstruppen gebeten. Nach UN-Schätzungen gibt es in dem seit acht Jahren währenden Konflikt bisher mehr als 14.000 Tote.

Putin sprach in der Fernsehansprache trotz fehlender Beweise von einem Massenverbrechen am russischstämmigen Volk in der Ostukraine. „Die sogenannte zivilisierte Welt zieht es vor, den von Kiew begangenen Genozid im Donbass zu ignorieren“, sagte Putin. Vier Millionen Menschen seien betroffen. Die USA hatten Russland zuletzt beschuldigt, möglicherweise den Vorwurf des Völkermordes als Vorwand für eine Invasion nutzen zu wollen.

Putin über Nato: „Sie haben uns betrogen“

Putin warf der Nato überdies eine jahrelange Täuschung vor. Russland sei zu Sowjetzeiten bei der Wiedervereinigung Deutschlands versprochen worden, dass die Nato sich kein bisschen nach Osten ausdehne. „Sie haben uns betrogen“, sagte Putin und warf dem westlichen Bündnis vor, bereits fünf Wellen der Ausdehnung nach Osten durchgezogen zu haben - und Russland wie einen Feind zu behandeln. „Warum das alles? Wozu?“, fragte Putin. Er hatte zuletzt mehrfach vor einer Aufnahme der Ukraine in die Nato gewarnt. Russland sieht sich dadurch in seiner Sicherheit bedroht.

Denis Puschilin, Separatistenführer der «Volksrepublik» Donezk.

Denis Puschilin, Separatistenführer der «Volksrepublik» Donezk. © Alexei Nikolsky/Russian President Press Office/TASS/dpa

Auch Kanzler Olaf Scholz hatte Putin in einem Telefonat vor der Anerkennung der beiden ukrainischen Regionen gewarnt. Dies stünde „im krassen Widerspruch“ zum Minsker Abkommen von 2015 zur friedlichen Beilegung des Konflikts in der Ostukraine und wäre ein „einseitiger Bruch“ dieser Vereinbarungen, sagte Scholz nach Angaben eines Sprechers.

Der Kreml dämpfte auch Hoffnungen auf ein baldiges Treffen Putins mit seinem US-Kollegen Joe Biden. „Es gibt soweit keine konkreten Pläne dazu“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Laut Weißem Haus in Washington hat Biden einem Treffen „im Prinzip“ zugestimmt. Die Außenminister beider Länder wollen sich am Donnerstag in Genf treffen.

Russland sei sich im Klaren darüber, dass der Schritt angesichts der vom Westen angedrohten Sanktionen ernste Folgen haben werde, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew. Es gebe angesichts der Lage aber keine andere Möglichkeit, als die Gebiete anzuerkennen. Der Druck auf Russland werde beispiellos sein. Die Hoffnung sei, dass sich der Konflikt danach abkühle.

dpa

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