Egal, ob sich die Frage, welchen Film man gemeinsam gucken möchte, aus irgendwelchen Gründen zum Streit entwickelt, oder große Konflikte wie etwa Eifersucht im Raum stehen: Ist es wichtig, immer seine Meinung zu sagen? Und falls ja/nein, warum?
Vor allem ist es wichtig, seine Meinung auch als solche zu sehen. Es ist eine Meinung, nicht die universelle Wahrheit. Und nicht selten reagieren wir, auch aufgrund von Formulierungen, mit Rechtfertigung oder Gegenangriff, wenn wir mit einer anderen Meinung oder der Wahrnehmung des Gegenübers konfrontiert werden.
„Deine Arbeit, Dein Sport, alles ist Dir wichtiger als ich!“
Ja, ein klarer Vorwurf und eigentlich steckt dahinter, eine Sorge. Die Sorge nicht so wichtig zu sein, aufgrund des Verhaltens des Gegenübers. Eine Sorge bedarf einer Beruhigung durch Verständnis und Mitgefühl. Doch diese Formulierung ist ein Vorwurf, auch weil sich Wut stärker anfühlt als die Traurigkeit, die Verletzung, die in dieser Aussage liegt. Also ja, es ist wichtig seine Meinung, seine Wahrnehmung und Gefühle zu äußern, es kommt aber auch auf die Art und Weise an.
Harmonie um jeden Preis erzeugen zu wollen, birgt die Gefahr, sich selbst in den Hintergrund zu stellen – des lieben Friedens Willen wegen. Man möchte den Anderen nicht belasten, nicht nerven und nimmt sich zurück.
Doch Bedürfnisse und Gefühle haben wichtige Funktionen, sie zu unterdrücken sorgt langfristig für Frust, der sich dann irgendwann in Form eines Rundumschlages ausbreitet und es eskaliert.
Es ist sicherlich wichtig, Kompromisse einzugehen, oder auch mal Opfer zu bringen, dann aber mit der nötigen Wertschätzung. Statt sich stumm zu fügen, kann ich auch sagen, dass ich eigentlich keine Lust habe, „aber Du mir wichtig bist.“
Wie setzt man sich gut und einfühlsam mit Streitthemen auseinander?
Das wichtigste ist, den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wahrheit klar zu haben. Wenn jemand verletzt oder gekränkt ist, dann bedeutet das noch lange nicht, dass man selbst zum Täter wurde und sich nun „schämen“ muss oder aber „sich erklären“ muss. Es bedeutet vor allem, die Chance zu haben etwas neues über das Gegenüber zu erfahren.
„Du hast das Gefühl, Du seist mir nicht wichtig? Ja, ich kann verstehen, dass Du wütend bist. Absolut! Wie kann ich Dir zeigen, dass Du wichtig bist, was fehlt Dir?“
Eine solche Reaktion ist deswegen so deeskalierend, weil Verständnis und Mitgefühl in ihr liegt. Das Gegenüber fühlt sich anerkannt, gehört, verstanden und zwar ohne, dass ich die Sorge bestätige, zustimme oder Recht gebe.
Wenn wir jemanden lieben, dann tun wir gerne auch mal etwas füreinander, verzichten auf die Pizza und bestellen Chinesisch. Gucken das Drama und verzichten auf den Actionfilm. Tue ich dies jedoch, ohne es zu benennen, weiß das Gegenüber meinen „Verzicht“ nicht zu schätzen, weil ich ja suggeriere, ich will auch „lieber“ chinesisch bestellen, wenn ich mich stumm füge.
Ist der Streit dann da, hilft es immer mal wieder zu pausieren, Inne zu halten. Die Frage: „Worum geht es hier gerade eigentlich?“ kann ein Gamechanger sein. Es geht oft gar nicht um die herumliegende Socke, sondern um den damit verbundenen Mangel an Respekt oder Wertschätzung. Die Socke ist ein Symbol für etwas. Diese Symbolik zu erkennen und zu verstehen, sorgt ganz allein für Veränderung.

Auch die Aussage: „Ich glaube, ich verstehe Dich ehrlich gesagt noch immer nicht!“ ist viel zugewandter, als zu sagen: „Ich verstehe Dich ja, aber…!“
Würde man verstehen, würde man nicht mit dem „aber“ widersprechen. (Wahrnehmung nicht Wahrheit).
