Phänomen „Reactions“: Wie Youtuber mit fremden Inhalten Millionen verdienen
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Youtuber wie Unge und MontanaBlack verdienen Hunderttausende Euro mit sogenannten „Reactions“ auf Youtube und Twitch. Urheberrechtlich ist das fragwürdig – jetzt wird ein Star abgemahnt.

Youtuber Marcel Eris alias Montana Black in seinem Arbeitszimmer. © picture alliance/dpa
Wer gelegentlich die Videoplattform Youtube besucht, dem dürfte in den vergangenen Jahren ein ganz besonderer Hype nicht entgangen sein. Dieser Hype heißt „Reactions“, und er funktioniert ungefähr so: Bekannte Videomacher, wie etwa Simon Unge oder MontanaBlack, spielen in einem Livestream das Video eines anderen Youtubers, einer Fernsehshow oder sonstige Fremd-Inhalte ein, drücken zwischendurch immer wieder auf Pause und geben ihre Kommentare zu den gezeigten Szenen ab.
Diese Videos sind so beliebt, dass sie hunderttausend-, ja gar millionenfach, angeklickt und geteilt werden. Unzählige Fans schauen ihren Lieblings-Youtubern beim Videogucken zu, und warten gespannt auf ihre Reaktion. Das geht oftmals sogar so weit, dass ein sogenanntes „Reaction-Video“ mehr Aufrufe erzielt als das gezeigte Original.
„Gerade das Aufkommen von Livestreaming hat die Reaction-Videos noch mal zu einem viel größeren Trend wachsen lassen“, weiß der Youtube-Kenner Robin Blase, der in seinem Podcast „Lästerschwestern“ wöchentlich die Youtube-Szene im Blick hat. Inzwischen gebe es auf Youtube und Twitch Persönlichkeiten, die nur noch mit derartigen Videos ihr Geld verdienen, erklärt er gegenüber dem RND.
Und der Erfolg der Reaction-Videos liegt auf der Hand: „Es ist das Gefühl, gemeinsam mit Freunden ein Video zu gucken – sei es mit den Lieblingsstars oder gemeinsam mit anderem im Chat.“ Erfolgreiche Reaction-YouTuber seien geborene Unterhalter, „die einem eh schon unterhaltsamen oder informativen Video noch einen zusätzlichen Mehrwert verschaffen.“
Lukratives Gechäftsmodell
Für die Youtuber sind die „Reactions“ derweil ein lukratives Geschäftsmodell. Erst kürzlich hatte der Videomacher Simon Unge in einem Livestream seine Einnahmen öffentlich gemacht. Allein im Monat November 2019 seien ihm durch Werbeanzeigen auf Youtube rund 200.000 US-Dollar ausgezahlt worden, wie ein in die Kamera gezeigtes Diagramm deutlich macht.
Die sogenannten „Reactions“ dürften an diesem Betrag einen nicht ganz unerheblichen Anteil gehabt haben: Unge gehört zu den wohl bekanntesten „Reaction-Youtubern“ auf der Plattform. Unter dem Stichwort „ungeklickt“ veröffentlicht er auf seinem Youtube-Kanal beinahe täglich solche Videos – und auch ein Großteil seiner Twitch-Streams besteht aus „Reactions“.
Doch es geht nicht nur um Klicks. „Reactions generieren normalerweise viel Watchtime, also Zeit, die die Zuschauer*innen auf der Plattform verbringen“, erklärt Blase. „Das wird von Youtube durch höhere TKPs belohnt, also die Summe, die man pro Videoview durch die Werbeeinnahmen verdient.“
Gerade bei Unge könne man laut Blase davon ausgehen, dass ein Großteil seiner Einnahmen durch die Livestreams und die Videos auf seinem Youtube-Kanal kommen, bei denen es sich zu einem großen Teil um Reactions handelt.
Doch so schön der Erfolg und das Geld auch sind – es gibt einen Knackpunkt. Denn von den enormen Einnahmen, die große Youtuber wie Unge oder MontanaBlack generieren, sehen nur sie ganz allein etwas – und nicht etwa derjenige, der das gezeigte Originalvideo produziert hat.
