Es gibt diese ikonischen Inszenierungen, die für immer im Gedächtnis bleiben: Die „Traviata“, die Willy Decker 2005 bei den Salzburger Festspielen inszeniert hat, ist so eine.
An sie erinnert Vieles in der Inszenierung von Vincent Boussard, die am Sonntagabend eine überwältigende, vom Publikum im ausverkauften Dortmunder Opernhaus minutenlang stürmisch gefeierte Premiere erlebt hat. Nicht nur die halbrunde Bühne und die Schwarz-Weiß-Ästhetik erinnern an die Salzburger Kult-„Traviata“.

Anstelle von Deckers Uhr gibt es in Dortmund einen Flügel als fast einziges Bühnenelement. Er dient als Schreibtisch, Tanzfläche und Totenbett und steht für die Dinge, die uns lieb sind im Leben.
In dieser Eröffnungsproduktion der Oper Dortmund passt alles: die großartige Inszenierung, die tolle Bühne und die Kostüme (von Regisseur Vincent Boussard), fantastische Solisten (allen voran die überragende Anna Sohn in der Titelrolle) und Will Humburg als ein mit viel Körpereinsatz leidenschaftlich antreibender und die Partitur feinsinnig und differenziert auslotender Dirigent am Pult der exzellenten Dortmunder Philharmoniker.
Schon der Beginn, den Humburg im sanften Pianissimo wie einen Trostklang aus dem Graben zaubert, hat etwas Magisches.
In einem schlichten Bühnen-Halbrund (Frank Philipp Schlößmann) gibt es wenig Dekor; Violettas rotes Kleid hebt sich vor der Kamelienblumen-Videowand von allem anderen ab – auch vom Chor in Frack und Zylinder. Im Lauf des Abends verblassen die Farben der Kleider der Kurtisane – im selben Tempo, wie das Leben aus der Schwindsüchtigen weicht.
Boussard inszeniert in Seelenräumen – mit Fokus auf die Figuren. Einen Theater-Zaubereffekt hat der Regisseur noch zugefügt: Im zweiten Akt gibt es eine Tänzerin (Sofia Pintzou), die auf dem Flügel tanzt und zu schweben scheint. Verblüffend!
Sohns Sopran ist ein Ereignis
Anna Sohn ist als Violetta ein Traum. Sie balanciert die Rolle der todkranken Liebenden auf der Schwelle zwischen überbordender Lebenslust und Zerbrechlichkeit sehr fein aus.
Lupenrein klingt ihr Sopran sowohl in den leuchtenden Koloraturen als auch in den fahlen Tönen im Todeskampf auf dem Klavier. Wie sie die Rolle entwickelt, ist erschütternd emotional und zum Mitweinen intensiv. Im Moment ihres Todes tritt sie aus dem neonumrahmten Bühnenraum hinaus ins Dunkle – ein wunderbarer Regieeinfall.
Ein perfektes Trio
Andrea Carè war der Alfredo an ihrer Seite – ein toller Verdi-Tenor, der die Italianità, viel Schmelz und strahlende Kraft in der Stimme hat. Dass er in der großen Arie im zweiten Akt etwas kämpfen musste, war nur ein kleiner Schönheitsfehler.
Mandla Mndebele ist ein von Statur und Stimme gewaltiger Vater Germont. Der Bariton zeigt das Despotische der Figur und wandelt sie mit warmem Timbre in erschütterte Verzweiflung.

Humburg und Verdi – das war schon von 1992 bis 2004, als der Dirigent Generalmusikdirektor in Münster war, eine Traumkombination. Seine „Traviata“ in Dortmund ist ein spannendes musikalisches Seelengemälde.
Es wird Zeit, dass Dortmund erneut Opernhaus des Jahres wird. Wer so eine „Traviata“ sehen und Anna Sohn als Titelfigur erleben kann, muss nicht nach Frankfurt, München, Berlin oder Salzburg fahren.
Termine: 28. 9., 3. / 6. / 13. / 19. / 25. 10., 3. / 8. / 16. 11., 15. / 18. / 26. / 29. 12. 3. 1.; Karten: Tel. (0231) 502 72 22Hier gibt's Karten
So prachtvoll war Dortmunds erstes Stadttheater: Gebaut wurde unter großem Zeitdruck
„Zauberflöte“ wird zur Spielshow auf Leben und Tod: Mozart-Oper im Aalto-Theater
Dortmunds Oper glänzt: Die Cityring-Konzerte waren wieder ein toller Start in die Saison