Die Zahlen sind gewaltig. Das Land Nordrhein-Westfalen hat in den vergangenen Jahren das Personal in seinen Ministerien mehr als großzügig aufgestockt.
Mussten die Ministerien im Dienste der Landesregierung im Jahr 2010 noch mit „nur“ 4.191 Stellen auskommen, sind es im laufenden Jahr 2023 insgesamt 6.957 Stellen. Das sind 2.766 zusätzliche Stellen mehr, 1.900 für Beamtinnen und Beamte, 866 für Arbeitnehmer. Das bedeutet einen Anstieg um 66 Prozent.
Im Vergleich dazu stieg die Zahl aller Landesbediensteten zwischen 2010 und 2021 (aktuellere Zahlen nennt das Land nicht) lediglich um 3,43 Prozent. Und darin sind auch alle Polizistinnen und Polizisten, alle Lehrerinnen und Lehrer eingeschlossen. Der Personalanstieg in den Ministerien zwischen 2010 und 2021 betrug dagegen 55 Prozent und lag damit 16 Mal so hoch wie im Schnitt aller beim Land beschäftigten Menschen.
Diese Zahlen gehen aus einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Markus Wagner hervor. In dieser Antwort hat das Land auch detailliert aufgeschlüsselt, wie hoch der Personalzuwachs in den einzelnen Jahren und in den einzelnen Ressorts war.
Die höchsten Personalzuwächse verzeichnete das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, das seit 2010 sein Personal mit 663 zusätzlichen Stellen (+220 Prozent) mehr als verdreifachte und mit 1.058 Posten heute das größte Ministerium ist.
Die wenigsten neuen Stellen bekam das Schulministerium
Den geringsten Zuwachs weist dagegen das Schulministerium auf. Es hat seit 2010 lediglich 21 Stellen dazu erhalten, eine Steigerung um 6,4 Prozent. Dafür, so kommentiert ein Sprecher der Staatskanzlei auf unsere Anfrage hin diese Tatsache, seien im Schulbereich zwischen 2017 und 2023 gut 16.000 zusätzliche Stellen direkt vor Ort eingerichtet worden.
Das Wirtschaftsministerium weist in dieser Statistik zwar einen Rückgang um 4,4 Prozent aus, aber das hängt damit zusammen, dass einige Aufgaben in das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung verlagert wurden. Solche Veränderungen in der Zuständigkeit gab es auch zwischen anderen Ministerien, so dass nur die Daten der Gesamtschau und bei Ministerien, deren Zuschnitt – wie etwa beim Schulministerium – gleich geblieben ist, wirklich vergleichbar sind.
Egal, ob SPD oder CDU regiert: Zusätzliche Stellen gibt‘s immer
Die vom Land vorgelegten Daten zeigen auch, dass es in Sachen Stellenwachstum nur einen geringen Unterschied macht, ob die nordrhein-westfälische Landesregierung von einem SPD-Ministerpräsidenten, einer SPD-Ministerpräsidentin oder von einem CDU-Ministerpräsidenten geführt wurde und wird. In einem Punkt waren und sind sich alle einige: Die Zahl der Bediensteten in den Ministerien kennt nur eine Richtung: kräftig nach oben.
Grob gerechnet stieg die Stellenzahl in den Ministerien in den Jahren, in denen der Haushalt unter SPD-Regie verschiedet wurde – das waren 7 Jahre seit 2010 – um 1.537 Stellen. In den sechs CDU-Jahren waren es 979 zusätzliche Stellen.
„Wir finden es ganz erschreckend“
Markus Berkenkopf vom nordrhein-westfälischen Bund der Steuerzahlen zeigte sich schockiert über die neuen Zahlen: „Wir finden es ganz erschreckend“, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Stellenvermehrungen sind ein absoluter Witz. Das ist auf jeden Fall erklärungsbedürftig und das macht die Politik aktuell eben nicht. Und die Vorgänger haben es auch nicht gemacht“, sagte Berkenkopf.

Natürlich müsse man berücksichtigen, dass bei einem Wechsel der Landesregierung manche Personen aus nachvollziehbaren Gründen ausgetauscht würden. „Da muss man dann an den Kernbereich der politischen Stellen denken. Dann ist das die Ministeriumsleitung, irgendwelche Dezernenten und Hauptabteilungsleiter. Bei einem politischen Wechsel reden wir allerdings in jedem Ministerium nur über vielleicht, drei, vier Stellen, insgesamt aber nicht einmal über eine dreistellige Zahl an Stellen.“, sagte Berkenkopf. Eine Rechtfertigung für den jetzt deutlich gewordenen Stelleboom sei das in keinem Fall.
Staatskanzlei verweist auf Corona, Unwetter und Ukraine-Krieg
Die nordrhein-westfälische Staatskanzlei bewertet die Zahlen komplett anders. Gegenüber unserer Redaktion verwies ein Sprecher auf große Herausforderungen in den vergangenen Jahren wie die Corona-Pandemie, die Folgen der Hochwasserkatastrophe und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine: „Insbesondere zur Bewältigung dieser Herausforderungen und deren Folgen war es notwendig, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Landesregierung zu gewinnen. Die auf die Anzahl der Personen reduzierte Betrachtung lässt den dargestellten Aufgabenzuwachs unberücksichtigt“, so der Sprecher der Staatskanzlei.
Zur Erinnerung: Die Corona-Pandemie breitete sich ab Anfang 2020 aus, die Flutkatastrophe ereignete sich im Sommer 2021 und der Ukraine-Krieg begann am 24. Februar 2022. Die drastische Personalaufstockung in den NRW-Ministerien dagegen setzte bereits spätestens 2013 ein. Wie dieser Zuwachs zu erklären ist, dazu schweigt die Staatkanzlei.
