Neujahrsempfänge, das sind auch beim Kreis Borken Anlässe, an denen es eigentlich harmonisch zugeht. Man wünscht sich alles Gute fürs neue Jahr, stößt auf die Zukunft an, plaudert ein bisschen mit diesem und jenem und hört einem Festredner zu, der wahlweise einen Blick in die Zukunft oder die Vergangenheit wirft und das im besten Fall auf unterhaltsame Art und Weise. Zuletzt kamen bei diesen Anlässen Autoren, Journalisten oder auch Verwaltungsexperten zu Wort.
Dass in diesem Jahr Jens Spahn, Bundestagsabgeordneter und Kreisvorsitzender der CDU den Part des Festredners beim Neujahrempfang von Kreis und Stadt Borken übernimmt, das hat jetzt die Kreistagsfraktionen von Grünen/Linkspartei, SPD und UWG/Stadtpartei so sehr erzürnt, dass sie beim für den 12. Januar im Reken-Forum geplanten Neujahrsempfang nichts von Harmonie wissen wollen. Sie hätten, „erstmals in der Geschichte des Kreises beschlossen, nicht am Neujahrempfang teilzunehmen.“
In einer gemeinsamen Pressemitteilung werfen die Fraktionsvorsitzenden Jens Steiner (Grüne), Elisabeth Lindenhahn (SPD) und Jörg von Borczyskowski (UWG) Landrat Dr. Kai Zwicker (CDU) vor, mit der Wahl Spahns als Festredner „seine Pflicht zur parteipolitischen Ausgewogenheit und Neutralität“ verletzt zu haben. Auch weil nicht einmal das Thema von Spahns Festvortrag in der Einladung genannt werde, dränge sich ihr der Verdacht auf, „dass es vor allem darum geht, dem örtlichen CDU-Vorsitzenden und früheren Minister eine politische Bühne zu geben“, so Lindenhahn.
UWG-Fraktionschef von Borczyskowski sagt, man verzichte darauf „als Staffage für einen CDU-Parteitag zu dienen.“ Jens Steiner wirft dem Landrat vor, dass es Zwicker „offensichtlich an politischer Ausgewogenheit und Fingerspitzengefühl mangele.“ Die Kreisverwaltung habe es, zumal es bereits bei der Kreistagssitzung im Dezember „deutliche Kritik an der Auswahl des Festredners“ gegeben habe, versäumt, „die Planungen zu überarbeiten.“ In der Sitzung wurde das Thema im nichtöffentlichen Teil angesprochen.
Titel des Vortrags nicht genannt
Dass der Vortrag des früheren Bundesgesundheitsministers über seine Erlebnisse in Pandemiezeiten „so eine Reaktion hervorruft, hätte ich nicht gedacht“, schrieb Zwicker gestern an alle Kreistagsmitglieder. Gleichwohl räumt der Landrat ein, dass es „sicherlich ein Fehler“ gewesen sei, den Titel von Spahns Vortrag („Erosion unserer Politikmodells? Warum es sich lohnt, für unsere Demokratie zu kämpfen“) in der offiziellen Einladung nicht zu nennen. Darin, so Zwicker, soll es unter anderem um die Angriffe auf Institutionen des Staates vom Feuerwehrmann bis zu Spahn selbst gehen, wobei man letzteren auch „über seine Erlebnisse und Erfahrungen berichten lassen“ wolle. Zum Schluss seines Briefes bittet Zwicker die Kreistagsmitglieder, „die eigene Entscheidung zu überdenken und am Neujahrsempfang teilzunehmen.“
Das aber wollen die drei Fraktionen nicht tun, wie sie am Donnerstag auf Nachfrage versicherten. Jörg von Borczyskowski sagte, dass Zwicker in der Kreistagssitzung auch auf Nachfrage genaue Aussagen zum Thema der Spahn-Rede schuldig geblieben sei. Was der Landrat jetzt sage, stehe im Widerspruch zu dem, was ihm aus der Sitzung in Erinnerung sei, so von Borczyskowski.
Jens Steiner betonte am Donnerstag gegenüber der Redaktion, dass man sich keinesfalls an der Person von Jens Spahn an sich stoße. Wäre Spahn als amtierender Bundesgesundheitsminister gekommen und hätte beispielsweise zum Thema Corona gesprochen, hätte er persönlich mit der Wahl des Festredners „keine Probleme gehabt.“ Die drei „Oppositions-Fraktionen“ haben zudem beschlossen, für die kommende Kreistagssitzung einen Antrag vorzubereiten, der sicherstellen soll, dass das ohnehin bestehende Gremium aller Fraktionsvorsitzenden gemeinsam über „Festvortrag und Redner berät und entscheidet.“
CDU-Kreisgeschäftsführer Markus Jasper nannte das Fernbleiben der drei Fraktionen einen „unerhörten Vorgang“. Die Entscheidung der drei Fraktionen, dem Empfang fernzubleiben, zeuge von „höchst zweifelhaftem Demokratieverständnis“.
Jens Spahn als Festredner beim Neujahrsempfang : Nicht die klügste Wahl