Zu guter Letzt noch der Hinweis, dass wir uns wiederholen, wenn wir uns unverstanden fühlen. Dann graben wir keine alten Kamelle aus, sondern greifen zu Beispielen, in denen wir uns ähnlich fühlten. Auch hier hilft ein Nachfragen: „Das hast Du gerade schon gesagt, vielleicht habe ich etwas noch nicht verstanden…“ und dann eben auch nicht nur zu sagen: „Ich verstehe Dich“, sondern auch zu wiederholen, was man verstanden hat.
Aber um realistisch zu bleiben: Sind die Emotionen hochgekocht, sind wir gekränkt, dann geht es erstmal darum, verstanden zu werden, statt zu verstehen und solche theoretischen Formulierungen, wie hier benannt, sind kaum möglich.
Aber vielleicht im Anschluss an den Streit, wenn sich beide ein wenig sortiert haben, nochmal auf den anderen zuzugehen, ist so viel mehr wert, als Harmonie um jeden Preis.
Leidenschaftliches Streiten zeigt ja auch immer wie wichtig man einander und sich selbst ist – und solche Konflikte zu überwinden sorgt langfristig für Stabilität.
Daher: Keine Angst vorm Streit! Das schmälert nicht die Beziehung und sachlich streiten gibt es nicht. Das wäre dann eine Diskussion. Streit impliziert Emotionen.
Woran erkennen wir, dass wir uns zu oft zurücknehmen – oder zu oft durchsetzen?
Es passiert nicht selten, dass Paare zu mir kommen und beide, gleichermaßen das Gefühl haben, mehr zu geben, als sie bekommen. Und das ist oft wahr. Beide haben Recht. Beide geben ganz viel verdeckt, in der Hoffnung, dann auch mal fordern zu dürfen. Und das lässt sich vermeiden, indem ich direkt formuliere, was ich mir wünsche und was ich brauche und eben auch, was ich bereit bin zu geben. Häufig sind es nämlich Missverständnisse. Man glaubt, dem Anderen seien gewisse Dinge wichtig, dann opfert man sich auf – und wenn man dann mal etwas fordert und ein „Nein“ hört, fühlt man sich abgelehnt und reagiert ziemlich harsch mit einer Anspruchshaltung. Die Frage, warum das immer wieder passiert, kann Aufschluss darüber geben: Warum glaubst Du, dass Du nichts fordern darfst? Sondern nur dann, wenn Du vorher selbst etwas gegeben hast? Eine Beziehung sollte auf Vertrauen basieren und auch darauf, sich dem Anderen zuzumuten. Spiele ich ihm/ihr etwas vor, nehme mich zurück oder muss mir Liebe erst verdienen, kann das etwas Altes sein, was man irgendwann gelernt hat. Sätze wie: „Sei ein braves Kind, dann spiele ich auch mit Dir!“ Prägen uns enorm. Dieser Satz impliziert, dass man sich zurücknehmen muss, um geliebt zu werden, Aufmerksamkeit zu bekommen.“

Nehmen sich beide zurück und hoffen, dadurch Liebe und Aufmerksamkeit zu bekommen, fühlen sich beide zurückgesetzt, weil sie ja so viel geben und so wenig bekommen.
Es ist nicht unsere Aufgabe, in dem Maße aufeinander zu achten, wie die Frage impliziert. Ich darf fordern, mich zumuten und mich zurücknehmen und dabei auf mich und meine Grenzen achten. Und tut mein Gegenüber dies auch, wird es unweigerlich auch mal zu einem ‚Nein‘ kommen, aber dieses ‚Nein‘ wird sich nicht mehr als Ablehnung anfühlen, sondern als Selbstfürsorge des Partners. Ein Vertrauen in die Eigenverantwortung. Es ist viel schwieriger Grenzen zu wahren, die wir beim Anderen vermuten, als auf die eigenen Grenzen hinzuweisen.
Und nur weil mein Partner mir etwas nicht geben kann oder möchte, heißt das nicht, ich will zu viel.
Streitthema Kinderwunsch: Paartherapeutin Jennifer Angersbach gibt Tipps zur Familienplanung
Online-Dating, ja oder nein?: Tipps von Paartherapeutin Jennifer Angersbach
Gute Vorsätze für die Liebe: So starten Paare harmonisch ins neue Jahr