Videomacher mahnt MontanaBlack ab
Genau dieser Umstand hat kürzlich für einen kleinen Skandal innerhalb der Szene gesorgt. Marcel Eris alias MontanaBlack hatte im Oktober in einem Livestream ein Drohnenvideo aus Malta gezeigt und darauf „reagiert“. Der Urheber des Videos wollte sich das jedoch nicht gefallen lassen – und mahnte Eris ab. Wie der Streamer selbst in einem Video erläutert, solle er nun wegen Urheberrechtsverletzungen 25.000 Euro Strafe zahlen.
„Überleg mal Digga“, wütete Eris kurz darauf in seinem Livestream, nachdem er von der Abmahnung erfuhr. „Ich gucke mir in meinem Stream mit meiner Reichweite ein Drohnenvideo von dir an, und dein Kanal wird sogar unten in der Videobeschreibung verlinkt. Das heißt, wenn jemand dein Drohnenvideo feiert, wird er auf deinen Kanal gehen und es sich dort auch noch mal angucken. Wo ist denn dann der Sinn dahinter, dass man das Video sperren lässt und eine Abmahnung von 25.000 Euro schickt?“, beschwerte sich Eris. „Damit drückst du doch aus, dass du ein geldgeiler Vogel bist. Ich kann das wirklich nicht nachvollziehen.“
Für den Medienrechtsanwalt und Youtube-Kenner Christian Solmecke ist ein solches Vorgehen hingegen durchaus gerechtfertigt. „Mit einem Reaction-Video gehen in den meisten Fällen Verstöße gegen das Urheberrecht einher“, erklärt er auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND).
Es gebe nur eine Ausnahme, die das „Reagieren“ legalisiert – und zwar das im Urheberrecht verankerte Zitatrecht. „Zentrale Voraussetzung dafür ist das Vorliegen eines Zitierzwecks. Es bedarf einer konkreten Eigenleistung und einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem bereits bestehenden Werk.“
„Keine besondere geistige Leistung“
Doch eine solche „besondere schöpferische geistige Leistung“ sei bei einem Reaction-Video eher „zweifelhaft“, meint Solmecke. „Fremde Videos werden oft nur als besonders lustig, schockierend oder erstaunlich kommentiert. Ein selbstständiges neues Werk entsteht dadurch zumeist nicht.“
Wer nicht möchte, dass sein Video ungefragt von einem Reaction-Youtuber gezeigt werde, hat laut Solmecke gute Chancen, das zu verhindern. Möglich wäre etwa ein Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch nach dem Urheberrechtsgesetz, so der Anwalt. „Die Rechteinhaber können dann im Wege der Abmahnung gegen den Verletzer vorgehen. Gleichzeitig kann in die Wege geleitet werden, dass die Plattform das entsprechende Video sperrt.“
Sperrung auch ohne Anwalt und Abmahnung möglich
Das Sperren eines Videos können Youtuber allerdings auch ohne Anwalt und Abmahnungen erzielen. Youtubes Copyrightsystem erkennt originale Inhalte und Urheber haben grundsätzlich die Möglichkeit, Reaction-Videos einfach sperren zu lassen („striken“) oder die Werbeeinnahmen auf sich selbst zu übertragen.
Doch auch wenn die Rechtslage eindeutig ist, wird das in der Regel nur selten gemacht. Denn Urheber befinden sich an dieser Stelle in einer unangenehmen Zwickmühle.
Wer sich beschwert, bekommt einen Shitstorm
„Es gibt unter YouTuber*innen einen ungeschriebenen Code, dass Reactions eigentlich nicht gestriked werden“, erklärt Robin Blase. Der Grund dafür ist einfach: Reagiert ein großer Youtuber auf das Video eines kleineren, profitiert dieser von der Promo.
