Paukenschlag bei Springer: Warum Julian Reichelt nicht mehr „Bild“-Chefredakteur ist
Medien
Seine Amtszeit dauerte keine vier Jahre: Julian Reichelt ist bei „Bild“ als Chefredakteur Geschichte. Zum Verhängnis wurde ihm das eigene Verhalten – und eine Story, die nie erschienen ist.

Der ehemalige «Bild»-Chefredakteur Julian Reichelt ist von Axel Springer von seinen Aufgaben entbunden worden. (Archivbild) © picture alliance / Bernd von Jutrczenka/dpa
Es ist der spektakuläre Sturz einer Reizfigur, wie er in der Redaktion der „Bild“-Zeitung gewiss hektische Betriebsamkeit ausgelöst hätte, wäre sie diesmal nur nicht selbst betroffen. Julian Reichelt (41), der seit 2017 die redaktionelle Gesamtverantwortung für „Bild“ hatte, stolpert am Ende nun doch über das, was ihm zunächst raunend, dann immer lauter, zuletzt unüberhörbar vorgeworfen worden war: sein Verhalten.
Reichelt wird „mit sofortiger Wirkung“ von seinen Aufgaben entbunden. Die Begründung des Unternehmens Axel Springer: Er habe Privates und Berufliches nicht klar getrennt. Und mehr noch: Er habe dem Vorstand die Wahrheit über jüngste Versäumnisse verheimlicht.
Vermischung beruflicher und privater Beziehungen
Schon im Frühjahr hatte sich Reichelt intern einem Compliance-Verfahren stellen müssen. Es ging um den Vorwurf, er habe sich seine Machtposition zunutze gemacht, um junge Mitarbeiterinnen unter Druck zu setzen, sich zur Karriereförderung privat mit ihm einzulassen. Zudem sei er für ein toxisches Arbeitsklima bei „Bild“ verantwortlich, das von Sexismus und Machogehabe geprägt sei.
Der Verlag beauftragte damals die Rechtsanwaltskanzlei Freshfields damit, mögliche Verstöße zu untersuchen. Reichelt wurde für knapp zwei Wochen freigestellt – und durfte zurückkehren. Der Konzern sah „keine Anhaltspunkte für sexuelle Belästigung oder Nötigung“, wohl aber eine Vermischung beruflicher und privater Beziehungen.
Nun aber ließ Springer-Chef Mathias Döpfner seinen Schützling doch fallen. Anlass dürfte unter anderem ein Bericht der „New York Times“ (NYT) vom Wochenende gewesen sein, der die Unruhe bei „Bild“ als Symptom einer toxischen Alphamännchenkultur beschrieb. So zitierte „NYT“-Medienreporter Ben Smith eine Mitarbeiterin mit den Worten: „Wer mit dem Boss schläft, bekommt einen besseren Job.“
Ebenso brisant: Der Ippen-Verlag, schrieb Smith, habe die Veröffentlichung einer umfangreichen Story zu den Vorwürfen gegen Reichelt in letzter Minute gestoppt. Das preisgekrönte frühere Investigativteam von Buzzfeed Deutschland, das inzwischen unter dem Namen „Ippen Investigativ“ unter dem Dach des Medienhauses aktiv ist, habe mehrere Monate recherchiert – und sich in einer E-Mail bitterlich über das persönliche Last-Minute-Veto des Verlegers Dirk Ippen beklagt. Eine inhaltliche Begründung lieferte Ippen bisher nicht. Von „Geschmacksfragen“ war die Rede.
Warum hielt Dirk Ippen die Story zurück?
Nicht nur Springer, sondern auch Ippen macht in diesem Komplex keine gute Figur. Es bleiben relevante Fragen: Welche neuen Erkenntnisse über Reichelt hat Springer in den letzten Tagen gewonnen, um seinen Beschluss vom Frühjahr zu revidieren? Warum hielt Dirk Ippen die Story zurück, obwohl ein öffentliches Interesse zweifelsohne gegeben war, zumal es um einen der mächtigsten Medienmänner Europas ging? Warum hielt Döpfner so lange zu Reichelt und raunte zuletzt sogar Schwurbelnd-Rätselhaftes zu seiner Verteidigung? So sei er „der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch immer mutig gegen einen autoritären Staat nach DDR-Vorbild rebelliere“.
Brisant für Springer: Die „New York Times“ kritisierte, dass der deutsche Verlag, der derzeit mit Macht auf den US-Markt drängt, mit einer solchen Firmenkultur in der amerikanischen Gesellschaft kaum werde bestehen können. Das dürfte geschmerzt haben in Berlin, wo man das „Silicon Valley“ kultisch verehrt und sich gern kosmopolitisch gibt beim digitalen Umbau des Konzerns.
Giftiger Grundton und ein Hang zu Kampagnen
Lange galten höchstens Kettenrauchen, zu viele Gummibärchen und eine legendäre Ungeduld als lässliche Sünden des Julian Reichelt. Sein erzwungener Abgang ist das unrühmliche Ende einer Ära, die „Bild“ neben vielen Lesern flächendeckend Sympathien gekostet hat. Der ehemalige Kriegsreporter Reichelt, der sich einst im Machtkampf gegen die eher moderate Chefredakteurin Tanit Koch durchgesetzt hatte, die im Februar 2018 ging, wurde zur streitlustigen Reizfigur.
Er stand für einen immer aggressiveren, humor- und kulanzfreien Kurs, einen giftigen Grundton und einen Hang zu Kampagnen, etwa gegen den Virologen Christian Drosten oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Offenbar getrieben von starken Auflagenverlusten umgarnte er publizistisch eher das Wutbürgertum.
Doch all das nützte wenig. Auch der Start des linearen Fernsehsenders „BILD TV“ entwickelt sich trotz massiver Werbung zum Flop. Der Marktanteil am vergangenen Donnerstag etwa dürfte Springer schmerzen: Er betrug exakt 0,0 Prozent. Neuer Vorsitzender der dreiköpfigen „Bild“-Chefredaktion wird Johannes Boie (37), derzeit Chefredakteur der „Welt am Sonntag“. Er wird gut beschäftigt sein, die Scherben zusammenzufegen, die Reichelt hinterlässt.
RND
Der Artikel "Paukenschlag bei Springer: Warum Julian Reichelt nicht mehr „Bild“-Chefredakteur ist" stammt von unserem Partner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.