Referat für „Bürokratieabbau durch Aufgabenkritik“
Zudem, so heißt es in der Stellungahme der Staatskanzlei, befasse sich die Landesregierung mit „Fragen der modernen Verwaltung“. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme: „Das Referat ,Bürokratieabbau durch Aufgabenkritik, Digitalisierung und Prozessoptimierung‘ wird alle Programme auf ihre Zukunftsfähigkeit untersuchen und prüfen, ob diese wirksam, bürokratiearm und effizient sind. Es soll sichergestellt werden, dass diese Programme dazu beitragen, die Nachhaltigkeitsziele der Landesregierung zu erreichen. Verwaltungsprozesse sollen mit großem Nachdruck optimiert und Digitalisierungspotenziale gehoben werden.“
Wie sich der „Bürokratieabbau durch Aufgabenkritik“ mit dem Ausbau der Bürokratie-Stellen vereinbaren lässt, ist der Stellungnahme aus der NRW-Regierungszentrale nicht zu entnehmen.
Land verweist auf neue Aufgaben
Im Übrigen, so ergänzt der Sprecher der Staatskanzlei, habe die neue Regierung seit 2022 für wichtige Bereiche neue Stellen eingerichtet: Integration und Inklusion, Antidiskriminierung, Gewalt- und Opferschutz (insgesamt 80 Stellen), Katastrophenschutz, Krisenbewältigung und Gefahrenabwehr (insgesamt 62 Stellen) sowie Umweltschutz und Energiewende (insgesamt 23 Stellen).
Außerdem hätten mehr als 670 Stellen im Haushaltsplan aktuell einen „kw“-Vermerk. Das heißt: Sie können künftig wegfallen, wenn der derzeitige Stelleninhaber einen anderen Posten erhält oder in Pension geht. Wie lange es dauern wird, bis diese 670 Stellen endgültig verschwunden sind, darüber schweigt die Staatskanzlei.
All diese Hinweise aus der Staatskanzlei sind für Markus Berkenkopf vom Bund der Steuerzahler keine nachvollziehbaren, rechtfertigenden Gründe für die Stellen-Explosion. So erinnert er daran, dass es in den Ministerien etwa für vorübergehende Aufgaben kaum befristete Stellen gebe. Das heiße: Bei einem Regierungswechsel verschwänden ausgetauschte Mitarbeiter nicht einfach aus den Ministerien, sondern würden bestenfalls auf einen anderen Posten versetzt. Häufig aber landeten sie auch im Vorruhestand und das Land müsse die Kosten tragen.
Berkenkopf selbst hat im vergangenen Jahr die Personalentwicklung in den Ministerien zwischen 2017 und 2022 miteinander verglichen. Allein in dieser Zeit wurden in den Ministerien 962 zusätzliche Stellen geschaffen. Die Personalkosten stiegen in dieser Zeit um 125,8 Millionen Euro, – pro Jahr.
Warum ein Aufschrei der Empörung ausbleibt
Und warum gibt es angesichts solcher Dimensionen keinen öffentlichen Aufschrei der Empörung? Auf der Suche nach einer Antwort hat Berkenkopf eine Vermutung. Aktuell seien 20.000 bis 25.000 Stellen für Lehrkräfte, Polizistinnen und Polizisten nicht besetzt. Die dafür vorgesehenen Mittel stünden zwar im Haushaltsplan, würden aber nicht abgerufen.
Da falle es dann in der Gesamtschau bei der Jahresbilanz nicht so schnell auf, dass es in den Ministerien einen gewaltigen Personalzuwachs gegeben habe, denn: Die Gesamtpersonalkosten wären ja nicht gestiegen. Das Geld wurde nur nicht für Lehrer und Polizisten, sondern für Männer und Frauen in den Ministerbüros ausgegeben.
Nach Einschätzung von Berkenkopf hat diese Entwicklung auch langfristig schwerwiegende Folgen, denn: Es gibt ja noch das Problem der Pensionen. Für Beamte muss das Land die Pensionskosten aus dem laufenden Haushalt bezahlen, für Arbeitnehmer nicht. Die zahlen ja selbst in die Rentenversicherung Beiträge ein.
Die Pensionen aber, die das Land auszahlen muss, sind schon jetzt gigantisch. So sind die Versorgungsbezüge von 5,2 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 9,1 Milliarden Euro im Jahr 2023 gestiegen. Ein Anstieg um 75,1 Prozent.
Pensionslasten steigen in gewaltige Höhen
Und die Entwicklung zeigt weiter nach oben, erläutert Berkenkopf, und das sei fatal. „Gerade bei den Ministerialstellen haben wir ganz oft die Fälle, dass solche Menschen ein paar Jahre im Dienst sind und dann in die Wüste geschickt werden. Und dann kriegen die ein Vielfaches an Jahren noch Versorgungsbezüge. Wir haben Fälle, dann waren die mal 5, 6 Jahre im aktiven Dienst, haben einen Versorgungsanspruch, leben aber noch 50 Jahre. Das Verhältnis stimmt dann einfach nicht mehr.“
Vor diesem Hintergrund ist es verhängnisvoll, dass gerade der Anteil der für Beamte reservierten Stellen in den Ministerien seit 2010 weiter gestiegen ist. Betrug der Anteil der Beamten-Stellen 2010 noch 64,5 Prozent, liegt er jetzt bei 66,1 Prozent. Das klingt nur nach einem kleinen Unterschied, hat aber für das Land durch die Pensionslasten massive finanzielle Folgen für Jahrzehnte. Berkenkopf sagt es so: „Jede Stellenmehrung schränkt künftige Haushalte ein. Das verstärkt nur die Erklärungsbedürftigkeit, warum wir diese Masse an Stellen in den Ministerien wirklich brauchen.“
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