„Der YouTuber Varion ist zum Beispiel im letzten Jahr sehr rasant gewachsen, und einen seiner ersten großen Pushs hat er durch Reaction-Videos bekommen“, erklärt Blase. Auch Christian Solmecke weiß: „In etlichen Fällen freuen sich kleinere Youtuber darüber, wenn auf ihre Videos von bekannteren Kreatoren reagiert wird. So können sie ihren eigenen Marktwert steigern und werden ebenfalls bekannter.“
Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum Urheber so selten gegen „Reaction“-Youtuber Rechtsmittel einlegen – und das sind ausgerechnet ihre Fans. „Die großen Reaction-Youtuber haben eine sehr treue Community, die Reactions nicht als problematisch ansieht“, weiß Blase. „Claimed man hier die Videos eines beliebten Stars, kann es schnell zu einem Shitstorm kommen.“
Die bekannte Youtuberin Bianca Claßen alias Bibis Beauty Palace musste dies im Jahr 2017 erfahren, als sie oder ihr Management gegen ein Reaction-Video des Youtubers Luca Urheberrechtseinsprüche erhoben hatten. Luca selbst kommentierte denn Fall umgehend süffisant in einem eigenen Video: „Bibi bekommt jetzt alle Einnahmen von meinem Video“ so der Youtuber. Seine Fans liefen daraufhin gegen Bibi Sturm.
MontanaBlack zieht über Urheber her
Gleiches durfte auch der Drohnenpilot aus dem Montana-Black-Video erleben. Denn Marcel Eris beließ es nicht dabei, den Fall der Abmahnung öffentlich zu machen – er zog auch vor hunderttausenden Zuschauern über den Urheber her.
Schon während Eris‘ Wutrede rauschten in seinem Video die Kommentare und Beleidigungen gegen den Drohnenpiloten durchs Bild. Einer meint beispielsweise: „Der bekommt mehr Bekanntheit, aber heult rum.“ Ein anderer findet: „Soweit denkt der gar nicht. Hat nur Scheine im Kopf. Traurig sowas.“ Und das, obwohl der Videomacher eigentlich nur sein Urheberrecht wahrgenommen hat.
Robin Blase kann derweil nicht bestätigen, dass Reaction-Videos immer auch einen Promo-Effekt nach sich ziehen. Als er im September auf seinem Youtube-Kanal „RobBubble“ ein Video über Abmahnwellen gegen Influencer veröffentlichte, wurde dieses einen Tag später vom Reaction-Youtuber Simon Unge aufgegriffen – und in einem Video kommentiert. Sein Originalvideo hat bis heute 121.000 Aufrufe, die Reaktion von Unge das dreifache
Der Promo-Effekt bleibt oft aus
„Ich habe bei der Reaction ehrlich gesagt keinen Effekt messen können“, sagt Blase heute. „Ich bin mir sicher, dass es generell zu meiner Bekanntheit beigetragen haben kann, aber das Video wurde, so wie ich das in den Analytics sehen kann, deswegen nicht mehr geklickt.“
Dafür hat der Videomacher auch eine einfache Erklärung: Unge hatte sein Video bereits in voller Länge gezeigt. „Es gibt also keinen Mehrwert, das Video erneut bei mir zu gucken – im Gegenteil, man könnte argumentieren, dass das Video bei Unge sogar besser war, als bei mir, weil man direkt die Einschätzung von zwei Leuten bekommen hat.“
Blase selbst habe derweil kein Problem mit Reactions, wünscht sich jedoch mehr Fairness. „Ich persönlich würde mir ein System wünschen, bei dem die Werbeeinnahmen von Reactionvideos am Ende gesplittet werden. Eine 100% Aufteilung in die eine oder andere Richtung halte ich für schwierig.
Gleichzeitig bin ich mir absolut sicher, dass Reaction Youtuber oft einen so viel höheren TKP für ihre Videos haben, dass sie mit einer Reaction meistens mehr verdienen, als die Personen, die das eigentliche Video produziert haben. Da wäre eine Beteiligung fair und theoretisch durch das Claiming-System von Youtube auch umsetzbar.“
Der Artikel "Phänomen „Reactions“: Wie Youtuber mit fremden Inhalten Millionen verdienen" stammt von unserem Partner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.